Ohne auszuschweifen und auszuweichen: „Carrie“ ist ein sagenhaft schlechtes Remake und vortreffliches Anschauungsobjekt dafür, wie das moderne Horror-, Oberflächen- und Wiederkäukino sich auf ewig gleiche Mechanismen beruft, die erste Version der Geschichte, die erste Vision des Grusels, ein generationenübergreifendes Vorbild zu schänden. Beim Begriff „Remake“ (besser: Aufguss, noch besser: Ausfluss) flattern beim klassischen Horrorimitat unendliche Namen durch den Spuk von vorvorgestern, und sie bedeuten wahrlich nichts Gutes. Ob Marcus Nispel, Michael Bay, John Moore, Samuel Bayer oder jetzt auch Kimberly Peirce: Indifferent zwischen Schockstarre und Schüttelfrost, Malen nach Zahlen und Dienst nach Vorschrift, Ausbuchstabieren und Nachbuchstabieren besinnt sich die Formsprache des durchgenudelten Remakes auf das denkbar Einfachste, auf eine Variable, die völlig austauschbar ist. So ganz ohne Identität, Brennen, Verrücktsein, künstlerische Finesse. Ohne Schwindel und Erregung. Als Austausch dafür herrscht Schweigen, Gähnen, Unruhe. Im Kopf, im Kinosaal.

„Carrie“ in der Moderne bedeutet zuvorderst Lautstärke. Ein Wasserspender, fliegende Körper en masse, zersplitternde Türen, kratzen, beißen, schreien, möglichst über den roten Bereich hinaus. Obwohl sich bei Peirces Neurenovierung des emanzipatorischen Psychodramas nichts abschauen lässt, was formal erfindungsreich, im Vergleich zum stilistisch ausladenden De-Palma-Vorgängerfilm schlichtweg neu hinzugedichtet wäre, fällt zuerst die Überakzentuierung der Tonspur auf. Hier ein künstlich verstärkter Jump Scare (Mutter tot, oder doch nicht?), dort der sichtlich hochgeschraubte, verschwenderische CGI-Zerstörungsporno. Neben Internet, Smartphone (na klar) und üblichen Hauruck-Metaphern (Blut auf der Bibel!) weiß der Film um seine Attitüde. „Ihr-Vollidioten-sollt-jetzt-gefälligst-erschrecken!“-Momente geben sich dabei die Klinke in die Hand. Mit dem Kopf gegen die Wand, anstupsen hilft nicht mehr. Die Musik donnert, wartend auf den vermeintlichen Knall. „Carrie“ ordnet sich insofern seinen Brüdern und Schwestern unter. Der Film ist auf Makellosigkeit geeicht, auf eine sichere Nummer. Das macht ihn klinisch.

Die berühmt-berüchtigte Duschszene zum Beispiel. Einerseits jongliert sie mit 1:1-Einstellungen und auswendig gelernten Abläufen aus De Palmas Interpretation des Stephen-King-Romans, andererseits wird die darin symbolisierte Körperlichkeit als existenzielles Kennenlernen des Fleisches ausgesperrt, geschweige denn das Anrüchige, Heikle und doch Normale. Schnitt, eine großformatige Hautfläche, Schnitt. Kann man verklemmter sein? Das ist auch die Moderne, denn „Carrie“ ist gar nicht mehr Verwirrung über die eigene Sexualität, festgehalten in unverstellten, zutiefst ehrlichen Nackt- und Halbnackteindrücken, sondern vielmehr glänzender Schönheitsfetisch wie aus dem Ei gepellt, faltenfrei, selbstverständlich hygienisch.

Chloë Grace Moretz (Schmollmund, Unschuldsblick, Kleinkindwut) verkörpert sinnbildlich dafür eine viel zu hübsche, viel zu putzige Mittelklassestreberin, um als Knotenpunkt des Mobbings durchzugehen, während ihre Peiniger, sie glitzern und fummeln exzessiv, Wunder des Make-ups darstellen. Hier regiert die Gegenwartsoberfläche des Zeitgeistes in mehrfacher Hinsicht, sanfte Lieblichkeit hauptsächlich, die des Öfteren mit der aus dem Original an manchen Stellen gezwungen durchschimmernden Hässlichkeit einen unbewussten Konkurrenzkampf austrägt, sobald sich Mutter (Julianne Moore ist viel zu routiniert, als dass sie eine Mittelmaßrolle in den Sand setzen könnte, selbst mit fettigen, langen Haaren) und Tochter auf Leben und Tod duellieren.

Naheliegender wäre, ähnlich blutleer zusammengestutzte Kommerzplatzhalter wenigstens als veritablen Trash zu goutieren. Pustekuchen! Das wird beim „Carrie“-Remake wohl oder übel schwierig. Peirce hält sich zwar dichter an die King-Vorlage, kopiert Station für Station, Beziehung für Beziehung, aber trotz einigen treudoofen Stilblüten (Telekinese lässt die amerikanische Nationalflagge wehen!) nimmt sich der Film dementsprechend automatisch ernster als ernst, was sich darin spiegelt, dass jede Szene mit ebenso pathetischem Religionsgewäsch wie nervtötendem Smalltalk totkommentiert wird. Brian De Palmas Film war, ungeachtet aller erzählerischen Makel, Kino in Bildern. Kimberly Peirces Kino dagegen verweigert Kino in Bildern, verweigert Kino per se: Dort quatscht Tommy (Ansel Elgort) beim gemeinsamen Tanz unentwegt auf seine Partnerin Carrie ein, deren Rache spätestens zu diesem Zeitpunkt keinen mehr überrascht. Diese (scheinbaren) Nebensächlichkeiten formulieren das Dilemma vieler Remakes: Es wird nur noch geschaut, bestätigt, nicht gesehen, gedeutet. Einmal Grauen und Aufregung, bitte!

Meinungen

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