Glück hatte er, der Philip Seymour Hoffman. Keine Paul-Walker-Wiederholung. Kein „Brick Mansions“. Kein Pausensnack. Dafür gab er sich nicht hin. Sondern ehrehrwürdig, gehoben, gar ein bisschen schnittig verabschiedet sich ein Virtuose des ausladenden Bühnenspiels, dessen Physis und das Nonkonformistische einer regen Geste lange Zeit das Weltkino behauptete. Philip Seymour Hoffman spielt Günther Bachmann, einen halsstarrigen Despoten, der zu viel hinter sich hat, um sich jemals in irgendeiner Weise von den Opportunisten seiner Methoden für das Folgende beeindrucken zu lassen, Inszenator einer inoffiziellen, gefürchteten Antiterror-Einheit in Hamburg (das nicht wie Hamburg wirkt), damit die Welt, mehrmals skandiert, sicherer werde. Martialisch, zielpräzise, einschüchternd, listige Mimik, fleischige Hände, die zupacken, anweisen, zeigen: auf Videokameras, Tastaturen, Perspektivausschnitte, Regungen darauf. Das Innehalten des Abschätzens, das Ungefähre einer Möglichkeit, millimetergenau in einen konspirativen Situationsplan gerahmt. „A Most Wanted Man“ ist glücklicherweise nicht jene Art von verwässertem Vermächtnis, die einen Charaktermimen dazu drängt, sich in der Zeit rückwärts zu bewegen. In diesem neuen, letzten, ultimativen Hoffman-Requiem ist er, das Monster, so verletzlich wie seine Beute, noch einmal Philip Seymour Hoffman.

Sein Ego, umspült wird es von Wasser, erdrückt von Alkohol im Glas, das wieder und wieder gehoben, nachgefüllt, abgestellt wird  – wie in der symbolischen Einstiegssequenz, in der eine dreckige Kanalpampe das Becken übersteigt. Schnaps und Kippen definieren diesen Mann, diese Kreatur, die schaut, schnauft, schreit, sich durch die Menge quetscht, beim Klavierspiel die vergänglichsten Töne anstimmt und gebückt, verknappt in einer Maske der Gram sich derart unabgeschlossen und holprig bewegt, als müsste sie sich ständig ihr Leid des Weitermachens vergegenwärtigen. Viel Hoffman rekapituliert Anton Corbijns tiefgefrorener, den Eindruck eines freigelegten Friedhoffilms assoziierender Spionagereißer, die halb verkürzte Kopfdrehung, das donnernde Befehlswort, der Druck im Nacken. Das alles ist unscheinbar, fassadenhaft und regelrecht kontrolliert unter dem Siedepunkt. Hoffman passt sich diesem Film an, dessen entfremdetem, unromantischem Gestus, wenn es darum geht, die großen Fische mit einem kleinen Köder anzulocken, während das narrative Hauptmotiv – die Wahrnehmung, Beobachtung, Informationssicherung – den Beruf des mysteriösen Identitätenwandlers, der sich Leuten anschmiegt, von denen er sich ein Geheimnis verspricht, per se entmystifiziert wird. Spionieren heißt Arbeit, und allzu häufig scheint sich daraus kein Ziel abzuleiten.

Ein Ziel hat „A Most Wanted Man“ durchaus, aber Corbijn lässt seine Stars (von denen William Dafoe als ölig-verdutzter Bankier gesonderte Strahlkraft bezeugt) durch kein Labyrinth stürzen. Der Film huldigt bevorzugt schnelldirektem, aber auch eine Spur zu ausgefranstem Genrekino mitsamt nächtlicher Fußverfolgungen entlang der Nahverkehrsmittel („Dressed to Kill“) und überreizten Spannungszuspitzungen (unterschreibt er oder überlegt er es sich anders?), partiell durchbrochen von pazifistischer Beziehungsmenschlichkeit zwischen einem Ex-Terroristen (Grigoriy Dobrygin) und seiner Anwältin (Rachel McAdams). Zu den extremistischen Ablagerungen einer Religion beruft er sich, seines Zeichens weniger verzwickter Rätsel- denn kausaler Ausdrucksfilm, jedoch auf bierernste Kneipenphrasen und -plattitüden. Unfair wäre es zu behaupten, Corbijn hätte wenig bis gar nichts zu sagen. Aber er füllt jedwede Lücken des Verständnisses, wodurch die fordernde JohnleCarré-Vorlage in kein stimulierendes Kopfkino verfällt (vgl. „Dame König As Spion“), sondern intellektuell fliegengewichtig stets den (schlüssigen) Zugang herbeiführt. Erst infolge des abrupt ausgehangenen Endes traut sich Corbijn die Ellipse zu – es ist das, was uns von Philip Seymour Hoffman bleibt. Er steigt aus, die Kamera folgt ihm längst nicht mehr. In seinem Gesicht hinter der Autofahrertür spiegelt sich eine Reihung an observierenden Fensterornamenten, die große Bühne.

Meinungen

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Bisherige Meinungen

8. September 2014
20:07 Uhr

5 von 10… Das kann ich fast gar nicht glauben. Aber immerhin! Jetzt habe ich richtig Lust den Film zu sehen… Vielleicht teile ich deine Meinung.

Jan
9. September 2014
10:26 Uhr

Die Anwältin ist allerdings nicht Nina Hoss, sonder Rachel McAdams ;)

11. September 2014
18:14 Uhr

Gut aufgepasst, danke! Komplett verwechselt. Ich hab’s korrigiert.

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