„Fight Club“ wird zu sehr auf den vermeintlich politisierten Kernaspekt alternativer Gesellschafts- und Gruppenmodelle reduziert. Treffender ist es vielmehr, dass sich der Erzähler (Edward Norton) wie der Zuschauer ähneln: den Worten Tyler Durdens (einmal faszinierend, einmal angewidert) lauschend, vergessen beide, was sich dahinter verbirgt. Oder wollen es vergessen. Und achten auf die Kampfbegriffe, lassen sich von ihnen verführen. Das ist filmisch, mit allen manipulativen Mitteln, die David Fincher zur Verfügung standen, treffender umzusetzen als innerhalb des literarischen Duktus – die über neuronale Empfindungen mäandernde Einstiegssequenz ist allein paradigmatisch insofern, dass es sich um eine subjektive Erzählung handelt, die an ihre Grenzen gelangt, umso allgemeingültiger Tyler (Brad Pitt) seine Philosophie für Fight-Club-Gruppen quer über den Kontinent formuliert.

Interessanter erscheint es, wenn das Entstehungsjahr eine Zeitgeistmotivik herleitet: 1999. Die objektive Erzählung hat ausgedient, das Leben eine „Karte“ (splitternder Bezugspunkte). Jean Baudrillard schrieb gar vom Verschwinden der Wirklichkeit, gekoppelt ist der daher entkörperlichte Mensch an digitale Entwicklungsstufen. „The Big Lebowski“ erschien ein Jahr früher. Beide verhandeln ironischerweise ähnliche Seinsfragen angesichts einer latent zivilisatorischen Unordnung, der eine auf eine lockere, der andere auf eine zynische Weise: Es geht um den postmodernen Menschen kurz vor der Jahrtausendwende. Fincher abstrahiert dies zum Extrem, wenn er den Erzähler, gefangen in einer für Fincher klassisch patriarchalischen Ordnung, in die Zeichenhaftigkeit zwingt. Anonym, willig, funktionierend. Leben als Werbefläche und -bande. Dass dabei zwangsläufig eine Entfremdung des Selbst und die Sehnsucht nach Aufgaben entsteht, die den Erzähler vom Zeichen zurückverwandeln in ein denkendes und erkennendes Subjekt, setzt den Schwerpunkt für Fincher, diesen Ausbruchsversuch (Tylers Ideologie) als Ideologie über die postmoderne Erzählung an sich zu tarnen. Darin liegt der Trick.

Nirgends feiert Fincher „seinen“ Tyler; dessen Worthülsen sind derart plakativ in existenzialistisches Bonbonpapier gewickelt, die Gewalt so abscheulich gefilmt, dass es sich hierbei nur um anziehende, aber mit tiefen Rissen versehene Gedankengebäude handeln kann. Tyler repräsentiert stattdessen David Fincher, jenen Regisseur, der die Erzählung geschickt manipuliert. Großartig der reingeschnittene Penis, denn Fincher ist unsäglich humorvoll. Der Film gibt uns endgültig zu verstehen, dass Tylers Wahrheiten über seinen utopischen Traum, zum Nullpunkt zu gelangen, Kinoüberschuss darstellen. Betrug am Zuschauer, am Erzähler. Das „Bild“ (die Textur) wird in „Fight Club“ fortwährend manipuliert, die Ideologie schlägt ständig um, dem Geschehen angepasst. Sobald Fincher sogar nationalistische Dogmen aufs Korn nimmt, stirbt kein einziges Lachen mehr ab. Eher ist „Fight Club“ eine Warnung, wie raffiniert wir instrumentalisiert werden können, diesen Film (im Film) aus einem falschen, verzerrenden Blickwinkel zu betrachten. Dafür ist Tyler Durden (als Regisseur) zu überzeugend, dafür ist David Fincher (als Regisseur) zu überzeugend. Und dafür ist das Kino in seinen fiesesten Winkelzügen zu überzeugend, uns fälschlicherweise etwas denken zu lassen, das in den Bildern hinter den Bildern verborgen liegt, aber kontinuierlich konterkariert wird.

Das Ende selbst hätte empathischer gar nicht sein können. Was gibt es Schöneres, als sich, verliebt, an den Händen zu fassen? Kurz bevor sich unser Erzähler, das Objekt, die Projektionsfläche, angreifbar für jeglichen Alternativmief, seinem anderen Ich entledigt hat und diesbezüglich endlich zu seinem wahren Ich gelangen kann, indem er erstmalig selbstständig fühlt und denkt? Menscheninteressierter kann so ein destruktiver Film gar nicht enden (vergleiche das Ende von „Sieben“). Tyler Durden hat verloren, die postmoderne Erzählung ist gleichfalls explodiert. Im wahrsten Sinne des Wortes. Früh allerdings wurde klar, dass Tyler verliert – „Fight Club“ ist kein ideologisches Manifest, sondern ein theoretischer Ideenentwurf. Er hat auch 1999 noch an den Menschen als Souverän geglaubt, in einer Zeit, in der eigentlich das Zeichen wichtiger wurde als der, der davon abgelöst wurde.

Meinungen

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