Wohin es einen zieht, wenn ein Film namens „Run All Night“ läuft? Der Antrieb steckt schon im Titel, visualisiert Furcht, Faszination sowie finstere Gesellen. Und das Schönste daran ist: Die verheißungsvollen Erwartungen werden restlos erfüllt. Nach „Unknown Identity“ und „Non-Stop“ wandert die nun dritte Zusammenarbeit zwischen Regisseur Jaume Collet-Serra und Schauspieler-Veteran Liam Neeson nämlich weiter auf dem Pfad effektiver Genre-Unterhaltung. Es geht wiederum nicht um mehr, als versprochen wird – und davon nicht zu wenig. Ein Gangsterthriller im New Yorker Milieu: ruppig, düster und mit melancholischem Pathos erfüllt. Altbekanntes von der Ostküste, bewandert von markigen Charakterdarstellern und Neonlichtern im Dunkel der Nacht. Solche alteingesessenen Zutaten bieten sich an und Collet-Serra entscheidet sich anhand derer für klassische Konzepte sowie naive Wunschvorstellungen eines Kinos knapp entfernt von unserem Realitätsverständnis, doch nah am Herzen arbeitend.

Deshalb wird nicht lange gefackelt. Schon das Intro zeigt einen Ausblick auf das unvermeidliche Ende und wandert dann sechzehn Stunden zurück in die Zeit. Ebenso fix etabliert sich der Charakter Neesons als ehemaliger Auftragskiller Jimmy Conlon, welcher nur noch ein Schatten seiner selbst ist und für den ebenfalls alternden Gangsterboss Shawn Maguire (Ed Harris) den versoffenen Weihnachtsmann geben muss. Conlons Schicksal lässt sich wie vieles am Film in einem Satz erklären, geht aber dank Collet-Serras Inszenierung einigermaßen an die Nieren. Sein anamorphes 35mm-Zelluloid strahlt körnige Wahrhaftigkeit aus und fängt per Handkamera Recken ein, die um die Gegenwart eines Tages hadern und die Zukunft nur noch an andere weiterreichen. Deshalb sind gut und böse erst mal eins, weil gleichsam von der Straße. Ein Ehrenkodex wie aus einem Comic, doch mit einer Hingabe vermittelt, dass es packt. Vielleicht liegt dies auch an der stilistischen Verwandtschaft mit Brooklyn-Reißern vom Schlage „Deadly Revenge“ (1991) – obgleich der Film aber auch schon eine Zeitlosigkeit in Thema und Setting äußert, derer man willig erlegen ist.

Darum projiziert man sich auch schnell in die Beziehung zwischen Vater Jimmy Conlon und Sohn Michael (Joel Kinnaman), der wegen der Vergangenheit seines Vaters seine eigene Familie vor ihm beschützen will. Aus diesem Grund verbannt er Jimmy aus seinem Leben, bis sie sich zusammenraufen müssen – ausgerechnet in einer Situation, in der Jimmy den Sohn Maguires richten und ihm dies auch beichten muss. Das riecht nach Klischees und daher wissen alle Parteien, wie es im Folgenden laufen wird. Dennoch wirkt der Film beachtlich emotional, wenn er bekannte Situationen erfasst, und stellt direkt jene Trauer dar, die sich in derartigen Menschen finden lässt. Und mögen sie auch Rollenmodelle erfüllen: Ihre Funktion verselbstständigt sich zur dringlichen Nachvollziehbarkeit auf beiden Seiten der Medaille, nun hineingeworfen in eine Überlebensjagd, die eine Kettenreaktion aus Autokarambolagen, Faustkämpfen und Schusswechseln umfasst, aber natürlich auch eine Flucht vor dem Verbrechen und dem Gesetz. Alles steigert sich so, wie es sich der Genrefreund wünscht. Womit Collet-Serra ein Geschick beweist, das nicht alle Zeitgenossen aufbauen können (siehe Olivier Megatons „96 Hours – Taken 3“): Spannung, selbst in bunt referenzierten Konflikten aus dem Zeitalter des Westerns (Neeson auch mal zur Winchester) oder Film noir (Konfrontationen zwischen Hafencontainern im Morgengrauen).

Er liest dem Zuschauer Wünsche von den Lippen ab, lässt die erwartete Konsequenz aber anschwellen, anstatt auf permanenten Knall zu setzen. Zwar beherrscht er eher ein Handwerk der Formeln, doch funktioniert dieses mit einer Macht, aus der sich ambitionierte Energien leiten lassen – nämlich jene der unbedingten Erfüllung mit Herzblut. Drum blitzt und donnert es auch am Himmel, wenn das einzig Richtige vollzogen wird; sowohl vonseiten der Charaktere als auch vonseiten der Darsteller. Als Zuschauer nimmt man jede einfache Geste und Wortwahl ab und findet in Momentaufnahmen Empathie, die gleichsam am frühzeitig eingearbeiteten Gewissen nagt. Selbst die Wendung zur Wiedergutmachung, wie sie in etlichen Werken und Variationen bereits beackert wurde, rührt tatsächlich zu Tränen, weil sie ohne doppelten Boden wirkt. Collet-Serras Film hält sich somit ähnlich simpel und kräftig wie zurzeit Kenneth Branaghs „Cinderella“: Die Quelle mitreißenden Geschichtenerzählens muss nicht unbedingt neu erfunden werden – denn es hält einen selbst die älteste Geschichte bei der Stange, wenn sie mit ehrlichem Geist und Elan vorgetragen wird. „Run All Night“ stellt also schon im Titel eine Forderung an sich selbst, seine Mission mit voller Energie zu erfüllen. Und da ist man gerne Mitläufer.

Meinungen

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Bisherige Meinungen

Marcel
1. Mai 2015
10:18 Uhr

Das tolle an Filmen mit Liam Neeson ist für mich, das ich ihm seine Rolle meist voll abnehmen kann. Da in meinem Freundeskreis fast nie jemand für Kinogänge mit Neeson zu begeistern ist, seh ich Filme mit ihm die sich doch häufig vom gemeinem Durschnitt absetzten seltener im Kino als ich es würde. Der Artikel begeistert für den Film auf ehrliche Art, weswegen ich vllt eine Ausnahme mache und ihn alleine ansehen werde. Bei den Bildern die man dank Trailer und Artikel jetzt schon vor Augen hat könnte es sich lohnen. Oder glaubt der Verfasser, dass der Film ebenso gut auf Blu-ray wirkt?

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