An das große Geschriebene denkt man, behält es, fesselt es. Abrufbereit. Aber an das kleine Geschriebene, den Pausensnack, die Mitternachtsmahlzeit? Wegwerfbereit. Joel und Ethan Coen ergeht es ähnlich. „Fargo“ (1996), „The Big Lebowski“ (1998) – wie kultig. Die großen Arbeiten der Neunziger, die Höhenflüge, die Geschichten, die schön, die infernalisch schön sind, weil sie sich selbstständig übertrumpfen. Große Arbeiten großer Künstler werden zum Verhängnis für diejenigen, die sich in ihnen vertan und anlässlich ihres monumentalen Momentums in ihnen verloren haben. Um sowohl „Fargo“ als auch „The Big Lebowski“ zum Leben zu verhelfen, Reinheit zu entlocken, Wahrheit auszukratzen, tippten die Coens auf die Schreibmaschine. Aber sie tippten nicht, sie droschen. Buchstabe, Buchstabe, Buchstabe. Das muss groß werden, und das ist groß geworden, nachdrücklich. Blickverstellend. Was war nur davor? Vermag sich jemand zu erinnern? Den aufgeblähten Nebel zu durchbrechen, der das Wahre in Schlieren verschmutzt? Zum Beispiel „Barton Fink“, ein paar Jahre vorher (1991). Ja, genau, „Barton Fink“. Die Coens haben es nie verlernt. Wo andere die Fiktion des Kinos missbrauchen, negieren die Coens die Realitätsschwärmerei des Kinos. Davon kann „Barton Fink“ ein Lied singen, ein Drehbuch abtippen. Auch wenn dies ein buckliger, vorsichtiger, zerbrechlicher Typ von Film ist, so glüht in ihm das Feuer der Idee.

Das „Feuer“ behalten wir im Hinterkopf, denn Barton Fink (John Turturro) ist ausgebrannt, seine Kreativität verglüht, das Fünkchen Eingebung, das den Beginn, den Faden, die Leitbahn einer Geschichte befreit, träge wie ein Stück schwarze, eisenharte Kohle. Zunächst war er erfolgreich, kommerziell erfolgreich, künstlerisch erfolgreich. Das Publikum applaudierte, das Feuilleton idealisierte. Dann kam er nach Hollywood. Auftragstext. Auftragsfilm. Auftragserfolg. Im Haifischbecken untergetaucht. Psychedelische Kapitalisten (Michael Lerner spielt einen separat verquollenen) und arglistige Traumtäuscher (John Mahoney spielt einen separat ausrangierten), die mit der Entwürdigung der Zauberei absahnen wollen, nicht mit den Nöten der Arbeiterschaft. Barton Fink wird schwindlig – in Kalifornien, überall Wüste und Wasser, überwiegt eine dröhnende Schwüle, die seinen Verstand in Wallung versetzt, ohne dass sich daraus Wunder ergeben. „Barton Fink“ treibt den Schweiß aus den Poren und den Kleber aus der Tapete. So wie „Blood Simple“ (1984) und „No Country for Old Men“ (2007). Angesichts seines klimatisch überreizten, surrealistischen Nirwanas ist „Barton Fink“ folglich als ausgereifter Coen-Film eingravierter Verzerrungen zu verorten, der das Karussell aus Intellektuellem, Angelerntem, Vergnügtem, Beobachtendem und Verstiegenem anschiebt, antreibt – unabhängig jedweder profanen Besserwisserei höhergestellter (Kultur-)Bildung.

Ein lustiger Film über lustige Kunst, aber insbesondere offene Kunst, die es dem Betrachter erlaubt, Rückschlüsse zu ziehen, Theorien aufzustellen und Deutungen vorzunehmen. Ironisch dabei ist, dass „Barton Fink“, fulminant entgegengesetzt, hermetisch an einen (Zauber-)Ort gebunden wirkt, der als existenzielle Institution der Geschichte die Schreibblockade des Protaginsten begünstigt und die Coen-Maschinerie mit viel, viel Öl versorgt. Die Stärke, das Könnertum der Gebrüder war seit jeher, dass sie pointiert hinhören, was weggeschnitten wird, und zwar in die Geheimratsecken, in die Tiefen, in die Schluchten diffuser materieller wie innersubjektiver Echos des krummen, abgesunkenen Blickes. Beispiel: Ein Hotel sucht Barton Fink auf, eine billige Absteige, deren Empfangschef (Steve Buscemi) zum Betätigen einer Klingel einlädt, die unaufhörlich nachhallt, ehe ein klappriger Fahrstuhl im Labyrinth der gedehnten, symmetrischen Gänge die Tür zur Seite rüttelt. Fink will einfaches Theater. Und er ist schließlich in eine einfache, ja aussterbende, zittrige Bühnenanordnung geplumpst, in sein eigenes fleischliches Geräuschtheater, das sich fernab von außerweltlichem Treiben der Flüchtigkeit der Zeit ergibt: nach unten hängende, tropfende Tapetenbahnen, zischende Mücken, das brummende Schmatzen öffnender und schließender Türen. Auf die Wand starrend, in der Hölle angekommen, auf den Himmel (der Wörter) wartend.

In welche Schublade also gehört dieser mysteriöse, irrsinnig selbstreflektorische Film weggeschlossen? Er verrät uns scharenweise cleveres Bekennerzeug über die zu schreibende Geschichte und deren abhängige Erzählhaltungen, die Glaubwürdiges, Sozialinteressiertes und Wahrhaftiges fabulieren, simplifizieren, weiterdenken; über den Schmerz, der ihr und dem Schöpfer innewohnt, ein ermattender Schmerz, den jeder kennt, der schreibt und flüchtet. Auch die Coens, gerade die. Ein autobiografisches Offenbarungsmanifest? Auch, aber für jeden. Mehr als eine schnittige, karikatureske Hollywood-Persiflage vertraut sich „Barton Fink“ den Niederungen des gutherzigen, allgemeingültigen Menschendramas in einer künstlerischen und persönlichen Selbstdarstellung an, die an der Rezeption des Dagegenhaltens und des Festkrallens an Verpflichtungen den Teufel (John Goodman?) hereinbittet, während Barton Fink einsieht, dass er nicht der einzig Dumme ist – mit dem Barton-Fink-Gefühl, dem Feuerstrahl gestalterischer Energie, die Massen auf Kommando ins Kino zu geleiten. Joel und Ethan Coen hingegen haben dieses Gefühl auf Leinwand verewigt, obwohl sie dafür lediglich zu tippen brauchten, empfindlich, zaudernd. Dieses Gefühl, dass wir, wenn wir schreiben, fabulieren, simplifizieren, weiterdenken, uns erinnern müssen, an ein süßes Mädel mit Hut, an einen Sandstrand – und an die Wellen, die ihn schäumend umspülen.

Meinungen

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Bisherige Meinungen

8. November 2014
23:44 Uhr

Tatsächlich einer meiner Lieblingscoens :)

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