Ein Eisbär, eine Parkbank, ein Kind, eine Umarmung. Wäre dies der Beginn von Frauke Finsterwalders Spielfilmdebüt „Finsterworld“ wir würden gleichwohl meinen, darin liege eine Hoffnung, eine sanftmütig tapsende Odyssee in jenes Innerste der urdeutschen Seele, welches gelegentlich von der schwarz-rot-gelben Flagge perlt. Doch eigentlich bildet die Szene das Ende. Natürlich existieren Umarmungen ebenso im restlichen Werk, aber sie setzen eine Hülle der Innigkeit fest, da nicht Wärme in der Geste übertragen wird, sondern Körperlosigkeit im Körperlichen. Zwar umarmen sie sich – doch aus einer Routine, eines Zwangs heraus. Alle Zuversicht mäandert als Konstrukt nur scheinbarer Glückseligkeit in diese letzte Einstellung und frisst stattdessen mit jedem vorgekauten Happen Nihilismus einen saftigen Bissen Lebensfreude auf.

Dabei flüstert der im Bärenkostüm steckende Tom (Ronald Zehrfeld) seiner Partnerin Franziska (Sandra Hüller) zuvor noch zu, ob sie ihn wirklich sehe. In der bitterbösen Menagerie von Tatsachen wirkt es sogar weniger nach einer Frage als einer Befindlichkeitsanzeige, eines Nicht-Verstehen-Wollens zwischen zwei Lebenswelten, die so unterschiedlich wirken, sie könnten dennoch zusammengehören. Tom ist Polizist, Franziska Dokumentarfilmerin. Tom hält Fußpfleger Claude (Michael Maertens) auf einer Landstraße an, doch lässt den Strafzettel für eine Unzahl von Kosmetikprodukten stecken, die er später seiner Freundin schenkt, welche im Irrglauben und kurz zuvor vergangener Raserei eine liebevolle Geste zu sehen glaubt. Ganz der Aufmerksame, der Mitdenkende, weil sie so viel stehen müsse. In ihrer Beziehung bleibt dies die harmloseste Farce.

Franziska hingegen versucht aus dem konsequent passiv-aggressiven Arbeitslosen Herrn Malchow eine Dokumentation über das doch hoffnungsfrohe Dasein ohne Frau, aber mit Konservenspaghetti zu drehen. „Ein Leben aus der Starre“ möchte sie zeigen; nur, dass sie die Erstarrte ist, sie mit ihren Marotten und dem Eigensinn, der Liebe zu österreichischen Filmen und Weißwein, die selbst in einem absonderlich interessanten Individuum nicht mehr als ihren Ehrgeiz sehen könnte. Sie kommuniziert, ohne zu kommunizieren, liebt, ohne zu lieben. Ein Eisbär scheint im Nachhinein noch das geringste aller greifbaren Probleme ihres Charakters. „Finsterworld“ rezitiert Michelangelo Antonionis „Liebe 1962“ („L’eclisse“) – in der Dopplung und den erzwungen wirkenden und doch präzisen Missverständnissen, der dramaturgisch künstlichen Erzählung von der Trennung, weil kein Platz mehr für Liebe ist. Aussprachen verlaufen ins Leere, denn die zwischenmenschliche Kommunikation steht still, sie wendet sich gegen ein Verstehen.

Umso bezeichnender erzählt sich die Geschichte dieses entlang der eigenen Nase schwenkbaren Omnibus-Heimatfilms durch seinen Anfang, vielmehr seinen Anbeginn mittels des wohlstandsfremden Einsiedlers (Johannes Krisch). Dieser pirscht entlang des deutschen Urwalds während der Morgendämmerung – die Sonne tritt langsam durch ein Labyrinth von Baumkronen, noch müde, ausgezehrt, wie der Einsiedler selbst. Ein junger Rabe fällt aus dem Nest und sucht Geborgenheit. Der Einsiedler birgt ihn, päppelt ihn auf, sonnt sich und schreibt mit ihm auf dem Rücken. Einzig Mensch und Tier lassen Freundschaft entstehen, Wärme und Halt. Ansonsten schafft kein weiterer der Protagonisten ein Miteinander über die eigene Egozentrik hinweg. Die Kamera flirtet dabei mit der Schönheit und den verloren gegangenen Statisten, welche ansonsten jeden Film an unmöglichsten Standorten bevölkern, auch wenn sie ihn in der Pampa abseits jeder Menschenseele drehen.

Die einzige deutsche berühmte Figur ist Adolf Hitler. Punkt, Punkt, Komma, Strich, Hitlerbärtchen, und jeder auf der ganzen Welt erkennt das sofort.

Dominik

Deutschland wirkt schön, Deutschland ist schön. In jeder Einstellung von „Finsterworld“ mustert Finsterwalder entgegen dem eher formalästhetischen Titel das Leben und die Zärtlichkeit, allerdings nicht die Menschen in diesem erkalteten und hier dennoch bezaubernd leuchtenden Land. Gerade deswegen suggerieren Inga (Corinna Harfouch) und Georg Sandberg (Bernhard Schütz) als herrlich isoliert-bigottes Wohlstandspaar inklusive ihres mustergültigen Faschistensohns Maximilian (Jakub Gierszał) eine Entfremdung in der Entfremdung, die von der Debatte einer nur noch Pseudo-Debatte über die nationalsozialistische Vergangenheit geleitet wird, anstatt Empathie Opfern und Tätern gegenüber entstehen zu lassen. Die Kunst des Films liegt daher innerhalb des Fremdwerdens, des Welt- und Menschenfremden, denn „Finsterworld“ besticht durch plastische Fiktionalität, um darin die deutsche Ödnis zu enthüllen. Wobei es leidlich nur um das Deutsche geht, sondern um die Kultur der Zerstreuung an sich; und Menschen, die einander gegenübersitzen, aber sich lediglich durch Smartphones und Bildschirme ansehen, die mittlerweile so fest in der Fiktion verankert leben, dass ein wenig Realität in jeder Beziehung schließlich scheitern muss.

Irgendwann klingt sogar das „Fick dich“ eines gehänselten Mädchens beinahe freundlich. Da sitzt Franziska auf einer Bank an einem Spielplatz umringt von Plattenbauten, sie telefoniert mit Tom, formuliert penibel eine Einkaufsliste als wäre er ein bereitwillig auszustopfendes Maskottchen („Und eine Mango, bitte. Nicht zu hart, nicht zu weich … […] Die Mango nicht vergessen.“) und Kinder scharen sich derweil um ein Mädchen, drangsalieren und schubsen es. Erst da Franziska eine Geschichte wittert und das Mädchen schon mit Sand im Gesicht malträtiert wird, schreckt sie auf. Die Kinder jedoch, und viele sind es in diesem Film wohlweißlich nicht, durchschauen personifiziert in diesem einzigen Mädchen die Lüge und das scheinbare Mitleid in „Finsterworld“, sie stampfen gegen es an. Ihre Antwort: „Fick dich“, mehr als nur ein Mittelfinger, sondern eine Umkehr geballten Desinteresses, welches im Ego aller Erwachsenen verankert leuchtet. Denn mehr ist in diesem Deutschland, in dem gestrigen, heutigen oder morgigen, vielleicht nicht zu erwarten.

Meinungen

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