Schöne alte Welt. Alles scheint grau, nicht mehr schwarz oder gar weiß, alles kommt aus einem Guss des Individualismus, keiner versteckt oder grämt sich. Alle Menschen sind sie gleich. Denkste!
CEREALITY sucht nach den Instrumenten unseres Moralkompasses und den emotionalen Werkzeugen, denen wir Leben abschöpfen und ihre Existenz einengen, missbrauchen, verprügeln, bis sie just nur Gleichgültigkeit, Ablehnung und Pragmatismus erfahren. Die objektiv Marginalisierten schreiten in eine Welt der Antagonisten in „dummen Menschenkostümen“ („Donnie Darko“), obgleich sie jene Gesellschaft definieren und mittels ihrer Minoritäten tragen – in Fursuits, religiösen Gewändern, in puncto kultureller Weitsicht und Experimentierfertigkeit, manchmal nur ihrer Sexualität wegen.
So zerrinnen wir in dem intensiven Liebesgeflecht zweier Frauen („Blau ist eine warme Farbe“) und dem in einer Misere zerschnittenen zweier Männer („A Single Man“), taumeln gleich doppelt in die symbolisierte Körperlichkeit der Adoleszenz („Carrie“ von Brian De Palma und „Carrie“ von Kimberly Peirce) wie auch eines quälenden Wartens auf den Existenzialismus („Lohn der Angst“), scheuen eine Entscheidung, die nicht automatisch eine sein sollte („XXY“) und eines Tabus, das ausgesprochen eine tiefe Leere formt („Mysterious Skin“).
Daher frönt ein „Unaussprechlicher“ seine Widersprüchlichkeit in Strass und Pelz („Liberace“), ein Anderer jedoch eines Kniffs mit dem Geschlecht („Albert Nobbs“), ein Nächster der Diskretion im Indiskreten („Der Fremde am See“) und ein wieder Anderer mit Hut und Pferd in der Prärie („Brokeback Mountain“). Der stummen Hölle des Ruhmes („Was geschah wirklich mit Baby Jane?“) mag manch einer entgehen, doch nicht des Theaters namens Leben („Total Eclipse“).
O Wunder! Was gibt’s für herrliche Geschöpfe hier! Wie schön der Mensch ist! O schöne neue Welt, die solche Bürger trägt!
Das gar so finstere deutsche Hinterland schicken wir mittels Frauke Finsterwalders „Finsterworld“ in die Film- und Drehbuchrezeption, doch befragen zudem die Regisseurin selbst und die traumhaft entrückt spielende Sandra Hüller, die eine hilflose Dokumentarfilmerin mit Egodrang mimt.
Ebenso blinzeln frische Erlebnisse auf die allzu digitalen Leinwandkorpora: Spike Lee beschämt „Oldboy“, Oscar Isaac konzipiert „Inside Llewyn Davis“, Naomi Watts und Robin Wright fabulieren „Tage am Strand“, Tom Hanks entdeckt „Captain Phillips“, Tobias Lindholm jedoch „A Hijacking“, Cate Blanchett blanchiert „Blue Jasmine“, James Gandolfini meint verfrüht „Genug gesagt“, Jennifer Lawrence formt „Die Tribute von Panem – Catching Fire“, Roman Polanski pervertiert „Venus im Pelz“ und Tilda Swinton flüchtet in „Only Lovers Left Alive“. Sowie die faszinierenden Geschichten des wahren Schreckens in der Welt: „Computer Chess“, „Blackfish“, „The Act of Killing“ und „Weggeworfen“.
Des Menschen Fratze trifft uns sogar auf heimeligen Sesseln: Glück zerfällt in der zweiten Staffel „Deadwood“, Matt Damon misst „Promised Land“, Jane Campion minimiert „Top of the Lake“, Beißer gängeln in der ersten und zweiten Staffel „The Walking Dead“, Rob Zombie bebildert „The Lords of Salem“ und die Zukunft siecht in „Europa Report“.
Wir danken Benoit Paillé für die Bereitstellung des Covermotivs.
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