Moderne Nationalstaaten definieren soziale, psychologische Konstrukte; in ihrer Essenz erläutern sie vereinbarte Lügen. Denn die festgelegten physischen und abstrakten Grenzen des Staates und Bündnisse zwischen Menschen formen keine gemeinsam bedingte Realität: Sie bleiben Anordnungen des Eigennutzes, der Selbstsucht und Notwendigkeit. Es scheint, als stelle David Milchs zweite Staffel über das plötzlich gemeinschaftliche Goldschürferlager „Deadwood“ einen definiten Beitrag dieser Wahrheit und gleichsam ein Porträt gebildeter und zu bildender Gesellschaften dar. Nicht nur lügen wir, wie unsere Staaten entstanden – durch Gewalt, Betrag und all jene Übeltaten –, sondern vielmehr blinzeln wir unserer Nation andächtig entgegen, wenn in aller Ehrlichkeit eine „Nation“ doch lediglich eine Idee vermuten lässt; ein abstraktes Konzept, welches uns selbst im Kampfe und im inbrünstigen Glauben an es, nun, niemals lieben kann.

Die Gemeinschaft mag lediglich eine Idee sein, aber wie es sich für sie zu kämpfen, zu vögeln und trinken lohnt, wie wir in der Strangulation an eine Struktur wachsen und eine Familie in den kollabierenden Strukturen jeder Freiheit finden. Wann auch immer die Zyniker und Trunkenbolde statt zum Wohle der Gemeinschaft aus Habgier und unfreigebigen Motiven handeln, gerät das Treiben in „Deadwood“ aus den Angeln, die bislang nur eine lose Befestigung bildeten. Noch schimmert inmitten des Lagers ein bösartiger Überlebensinstinkt und eine unvollendete Macht in den von Kugeln zerrissenen Herzen, welche später wenigstens noch Schweine nähren. Da mäandert der endlich zum Sheriff rekrutierte Seth Bullock (Timothy Olyphant) in den holprigen Kulissen zwischen seiner just angekommenen Frau Martha (Anna Gunn) und der Liebelei zu Alma (Molly Parker) und entgeht den Problemen im Lager zumindest kurzzeitig. Währenddessen siecht der Besitzer des Saloons und Bordells „The Gem“, Al Swearengen (Ian McShane), beinahe an Nierensteinen dahin, versagt seine Krankheit und notwendige Behandlung zu erkennen. Beide missen in ihren eigenen Problemen die zerfasernde Struktur innerhalb der ohnehin unruhigen Konfliktherde – sie pissen manchmal nicht nur sprichwörtlich Blut.

Denn „Deadwood“ konfrontiert fortwährend das Individuum mit den prominenten Motiven einer nahenden Staatsmacht und darin die Kollision ursprünglicher Formationen mit jenen kommenden, die, sollten sie irgendwann eine Struktur aus Unrecht bergen, all die Vorurteile räumt. Pulverisierte die erste Staffel noch eine Splitterbewegung mannigfachster Charaktere, uneinig über ihre Überzeugungen, setzt Milch in der Weiterführung darauf, Akzeptanz zu etablieren und Rollen in einen weitläufigen Kontext zu drängen. Al billigt seine Position als scheinbarer Bürgermeister Deadwoods, Seth die Pflicht, er müsse Sheriff sein. Schließlich sprengen äußere Eingriffe die politischen Dimensionen aller führenden Bürger und es fühlt sich an, als ob es nur eine Frage der Zeit bliebe bis alles explodiert. Unsichtbar treten sie zutage: der gierige Goldmagnat George Hearst (Gerald McRaney) ebenso wie die von den Pinkertons angeheuerte Miss Isringhausen (Sarah Paulson) und sie beide strecken ihre Fühler aus, „Deadwood“ in den zwanghaften Umbruch zu leiten. Wäre Al nicht gewitzt wie er ist, hätte Isringhausen ihn bereits mit ihrem Willen umgarnt – doch er begreift sie und ihr Schema und realisiert die Gefahr durch die ominösen Pinkertons für die noch fahrige Gemeinschaft.

Nahezu jeder in „Deadwood“ kollabiert infolge an hausgemachten Träumen und irreparablen Ängsten. Die Welt und ihre Insassen laufen in ihrem fiktiven und realen Irrsinn blind in jene Konflikte nur vermutet höherer Kräfte. Hearst und die Pinkertons fungieren als katalysierende Faktoren, lassen jedoch einen Welleneffekt entstehen, der mehr und mehr Probleme kreiert. Doc Cochran (Brad Dourif) erzürnt die Misshandlung mehrerer asiatischer Prostituierte, bittet sogar den Geschäftsmann Cy Tolliver (Powers Boothe) sie kostenlos behandeln zu dürfen. Dem Tod können sie nicht entrinnen – Mangelernährung wirft sie unter die staubtrockene Erde. Unwesentlich besser ergeht es Mr. Wu (Keone Young) und mit ihm dem asiatischen Geflecht von „Deadwood“. Sogar der gutherzige Charlie Utter (Dayton Callie), der bisweilen wirkt, als könne er keiner Fliege zu Leibe rücken, geht auf den Geologen Francis Wolcott (Garret Dillahunt in seiner zweiten Rolle, nachdem er bereits mit Jack McCall den Mörder Wild Bill Hickoks verkörperte) los und prügelt ihn unerbittlich, da er drei Prostituierte im Bordell tötete.

Vielleicht die offensichtlichste Schädigung einer äußeren Macht bildet jedoch die Erweiterung der Zivilisation. Langsam kriechen Telegrafenmasten dem Lager entgegen und der Telegrafist Blazanov (Pavel Lychnikoff) kommt an. „Deadwood“ mag sehr bald von den Vereinigten Staaten absorbiert werden. Allein Hearsts bloßes Interesse an der Stadt lässt vermuten, das Lager gehe wesentliche Schritte in das gespaltene Meer aus Einigkeit und Fortschritt und versinke in nicht allzu ferner Zukunft darin. Selten bekämpfen die Bürger von „Deadwood“ jene Eingriffe in ihren Lebensstil, welcher symptomatisch für ein Jahrhundert der Fäulnis und des Dahinraffens stand. Obwohl die Handlungsräume nunmehr einen zu enormen Freiraum erfahren, der just aus einer Begrenzung dessen spross, genügt David Milch noch immer nicht dem Effet und darin ebenso nicht einer Litanei in Aktionen. Jederzeit sabbeln und zerren seine Marionetten, sie fluchen einander in eine andere Hölle auf Erden. Das Spiel um Nebenschauplätze und bislang winzige Erzählungsstränge, die unnötig maximiert werden, lähmt die zweite Staffel bisweilen, doch niemals stagniert sie, sie treibt noch immer die Lust einer seriellen Perfektion an. Pures Erzähltheater.

Als Al zu Beginn der Staffel erkrankt, wandelt sein Bordell und die Einwohnerschaft des Lagers ohne das Licht Luzifers hoffnungslos in der Dunkelheit. Dan Dority (W. Earl Brown) erzählt der Hure Trixie (Paula Malcomson), er wäre vor Al, „eine Kreatur gewesen, die auf Hinterbeinen läuft“. Dies ist eine Referenz an den „Laternenträger“, der eine Zivilisation in die Menschheit bringt und ihr gleichzeitig den vorzivilisatorischen, tierischen Zustand nimmt. Schon im Finale der ersten Staffel bringt Al seinen neusten Mitarbeiter dazu den Richter umzubringen, der ihn an den Kragen wollte. Am Ende hütet er siegessicher seinen Saloon – eine Laterne nahe bei ihm leuchtend. Letztlich eint sie die Tragödie. Schließlich enden sie beinahe alle in einem zwangsverordneten Verkauf ihrer Claims, welchen Wolcott in einer hinreißenden Symphonie der Gerüchte und Lügen im Lager einfädelt. Bevor die Regierung ihnen das Land nimmt, scheffeln sie lieber Kohle. Wer könnte es ihnen verdenken, diesem armen Ungeziefer?

Umsetzung für das Heimkino

Entgegen der von Warner Home Video in den Vereinigten Staaten herausgegebenen Fassungen setzt Paramount Home Entertainment bei dieser Blu-ray zur zweiten Staffel von „Deadwood“ wie gewohnt auf eine Umsetzung ohne zusätzliche Audio-Kommentare, Interviews, ein Making Of oder Booklet. Das Keep Case enthält drei Discs mit jeweils vier Folgen, die in Deutsch und Englisch in DTS-HD MA 5.1 und Französisch in DTS-HD MA 2.0 abgespielt werden können. Die Wahl besteht zusätzlich zwischen acht Untertiteln. Der Ton wirkt noch immer schwach im Bass, konnte ansonsten jedoch durch seine dem Bild ebenbürtige Klarheit überzeugen. Die erste Fassung der Kaufversion weist leider einen asynchronen Ton der Originalspur in Englisch auf, worauf bei Kauf geachtet werden sollte. Paramount Home Entertainment wurde darüber bereits informiert und hat den Veröffentlichungstermin auf den 22. November verlegt.

Meinungen

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