Der Protagonist, ein kläglicher, angeheiterter Klavierspieler und erfolgloser Liedermacher (Dan Duryea), steht in der abstrakten Eröffnungsszene nachts vor einem Hotel und blickt an dessen gewaltiger Fassade hinauf zu einer der oberen Etagen. Aus der Schrägperspektive, in der am Bildrand noch das Straßenschild zu sehen ist, bahnt sich die Kamera ihren Weg an der Fassade des Hotels entlang, überwindet Etage für Etage, bis zu einem Zimmerfenster. Dort quetscht sie sich elegant durch die Jalousien des Fensters, in einen Raum, zu einer Frau, ihr Erkennungsmerkmal das doppelte M. Begehrlich, erotisch und erhaben ist sie (Constance Dowling), vorerst jedenfalls. Was ziellose Bilderschieberei sein könnte, ruft hier in Wirklichkeit das Handwerk von 1946 herbei: eine akrobatische Bewegung, die hochkompliziert verarbeitet scheint und einen kurzen Augenblick später in unkalkulierbaren Widrigkeiten mündet – eine Leiche, ein Lied, ein Laster. Türen schließen sich, bleiben zu, Panik, Verhängnis; es heißt jetzt, zu entrinnen und zu entkommen, ehe man gegen die Unmöglichkeit kämpfen muss, seine Unschuld zu beweisen. Wenn diese eine Zeugin nur nicht wäre.
Aus der übergangslosen, bisweilen launenhaften Unausgewogenheit, nach dieser ermordeten Frau zu ermitteln, womöglich den falschen hinrichten zu wollen und eigenhändig den richtigen zu fangen, während nebenbei ausgiebig getanzt und gesungen wird, vermittelt „Schwarzer Engel“ eine bezaubernde Sogkraft zwischen verzweifelter Melancholie und feierlicher Ausgelassenheit in geschniegelten Nachtklubs (explizit auffällig: die Hitchcock-Treppe zur Erkenntnis). Nach der Vorlage von Cornell Woolrich, der auch den Text zu „Das Fenster zum Hof“ geliefert hat, spinnt der Film einen zwar wahrlich nicht der Düsternis anheimgefallenen Film noir, aber dennoch einen dramatischen Spannungsentwurf, dessen mörderischer Quell ein Collier ist, das in Form eines Herzens menschliche Herzen wahrlich brechen lässt. Im Mittelpunkt des Geschehens verzichtet Roy William Neill dabei auf eine klassisch festgeschriebene Femme fatale. Statt magisch-dämonischer Vampirmythologie sieht es ein traditionelleres Frauenbild vor, den Mann trotz aller beschämenden Eskapaden an sich zu binden und den ausweglosen Seitensprung in einer Andeutung zu belassen.
Dazu passt, dass der Kuss genauso schnell abstirbt, wie er sich angekündigt hat; in der letzten Sekunde wendet die Frau (souverän gespielt von einer lediglich oberflächlich umrissenen June Vincent) gar ihr Gesicht peinlich ab und eine gemeinsame Zeit verbleibt als der Zeit entronnenes Foto auf dem Titelblatt. Halb romantisches Musical, halb wendungsreiches, formal vielsagendes Krimimelodram (ein Höhepunkt: sicherlich eine Montage von zahlreichen Überblendungen exzessiven Alkoholkonsums), belegt der Film auch, dass es äußerst anstrengend und schier aussichtslos sein kann, die eigene Schuld glaubhaft zu gestehen, wenn sie plötzlich unter all jenen vernebelten Erinnerungsschichten freigelegt wird. Peter Lorre brilliert indes als einer der bereits vorverurteilten Verdächtigen, der in ölig-schlüpfrigem Vokabular das Denken verdammt, indem er droht, das Schlagen anzuwenden. Ab dem Zeitpunkt, wenn Martin (Duryea) die in einer surrealen Vision erfahrene Wahrheit schließlich vor sich selbst verheimlicht, weil es ihm die Sprache verschlägt, sie auszusprechen, wabert das Bild ebenso angeheiterter zur Wahrheit aller.
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