Roman Polanski hat mit „Venus im Pelz“ ein Ziel seiner Karriere erreicht: Seit seinem ersten Langspielfilm („Messer im Wasser“, 1962) nagt die Herausforderung an ihm, einen spannenden Film mit nur zwei Schauspielern zu kreieren. 2011 drehte er mit „Der Gott des Gemetzels“ ein viel beachtetes, viel geschlachtetes Kammerspiel mit den Schauspielgrößen Kate Winslet, Christoph Waltz, John C. Reilly und Jodie Foster. Nun halbiert er bei seiner Verfilmung des gleichnamigen Bühnenstücks von David Ives die Anzahl der Protagonisten und bündelt die noch intensivere Spannung zwischen den beiden Agierenden, seiner Ehefrau Emmanuelle Seigner und Mathieu Amalric. David Ives lieferte eine unglaubliche Leistung ab, indem er dieses Bühnenstück schrieb, aber auch Roman Polanskis Inszenierung ist fabelhaft und setzt einen Kontrapunkt zur kommerziellen Gewohnheit, in der Lautstärke und Bildgewalt vordergründig agieren. Er verlegt den Spielort in ein Theater, sodass mehr Flexibilität und gleichzeitig zwei Ebenen resultieren: die Bühne und der Zuschauerraum. Dies lässt sich auf den Inhalt übertragen: Spielen Vanda und Thomas ihre Rollen nur oder sind sie diese?
Inmitten einer schwach belichteten Allee tanzender Bäume lädt die fahrende Kamera in stimmlicher Musik von Alexandre Desplat in die unwiderstehliche Atmosphäre eines leeren Theaters ein. Thomas (Amalric) interpretiert als Autor und Theaterregisseur Leopold von Sacher-Masochs „Venus im Pelz“. Die 1870 erschienene Novelle brachte Sacher-Masoch dank dem Psychiater und Gerichtsmediziner Richard von Krafft-Ebing („Psychopathia sexualis“), äquivalent zu Marquis de Sades Reduzierung auf den Sadismus, dieselbige auf den Masochismus ein. Das Vorsprechen für die Rolle der feminin-dominanten Vanda ist beendet, Thomas ist unzufrieden und sichtlich genervt. Als Vanda (Seigner) im Moment seiner Frustration den leeren Saal betritt, unpassend in ihrem Verhalten und in ihrer fordernden Unbekümmertheit, kommt sie ihm und dem Zuschauer wie der letzte fallende Tropfen vor, der sein Fass der inneren Ruhe zum Überlaufen bringen könnte. Doch wer ist sie? Thomas lässt sich überreden, der dubiosen Schauspielerin eine Chance zu geben und schnell merkt er trotz seiner starken Abneigung, dass nicht nur ihr Name gemäß „nomen est omen“ perfekt ist, sondern ihr Schauspiel und Wesen seinen Vorstellungen so genau entspricht, dass sie beginnen, weitere Szenen des Stückes zu proben.
Das besagte Wesen Vandas, welches Thomas im Laufe des Filmes über die Rolle hinaus kritisiert und idealisiert, ist neben der cleveren Verschachtelung von der Realität des Vorsprechens und der suggerierten Erfüllung Thomas’ innerster Wünsche in seiner wirklichen Existenz äußerst fragwürdig. Polanski lässt nämlich offen, ob sie nicht möglicherweise eine fiktive Gestalt in Thomas’ Imagination ist und sie den weiblichen Teil der Sehnsucht nach dem Ausleben eigens gelesener respektive geschriebener Zeilen verbildlicht. Egal, welcher Interpretation man folgt, die Figuren spiegeln sich in beiden Hauptcharakteren wider, weshalb es einem immer schwieriger fällt, zwischen wahrer und gespielter Emotion zu unterscheiden.
Es sind die verschiedenen Perspektiven, die in der Summe das differenzierte Denken über „Venus im Pelz“ vorantreiben und den Reiz ausmachen. Die französisch-polnische Koproduktion lebt von einer unausgesprochenen Verteilung und Wandlung von Macht. So ist der Regisseur Thomas, die für Schauspieler wichtigste Autoritätsperson eines Filmes, in seiner selbst gespielten Verwirklichung des Drehbuchs absolut machtlos. Vanda übernimmt die Position der Führenden, sie verschiebt die Dominanz der Geschlechterrolle. Das sexuelle Verlangen und die schweigende Erlösung kann in Thomas’ Augen gelesen werden. Er genießt den Schutz der erzeugten, fiktionalen Situation, dessen Determination in seiner Verlobten gründet, die ihre geistliche Omnipräsenz redundant in Form von Wagners „Ritt der Walküren“ als Thomas’ Klingelton zeigt. Doch Thomas durchschreitet diese gesetzte Grenze, weil Vanda ihn mühelos zu seinen inneren Begierden geleitet und er in diesem wirren, androgynen Parallelengeflecht der Tyrannei und Sklaverei nicht mehr entscheiden kann, wie es weitergeht. Vanda hält ihn so in der Hand, dass er alles für eine weitere Zusammenarbeit mit ihr tun würde.
Diese steigende Abhängigkeit drückt sich auch in der Bildgestaltung aus. Aus dem magischen Intro kommend, fängt Polanski realistisch an und wird immer surrealer in seiner gestalterischen Erzählung. Die gebrochenen Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fantasie werden zudem auf die Verbundenheit von Sado-Masochismus und dem Theater transponiert, wenn Wanda sagt: „Nackt auf der Bühne? Kein Problem. Das bekommen Sie von mir gratis. Mit Sado-Masochismus kenne ich mich aus, ich arbeite schließlich am Theater.“ Für Polanski ist die Parodie wichtig, das zeigt sich den ganzen Film hindurch in seinen brillanten Einfällen. So ist „Venus im Pelz“ aber auch definitiv nicht frei von reflektierendem, ironischem Humor und Sarkasmus. Denn Polanskis Vergangenheit ist nicht nur wegen seinen Filmen kontrovers diskutiert, er ist seit dem Vergehen an einer 13-Jährigen im Jahre 1978 durch cleveres Ausreisen unbestraft geblieben, bis auf ein paar kurze Aufenthalte in Untersuchungshaft. Das Opfer (Samantha Geimer) hingegen setzt sich für Polanski ein und leidet nach eigener Aussage mehr an den medialen Konsequenzen seither – ob hier Polanskis Geldbeutel Geimers Wunden heilt, bleibt offen. Jedenfalls stellt er einen persönlichen Bezug zur Handlung her, dabei betonend, dass er diese Art von Fetisch „haarsträubend und sogar gruselig“ findet.
Jeder Mensch hat Geheimnisse, eine versteckte Sexualität. Ist Perversion alltäglicher als man denkt, oder ist nur die Definition von Perversionen so zweifelhaft wie latente Obsessionen eines jeden Menschen?
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Was ist das für eine Kritik, die nicht einmal ein Wort über die boomende und nie dagewesene grausame Pelzproduktion der heutigen Zeit erwähnt, für die dieser Film die Werbetrommel rührt? Tiere werden lebendig gehäutet, aber man unterhält sich über private Perversionen.