Macht es denn eigentlich noch Sinn, die altbekannte Geschichte von „Cinderella“ erneut zu verfilmen – basierend auf Charles Perrault und nicht auf jener Adaption der Gebrüder Grimm? Erst recht, wenn sie im Fall von Kenneth Branaghs aktueller Variante relativ originalgetreu und geradlinig wiedergegeben wird? Nun mag es zwar stimmen, dass der Herr nichts wirklich Neues am Stoff versucht, doch ist dies auch eine Abwechslung zum derzeitigen Prozedere des Disney-Studios, unter dessen Leitung die neueste Realverfilmung produziert wurde. Letztes Jahr hatte die Dornröschen-Reinterpretation „Maleficent“ bewiesen, dass ein Risiko nicht immer aufgeht, wenn die Vision dahinter keine stimmige Richtung findet. Darum lässt sich erfrischend feststellen, wie Branagh die Vorlage hier derartig respektvoll umarmt und eine ambitionierte wie auch effektive Vollkommenheit erwirkt, die an der Grenze zur Zeitlosigkeit herankommt.
Zur Geschichte braucht man daher auch nicht viel vorwegnehmen: Ella (Lily James) wächst bei wohlhabenden und lieben Eltern auf, die ihr schon früh den Zauber im Leben zusprechen und ihr die Rahmen bildende Hoffnung beibringen, egal unter welchen Umständen auch immer Mut zu haben und gütig zu sein. Diese positive Mentalität wird allerdings schon bald auf die Probe gestellt, da Mutter und Vater im Verlauf das Zeitliche segnen; worauf Stiefmutter Lady Tremaine (Cate Blanchett) sowie ihre zwei selbstsüchtigen Töchter ihr das Leben zur Qual machen. Dennoch stehen ihr zur emotionalen Entlastung sowohl ihre tierischen Freunde sowie ein unverhofftes Treffen mit dem strahlenden Prinzen des Landes (Richard Madden) bei. In Kürze steht zudem ein großer Ball zu Hofe an und dort möchte unsere Titelheldin gerne den netten jungen Burschen wiedersehen, der sich ihr lediglich als Gehilfe des Königs vorgestellt hat – die Frau Stiefmutter lässt sie jedoch nicht dorthin. Womit diese aber nicht gerechnet hat: Es existiert noch wahre Magie in dieser Welt.
Wer in seinem Leben jemals ein Märchenbuch in die Hand nahm, weiß, in welche Richtung dies alles führen wird. Dennoch beeindruckt Branaghs Hingabe: Behutsam vermittelt er das Ganze in organischen 35mm. Dabei entfaltet er eine aufwendige und bis ins kleinste Detail versierte Farbenpracht und Fülle in Kostümen und Sets, dass man sich an die Technicolor-Epen des vergangenen Jahrhunderts erinnert fühlt sowie an deren Sinn für Fantasie. Kein Wunder also, dass seine Einarbeitung von zeichentrickartigen Elementen wie den helfenden Mäusen Cinderellas oder den weiteren im Verlauf zu Menschen verzauberten Tieren gänzlich stimmig im konsequenten Märchenkonzept aufgeht. Im Vordergrund ist Hauptdarstellerin Lily James das beste Ventil dafür, gerät sie doch so kindlich ins Staunen, sobald der Zauber wirkt, sodass man ohne Vorbehalte mitmacht – auch anhand der harmonischen Bild- und Tongestaltung in klassischer Fasson.
Regisseur Branagh setzt auf Schönheit und findet darin überwältigende Momente einer Katharsis ohne doppelten Boden. Zum Aufbau dessen befähigt er sich aber ebenso einer garstigen, doch nicht übertrieben plakativen Unterdrückung Ellas durch Stiefmutter und Stiefschwestern, welche ihren Status in der Familie kontinuierlich entkräften, zum Dienstmädchen und zur Witzfigur degradieren. Allen voran Cate Blanchett gibt dabei ein besonders siedendes Exemplar der Bosheit ab; dringt dafür zwar nicht in Regionen des Overactings vor, ist aber insgesamt nicht nur optisch mit Ilse Steppats Femme fatale der Vera Colombani in „Hanna Amon“ (1951) vergleichbar. Sie wird ganz natürlich zu einem Antagonisten, den man liebt zu fürchten, nicht aber zu hassen. Branagh gelingen nämlich immer noch Zwischentöne der Charakterzeichnung, wie er auch das dargestellte Königreich entsprechend seiner Farbenlust vielseitig zeichnet.
Durchaus ein Vorteil zu manch anderer Verfilmung und auch Disneys eigener Zeichentrick-Variante von 1950: Weiße, Schwarze und Asiaten werden als gemeinsames Volk gezeigt; man bemerke dabei allein Nonso Anozies Rolle als gewissenhafter Captain und Freund des Prinzen, der letztendlich die Erfüllung des herbeigesehnten Finales initiiert. Letztgenanntes Erlebnis weicht wie der Rest des Films nicht allzu sehr vom Original ab, ist unter Umständen also vielleicht zu geradlinig und erwartbar für erfahrene Zuschauer. Dennoch ist Branagh dabei nicht nur gütig, sondern auch mutig in seiner Gütigkeit. So erlebt man hier keine bloße obligatorische Abarbeitung. Stattdessen konzentriert sich der Regisseur umso zielgerichteter auf die Äußerung der Gefühle – verbunden mit einer Unschuld und Hemmungslosigkeit, welche den Melodramen der vierziger Jahre entsprungen sein könnte.
Über allem steht dabei eine glaubwürdige Liebe zwischen Ella und dem Prinzen, die zum einen in der Einheit von Dialog und Schauspiel ein gemeinsames Glück vermittelt, zum anderen anhand der Inszenierung aber eine fühlbare Anziehungskraft äußert, welche man der gepeinigten Ella als Protagonistin ohnehin wünscht. Der Film nimmt einen ganz schön ein und verzaubert regelrecht mit seiner meisterhaften Mischung aus Melodram, Romanze, Seelenpein und fantasievollem Humor. „Cinderella“ probiert mit den Mitteln von heute eine Vision aus jener Selbstverständlichkeit des Stoffes, was Zauber, Hoffnung, Selbstbestimmung und sogar Vergebung betrifft – getragen durch den zeitlosen Rahmen des Märchens und übersetzt in ein möglichst zeitloses Wunderwerk eskapistischer Glücksgefühle. Eine durchaus beachtliche Konsequenz im allmählich immer stärker variierten Genre des Märchenfilms, wenn auch ein, zwei Songs und Musical-Einlagen sicher noch reingepasst hätten.
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