Nach Whiskey müssen sie gerochen haben oder vielleicht auch nur nach Bier, nach abgetragenen Hemden und den fremden Betten, welche sie Tag um Tag in Ermangelung einer eigenen Herberge suchten und manchmal fanden – diese Abtrünnigen des sittlichen, geregelten Lebensstils mit Klampfe in der Hand und Melodie in der Brust. Vielleicht lachten sie über die eigene Enttäuschung und nicht vorhandene Karriere, vielleicht weinten sie auch, vielleicht lachten und weinten sie sogar gleichzeitig mit diesem irren, hicksenden Quieken, welches wir einige Jahre später formvollendet auf Film gebannt erleben sollten. Schon immer tauchten die Brüder Joel und Ethan Coen den misslichen Wahn überaus gewöhnlicher Menschen in überaus gewöhnliche Geschichten, die wiederum mit den Rezepten zeitgenössischer Regisseure und Autoren wenig gemein hatten. Schließlich zeugte all die Gewöhnlichkeit eine zutiefst ungewöhnliche Melancholie in dem Streben nach … nun, eigentlich lag darin das eigentlich Absurde aller coenesken Bewusstseinsströme: Denn das Banale und Abseitige interessierte sie jederzeit mehr als eine absonderlich gewiefte Erzählung. In ihren Drehbüchern war dennoch niemand vor der Misere des Lebens gefeit. Wie lakonisch, wie ehrlich.
Nun leuchtet das Dasein eines Musikers in „Inside Llewyn Davis“ vornehm durch die Augen eines Tieres. Apricotfarbenes Fell, blitzend zuckende Lider. Entgegen seines Leihherren faucht diese Katze nie, sie kratzt nicht, fährt kaum die Krallen aus, sie ist eins mit sich und der trunkenem, paffendem Welt um sich; und lässt doch keine Chance ungenutzt aus ihr auszubrechen und allem zu entfliehen. Auf eine seltsam urtypische Form, wie sie nur in den Filmen der Coens noch zu finden ist, formt sie den prädestinierten Sidekick ihres zumindest kurzzeitigen Herrn, dem Folkmusiker Llewyn Davis (Oscar Isaac). Später dann, die Katze ist nach einem Roadtrip nach Chicago längst passé, meint der Impresario Bud Grossman (F. Murray Abraham, eine offensichtliche Anspielung auf Albert Grossman, den Manager Bob Dylans): „Ich höre hier kein Geld“, Llewyn spielte ihm gerade die Ballade „The Death of Queen Jane“ vor. Tatsächlich gibt es wenig Geld im Leben des Llewyn Davis’, verloren in New Yorks Greenwich Village im Winter 1961. Er ist der Inbegriff des alten Witzes: „Wie nennt man einen Musiker ohne Freundin? Obdachlos.“ Mangels einer Freundin schläft Llewyn mit Jean (Carey Mulligan, trifft leichthin drei Akkorde), der Frau seines Freundes Jim (Justin Timberlake) und ist dann gezwungen ihre Schwangerschaft auszubaden, respektive abzuschaffen.
Selbst als er dann das Geld dem eigentlichen Leben vorzieht, prallt er ab von den gesellschaftlichen Normen, soll erst „flüssig“ sein, um überhaupt „flüssig“ zu werden. Der Traum ist so gar keiner, er ist mehr das lächerlich redundante Konstrukt eines scheinbaren Arbeitsverweigerers, der auf einem fremden Sofa die einzige Seelenverwandtschaft gerade in einer Katze findet. Doch selbst die stößt er von sich wie jede Beziehung, jede Verantwortung in seinem Leben. Nicht um die Verlorenheit, die Sehnsucht, Einsamkeit und Tristesse geht es Joel und Ethan Coen, sondern um den Geist der Freiheit in den wissentlichen Klischees der Arbeiterklasse. Noch immer amüsieren sie die schwächsten Seelen, die unglückseligsten Versager in einer Welt voller Unglückseligen, die Mormonen und Juden, die daneben lungernden Alkoholiker und wütenden Kopfgeldjäger, ob nun mit Druckluftpistole oder Schrotgewehr. Sie karikieren das hoffnungslose Dahintreiben in unseren Leben, weil in jedem Einzelnen von uns – wie entfernt auch immer – ein Llewyn Davis innewohnt.
So zeichnen sie die Nebencharaktere in Llewyns Leben aus seiner Erinnerung wie Geister auf der Durchreise. Vielleicht ist dort auch „Inside Llewyn Davis“ am ehesten zu greifen: in der Unsicherheit seines Protagonisten. Für Llewyn repräsentieren seine Bekannten zumeist Hindernisse, die zu ertragen ihn weiter in eine Welt der Verbitterung und Zurückweisung führen. Wir zwinkern, Llewyn zwinkert, und wieder sind sie hinfort – leise instrumentiert unter T Bone Burnetts traditionell amerikanischen Liedgut. Irgendwie grämen wir uns zu sagen, die Coens wären endlich angekommen, denn wie viel weiter als in unsere Herzen sollten wir sie noch leiten? Insgeheim wirkt „Inside Llewyn Davis“ wie die nochmalige Irrfahrt Leopold Blooms in James Joyce’ „Ulysses“, jenes scheinbar unerhört schmalspurigen Episodenstroms, welcher Joel und Ethan Coen schon zu „O Brother, Where Art Thou? – Eine Mississippi-Odyssee“ anleitete. Dabei drängte ihr Credo und gleichsam die Blaupause aller ihrer Werke niemals deutlicher als durch Llewyn Davis selbst. Ihre Geschichten waren niemals neu und werden niemals alt.
Well, I try my best
To be just like I am
But everybody wants you
To be just like them
Allein kreieren Joel und Ethan Coen noch immer unwiderstehliche Güter aus den Sehnsucht pumpenden Venen Amerikas und den streunenden Versagern, Kleinganoven und nun Musikern, welche sich in Hemd und dünnem Cordsakko dem uferlosen Traum und gleichsam Mär des bekömmlichen Ruhmes widmen. Nun sträubt sich in „Inside Llewyn Davis“ zunächst und vermeintlich offensichtlich der bittere Winter durch das Greenwich Village der sechziger Jahre und seine in dieser Zeit geschlossenen Erfolgsknospen. Die Bewohner und insbesondere Llewyn frieren, aber an den mangelnden Mänteln liegt es kaum. Denn sie können schwerlich wissen, woher Glück und die Schwerelosigkeit des Erfolgs kommen mögen – erscheint beides doch unablässig in einer Katze: der Katze der Gorfeins, welche Llewyn in zehn Tagen auf die Probe seiner Geschichte stellt. Diese Katze beißt dem Erfolg den Kopf ab, um ihn dadurch symbolisch im sechzehnten Werk der Brüder zu verankern, als auch die Chiffre aus bisherigen Produktionen neu zu definieren, zu erweitern und flexibilisieren.
Obwohl das Handlungsgerüst spärlich bis gänzlich inexistent zwischen den Zeilen schwebt, fungiert als Taktgeber Schrödingers Paradoxon, ein wiederkehrender Zug, welcher bereits in „A Serious Man“ die Ernsthaftigkeit des titelgebenden Larry Gopnik (Michael Stuhlbarg) umgarnte, seines Zeichens Mathematik- und Physikprofessor. Dort ließ der Prolog um einen vermeintlichen oder vermutlichen Dibbuk, welcher ein jüdisches Ehepaar des Nachts im dichten Schneetreiben aufsucht, nicht nur die Frage zu, ob jener böse Totengeist sich nun wahrhaft eine menschliche Verkleidung überstülpte oder doch schlicht ein Greis bleibt, sondern forderte die simpelste und doch komplexeste Frage aller Filmschaffenden: Was ist Realität, was Illusion? Oder gibt es sogar in der Kunst keines von beiden? Als Larry später seine Studenten in einer Vorlesung konkret mit dem Gedankenexperiment um Schrödingers Katze konfrontiert, zerfällt in ihm die Ahnung von der einen Katze inmitten einer informationsdichten Kiste. Ihr Zustand ist ungewiss. Denn erst in der Beobachtung könnten wir erfahren und festlegen, ob sie lebendig oder bereits tot ist. Bis dahin formt sich ein Vakuum um die Antwort, lässt beide Zustände gleichzeitig zu.
Hinter all der sprunghaften Fahrlässigkeit verbirgt sich allerdings doch nur eine höchst austauschbare wie darin universelle Anekdote über die Machenschaften des Erfolgs. Die Katze der Gorfeins indiziert besagte Kiste, in welcher sie von außen betrachtet sowohl tot als auch lebendig sein kann – zur selben Zeit. Ebenso verhält es sich mit Llewyns Erfolg als Musiker. Die Brüder Coen stellen dieselbe später erweiterte Szene in den Fokus allen, nun, Übels mag es in der hoffnungsfrohen Endsequenz leidlich sein – es meint vielmehr ein Stilmittel zweier Meister der Dopplungen und in ihrem Œuvre eng umschlungener Zitate und gleich gesinnter Motive. Llewyn Davis fand sein Ich bislang nicht, nicht in der uns verborgenen Vergangenheit, so offensichtlich nicht in der vermittelten Gegenwart. Ob er die Leinen von sich wirft, sich von fremden Meinungen und seiner eigenen Egomanie abkapselt? Inmitten dieser zehntägigen Kiste ist alles möglich und alles unmöglich, alles existent und gleichzeitig fern, abstrakt: Die Katze lebt und lebt doch nicht, wie der Erfolg lebt und doch wieder nicht. Das Konstrukt jedoch beherbergt eine gänzlich unkonstruierte Magie, einen Wurfstern über das Herz eines Musikers – er schlägt ein, wirbelt hinfort, bis er wieder trifft. Obwohl die Brüder jenes Mittel bereits gebrauchten, wie sie ebenso spielerisch die Heisenberg’sche Unschärferelation in den Kern von „A Serious Man“ und „The Man Who Wasn’t There“ rückten, präzisieren sie das rein filmische Instrument noch.
Es ist eine gründliche Parabel und darin beinahe ein sanftes Märchen. Es ist die Realität, die schweinisch kalte, die spontane und jederzeit unplausible. „Inside Llewyn Davis“ erzählt von der alltäglichen Langeweile und einem Aufschrei, wir mögen endlich verstehen. Das Leben verstehen? Niemals. Die Liebe? Möglicherweise. Die Musik jedoch? Immer. Joel und Ethan Coen wissen: Das Leben ist Antagonist genug, selbst für einen Film. Daher vermeiden sie Stereotype, sie werfen uns sogar einen Mann vor, der zunächst rechtmäßig vor die Hunde getrieben gehört. Auf Kosten Llewyns lacht der Mittelstand. Ist es nicht, was Musiker tun? Zu unserem Vergnügen schuften? Llewyn präsentiert sich als geborener Taugenichts, obgleich ein intelligenter, talentierter, liebenswürdiger Taugenichts mit massivem Potenzial. Ebenso rau spielt ihn Oscar Isaac, gänzlich ohne ihn besänftigen zu wollen. In seinem Gesicht lugt fortwährend der Schelm hindurch und parallel eine tiefe Trauer.
Es mag ein Film sein, der leicht zu durchschauen scheint, den wir flüchtig mögen, aber schwerlich lieben können. Doch lassen wir ihn einmal in unser Herz ein, dann bleibt er dort, er verweilt und schmiegt seine sanften Katzenpfoten an unsere Ohren. Die mächtigsten Geschichten waren schon immer jene, denen man ihre Größe nicht anmerkt. Sie beherrschen uns einfach, uns und unsere Gedanken, hinein in den Alltag. Am Ende sind wir ganz bei uns. Wir sind angekommen. Ob wir nun Erfolg haben oder nicht: Es spielt keine Rolle mehr. Wir hoffen, Llewyn Davis möge mehr bedeuten, als ein heimat- und obdachloser Musiker mit einer Gitarre und einer Katze. Wie einem alten Freund wünschen wir uns, er möge unseren Rat annehmen, wenn er doch nur zuhören würde. Und wie einem alten Freund, wünschen wir ihm nur das Beste.
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