Mann konfrontiert Mann. Der eine, Abduwali Muse (Barkhad Abdi), ein Somalier, kaut permanent auf den jungen Blättern des Khatstrauches – einer Droge, gleichwohl Mittel zum Leben; der andere, Richard Phillips (Tom Hanks), ein Amerikaner, knirscht mit seinen Kiefergelenken, als wolle er allein mittels einem Knacken die See leiten. Die Gier jedoch ist beiden gleich. Denn ihre Manierismen, ihr Unbehagen, ihre Scheu vor dem Kontrahenten und die unweigerliche Lähmung im Mühsal aus Überleben und Überlegen lässt sie ein Duell zwischen Großmeistern fechten. Kapitän gegen Kapitän auf dem Indischen Ozean. Schach in eiligen Zügen: manchmal brillant, euphorisch, dann ungelenkt, fanatisch im Tropfen des gegenseitigen Schweißes und der klebenden Hemden. Irgendwann folgt gewiss das Matt für Weiß oder Schwarz.

Schau mich an. Schau mich an. Ich bin jetzt der Kapitän.

Muse

Als die Dominos schließlich fallen, kollidiert ebenso das eigendynamische Flechtwerk ihres Marionettenspielers und Regisseurs Paul Greengrass in seiner edlen Struktur um Globalisierung, Markt, Preis und Ideologie mit jener des unterwürfigen Kommandanten einer routinierten Maschinerie – dem pervertiertem Drange Hollywoods die Inspiration von realen Erzählungen in eine prekäre Schnellfeuerwaffe zu lenken. Die Überraschung darin: „Captain Phillips“ fungiert als Katalysator des Komplexes. So sehr er minutiös das Leid beider Kapitäne rekonstruiert, so sehr bohrt er vehement in den Kern aller Engstirnigkeit und drangsaliert mitunter beißend das bunte Gewitter am Himmel der Superhelden und Kriegsveteranen, die Heroismus und Pietätlosigkeit mit schmutzigem Zeigefinger servieren. Schon die Eröffnung des Drehbuchautors Billy Ray strickt die Differenzialdiagnose zweier Lebenswelten, basierend auf Phillips’ Memoiren „Höllentage auf See“ (gleichzeitig fügt die deutsche Übersetzung den Untertitel „In den Händen von somalischen Piraten – gerettet von Navy SEALs“ an, als ob „A Captain’s Duty: Somali Pirates, Navy SEALs, and Dangerous Days at Sea“ schlicht zu sachlich bliebe). Phillips wacht in der klassischen kleinbürgerlichen Vorstadtsiedlung auf, seine Frau Andrea (Catherine Keener) betüddelt ihn, etwas Small Talk, eine Umarmung; Muse dagegen hört die Gewehrsalben surren, trommelt Männer zusammen, die wie er eher noch halbe Kinder sind, steigt mit ihnen in ein Boot, der Motor rotiert. Tristes Grau gegen sengende Hitze: Da haust Greengrass noch vorsätzlich in Stereotypen, die alsbald umstürzen.

Die just folgende Kaperung des Containerschiffs Maersk Alabama vollführt dann den Balanceakt aus wuchtiger Bildgestaltung und opulenter Dramaturgie. Fernglas verankert sich in Fernglas, Phillips schaut auf Muse, Muse blickt auf Phillips, der Wettkampf hat längst begonnen. Wieder kontrastiert Greengrass die Kehrseiten derselben Münze, jene Zahlseite (Phillips) definiert eine Marke kommerzieller Humanität, einen Unternehmensangestellten, aber für ein Unternehmen (und einen Staat) mit einem Überschuss an Anteilen. Der Kopf allerdings (Muse) gehört einem Stamm an – nicht vordergründig einem nationalen, ethnischen oder rassischen Stamm per se –, sondern einem Stamm von Menschen, welcher des Geldes wegen und in Ermangelung einer Regierung, die für ihn spricht, klassischen Mustern der Lebensführung entflieht. Khat statt Reis, Unterernährung inklusive. Das bedächtige Streben in Verhandlungen und den Wirrungen um Geld und den Preis eines Menschenlebens in dem dänischen Pendant „A Hijacking“ von Tobias Lindholm ballt Greengrass dafür in einen Tresor einschließlich 30.000 Dollar Finderlohn. Dort balgten sich zumeist die Autoritäten in Kopenhagen, sie feilschten um jeden Cent, die Mannschaft derweil zähmt sich, die Piraten ebenso. „Captain Phillips“ mag an der Oberfläche von Materialismus handeln, vielmehr erzählt er jedoch von einer angeblich gutmenschlichen Profanität Amerikas.

Denn in der amerikanischen Humanität und Lieferung von Gütern in die zu gern betitelten Dritte-Welt-Länder ruht die Basis des eingeleiteten Wettkampfes – Phillips und Muse selbst baden als Mikrokosmen ein Gefecht im offenen Wasser aus. Gewiss interessiert Greengrass die seltsame Ironie beider Modelle: Westliche Lieferanten senden Essen, Afrikaner wie Muse’ Vorgesetzte verteilen es (oder wer auch immer die Rolle einer Regierung in afrikanischen Dörfern einnimmt). Gleichzeitig pflanzen sie beide Piraterie und ausufernde Gewalt in ihrer wirren Umverteilung bestehender Ressourcen. Wenn Menschen wie jene in Muse’ Küstendorf die vorgesehenen Empfänger für die Güter sein sollten, welche die Regierung der Vereinigten Staaten und westliche Gesellschaften allzu bereitwillig transportieren, dann, freilich, erwerben sie damit kaum, nach was ihnen eigentlich dürstete. Der Westen nämlich zwingt Somalier wie Muse, indem er kostbare Fracht unentgeltlich für einen objektiv guten Zweck liefert, sich für eine verquere Form des Kapitalismus einzusetzen und stachelt kaum nur indirekt bereits bestehende Korruption und Plünderungen afrikanischer Ländereien an – abgesehen von den ohnehin weitläufigen Angriffen auf hoher See.

Gleichsam wabert Greengrass in den Schlingen seiner eigens errichteten politischen Verdrossenheit, dem Wissen, es gäbe eine Antwort für das Lazarett des Sozialdarwinismus, und prompt dem Bewusstsein, einer Lösung mangele es zumindest bereits dem eigenen Produkt, „Captain Phillips“. Obwohl Muse und Phillips zunächst noch als Ebenbürtige agieren, bändigt das Drehbuch fortan vermehrt den kühnen Druckkörper Muse’, seine Beständigkeit negiert sich in Verzweiflung und Ineffizienz. Anders gesagt: Alsbald mimt er den treuinfantilen Gelegenheitsfischer, als der er sich selbst gegenüber Phillips ausgab. Die eigentlich fortwährend pointierte Kritik in Greengrass’ Œuvre, sei es nun in der blitzschnellen Sensorik von „Das Bourne Ultimatum“ oder dichter Dokumentation in „Bloody Sunday“, hastet in „Captain Phillips“ zwar im typisch gängelnden Stil Greengrass’ in die Meute, seine Luft genügt dafür jedoch allein den rein filmischen Spannungsherden, weniger den realen, den pochenden Tragödien auf einer Bühne, die wesentlich pompöser ist, als die Gewinnverteilung gen Ende vermuten lässt.

Entgegen seines singulären Titels strukturiert Greengrass seinen Film als bilaterales Porträt zweier Individuen, gefangen in einer Extremsituation. Gänzlich vollenden kann er diese Prämisse mitnichten, dennoch setzt er abrupte wie kulminierende Akzente und trägt sie mittels atemloser Authentizität. Schnitt. Schachmatt.

Meinungen

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