Psst, nicht verraten, wie’s ausgeht! Selten ist es angebrachter als in diesem Fall, eine etwas genauere Handlungsbeschreibung Uneingeweihten gegenüber zu verschweigen. Denn David Finchers Roman-Adaption „Gone Girl“ packt schon knapp vor der zweiten Hälfte der Laufzeit einige Wendungen aus, die den Spieß des allgemeinen Eindrucks zum Film (durch Trailer, Promo-Material, Genre-Erwartungen) gewitzt umkehren und mit schnörkellosem Sarkasmus reflektieren, doch ebenso mit dringlichen Würzungen der Fall-Auflösung anzureichern wissen. Aber versuchen wir einmal, um das intrigante Plotting herum zum Kern der Angelegenheit zu kommen und fangen wie der Film selbst mit einer Ausgangslage an, die uns allen wohl bekannt vorkommt: Eine Person ist verschwunden – genauer gesagt die Ehefrau von Nick Dunne (Ben Affleck), Amy (Rosamund Pike; über deren Charakter man hier besser am wenigsten offenbart, nur so viel: schön, sie in einer ihrer wenigen bisherigen Hauptrollen gleichzeitig verzaubernd und messerscharf glänzen zu sehen). Daraufhin wird die gängige Routine investigativer Ermittlungen aufgerollt und natürlich auch die Vergangenheit des Autoren-Paares intensiv beleuchtet (dessen Profession schon ohne große Erklärung spätere Verhaltensmuster nachvollziehbar macht und damit eine der vielen schlauen, weil unaufdringlichen Nutzungen narrativer Reinkoorperation in diesem Film ist).
Doch schnell merkt man, dass hier etwas anders und abwegiger läuft als sonst (beispielsweise im Vergleich zu Denis Villeneuves finsterem Entführungsdrama „Prisoners“): Schnitt und Kamera arbeiten mit gnadenloser Präzision, gehen nicht auf Distanz, sondern schießen stets direkt-emotionslos und flott aufs Objekt des Interesses ein, währenddessen der Charakterstab einen abgeklärten und ungeschönten Menschenumgang pflegt, der schon gewisse Vermutungen andeutet, gefolgt von irgendwie gestelzt wirkenden, weil viel zu verdächtig-pointierten Rückblenden, die aber das noch immer recht glaubwürdige Bild einer sich langsam zersetzenden Ehe zeichnen – schließlich macht man sich als Zuschauer zwangsläufig auch Gedanken des klassischen Whodunit und der Film lockt einen dabei in reißerischer Verführung auf aufschlussreiche Fährten; ganz elegant und dennoch schamlos-fixiert auf seine Figuren, speziell was den Ehemann angeht. Letztendlich zeichnet sich das alles auch auf das öffentliche Bild seiner Person ab, welches anhand noch so kleiner Fauxpas in den sensationalistischen Medien ausgeschlachtet wird und ihn zwangsläufig zum Verdächtigen macht, wobei sich natürlich auch noch die wahrhaftig ungünstigen Indizien gegen ihn auftürmen.
Aber hinter allem steckt ein extrem perfider Plan, voll mit Verschwörungen und Heucheleien. Mittel der Illusion, des Betrugs und der Manipulation werden nicht nur am kriminalistischen Prozedere selbst ausgeübt, sondern auch am Publikum vonseiten der Filmemacher aus. Blanker Nihilismus ist an der Tagesordnung, die etablierten Systematiken von audiovisueller Vermittlung dienen hier ausschließlich dem Machtkampf der Meinungsbildung, zur rufschädigenden Hexenjagd oder auch zur emotionalisierten Sympathie-Ergreifung. Allen wird ein verallgemeinertes, wiedererkennbares Stigma aufgedrückt: Ehebrecher, Mörder, Darling, Opfer, Zeugin, Amazing – eben das, womit sich der Medienzirkus effektiv verkauft und im Alleingang Geschichten erbauen, Personen ins Lampenlicht stellen und zerbrechen kann. Fairness ist da Mangelware; das muss man einsehen, für sich akzeptieren, aber auch bestenfalls bar jeder wahren Moral nutzen. Ideal für letztgenannte Rolle ist Ben Affleck besetzt, den Regisseur Fincher ohnehin extra ausgewählt hat, weil er unter anderem jahrelang als lebendes Hassobjekt die Schelte für Flops wie „Daredevil“, „Gigli“ und „Jersey Girl“ empfing, auch in seinem zur Schau gestellten Privatleben mit Argusaugen bewertet wurde und jüngst nochmals aufgrund seiner Besetzung zum neuen Batman (vor allem im Internet) Skepsis und Aufregung, sogar eine regelrechte Petition gegen ihn auf sich nehmen musste. Alles, obwohl er sich inzwischen schon längst, nicht nur mit seinen Regiearbeiten, als fähig erwiesen hatte.
Finchers Film ist aber trotzdem vom inneren Prinzip her schon keine rührselige Plattform für Affleck geworden, um sich als Opfer darzustellen (höchstens nochmals eine zur Einschleusung seines „Argo“-Buddies Scoot McNairy), immerhin umweht ihn in diesem Film noch immer der Hauch eines drolligen Versagers, der subversiv-bestialischen Umständen ausgeliefert ist, aber scheinbar auch selber genug Dreck am Stecken hat. Da bleibt „Gone Girl“ ein hämischer Eigenbrötler, der sich erst recht nicht zu schade ist, einen ganzen Witz aus der eigentlich furchtbaren Situation zu machen und satirisch-bittere Formel-Dekonstruktion zu betreiben. Eiskalt führt er dabei auch den Zuschauer selbst vor, indem er in entscheidenden Szenen – die man vom Genre zu gern erwartet – bewusst eine kathartische Stilisierung anzettelt (dem Score von Trent Reznor und Atticus Ross sei Dank) und damit eine emotionale Reaktion im Hirn auslöst, welche aber zunehmend verstört wird, da man sich unweigerlich, doch von vornherein wissend, mit der zynisch-konstruierten Falschheit der Situation konfrontiert sieht. Aber davon abgesehen versorgt einen der Film noch immer mit fesselnden Spannungsspitzen, ungehaltenem Sex-Appeal und einem Mindestmaß an blutig-böser Brutalität. Die Bedingungen aber, unter denen sie geschehen, sind alles andere als unschuldig und spielen meisterhaft – nicht mal verachtungsvoll, weil aus clever-kohärenter Selbstverständlichkeit erarbeitet – mit dem Erfassungsprozess (mehr oder weniger angestrengter) menschlicher Vorstellungskraft. Das darf man schon weitersagen …
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