Als im Jahre 2008 bekannt wurde, dass das Manga „Old Boy“ von Nobuaki Minegishi und Garon Tsuchiya nach der südkoreanischen Fassung von Park Chan-wook zum zweiten Mal verfilmt werden sollte – und zwar von einem Amerikaner – ließ sich die allgemeine Empörung bei Liebhabern des Originals verständlicherweise nicht verstecken: Wozu ein Remake drehen zu einem viel gelobten, 2004 in Cannes mit dem „Grand Prix“ ausgezeichneten Werk? Die Antwort ist freilich vor allem finanzieller Natur, denn ein kultureller Transport dieses prägenden Films in die Vereinigte Staaten ist schlichtweg unmöglich. Das liegt zum einen an der grundsätzlichen Disparität der Mentalität beider Kulturen, zum anderen an der atemberaubenden Poesie ersterer Verfilmung. Nicht nur sind die Themen Rache, Ehre und Respekt von Grund auf anders zu bewerten und zu deuten, da sie einen anderen Stellenwert für die Zwischenmenschlichkeit besitzen, sie erfordern gleichzeitig zudem eine subtilere Auseinandersetzung, wie es oft in der westlichen Kultur üblich ist. Es ist, als ob man versucht ein fremdsprachiges Gedicht, oder – treffender – ein Haiku zu übersetzen: Die Neuinterpretation kann sich nicht mit dem Original messen, wenn sie die Imitation als Ziel hat.

Genau das wäre Spike Lees Chance für eine respektable Leistung gewesen: Nicht nachzuahmen, sich nicht an Park zu orientieren, nicht dessen Einfälle zu kopieren, sondern das Manga näher zu betrachten, von dem bereits die Erstverfilmung deutlich abwich. Dass man es auch richtig machen kann, zeigte Martin Scorsese im Jahre 2006 mit seinem Oscar-gekrönten Remake „Departed“ des chinesischen Films „Infernal Affairs“ von Andrew Lau und Alan Mak. Scorsese erweiterte das Original noch um einige Facetten und ein beachtliches Staraufgebot, welches schließlich unter anderem Jack Nicholson, Leonardo DiCaprio, Martin Sheen und Matt Damon aufwies.

Spike Lee hingegen wird mit dieser Arbeit wohl kaum eine Auszeichnung verdienen, obwohl sogar er die Handlung grob verändert, angefangen von marginalen Kleinigkeiten bis hin zur vollkommenen Verdrehung der Ereignisse. Jene Modifikationen gestaltet er aber so sinnlos und undefiniert, dass man sich eher kopfschüttelnd die Hand vor das Gesicht schlägt, als den Hauch einer Faszination zu erleben. Die Ausgangssituation bleibt dieselbe: Joe Doucett (Josh Brolin) wird für zwanzig Jahre in ein Privatgefängnis eingesperrt und sieht sich nach seiner Freilassung gezwungen, seine Vergangenheit hinzunehmen und sich ihr zu stellen. Schon bei der Inszenierung allerdings pickt sich Lee die ästhetischsten Sequenzen aus seinem Vorbild heraus und klont sie ungestüm und nichtssagend. So wirkt die Nachstellung der legendären Hammer-Szene auf drei Ebenen statt einer amerikanisiert, frei von jeglichem Sinn und verkörpert hinlänglich das „Style over Substance“-Prinzip.

Ein weiteres Problem ist die Figur des Joe Doucett: Er ist ein Urtyp des hirnlosen Amerikaners, angetrieben vom Angetriebensein – seine Motive sind ebenso unschlüssig wie schlecht gekennzeichnet. Wieso ist er eingesperrt, wieso wurde er freigelassen? Wieso verprügelt er grundlos Footballspieler, die ihn provozieren? Man stellt keine innerliche Bewegung, kein Interesse bei ihm fest – man ist irritiert. Im Original ist die Rache für das entstandene Leid ein Zentralmotiv des Protagonisten Oh Dae-su (Choi Min-sik), dessen Ambivalenz aus Rachsucht und Unterwürfigkeit zudem grandios gespielt keine Fragen offen lässt. Bereits diese Doppeldeutigkeit ist ein Ausdruck der erwähnten mentalitätsspezifischen Disparitäten, die im amerikanischen Pendant verloren gehen (müssen). Zwar versucht Lee seinem Protagonisten eine dem Manga ähnliche Charakterisierung zu verleihen, indem er Doucett nach außen hin robust zeigt, allein bleibt es jedoch bei einer Versuchsanordnung.

Leicht verliert der Zuschauer die Übersicht und die mangelnde Kohärenz trägt dazu bei, dass Aktionen nicht nachvollziehbar gezeigt werden können. Somit laufen die Handlungsstränge am Ende eher zusammen wie ein vergeigter Trick eines Magiers, der sein Publikum immens empört. Denn all das Magische, Mystische, ja sogar Esoterische und Hypnotische geht in dieser Adaption vollkommen verloren. Spike Lees „Oldboy“ wirkt wie ein schlechter Scherz, wie eine Beta-Version eines Beta-Filmes. Beta, da das Resultat unfertig, unabgeschlossen wirkt, was möglicherweise der hektischen Erzählweise und den ständigen Zeitsprüngen geschuldet ist. Es kommt kein Gefühl der Spannung, der Intensität auf, viel mehr entschwindet das Interesse bei der Betrachtung dieses aus lose verbundenen Handlungspunkten skizzierte Bild.

Meinungen

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