„Detective? Detectiiiiiiiiive!“, schallt es laut durch die Eingangshalle der Polizeistation. Der gesuchte Serienkiller John Doe gibt sich erstmals zu erkennen. Schock. Gänsehaut. Es ist nur einer der zahlreichen ikonischen Momente in David Finchers Thriller-Meisterstück „Sieben“, in denen der Puls des Zuschauers ruckartig in die Höhe schießt und sich großes Unbehagen breitmacht. Seit nunmehr fast zwanzig Jahren existiert dieser trostlose Brocken von einem Kriminalfilm bereits. Zeit für eine Lobeshymne. Die Story ist in ihren Grundzügen recht schnell erzählt: In einer verregneten, amerikanischen Großstadt treibt ein perfider Serienkiller sein Unwesen. Die Besonderheit: Seine Opfer haben eine der sieben Todsünden begangen und werden dafür von ihm auf brutalste und unmenschlichste Weise bestraft. Es liegt nun an dem jungen Detective Mills (Brad Pitt) und seinem fast pensionierten Kollegen Somerset (Morgan Freeman), dem Killer auf die Schliche zu kommen. Doch dieser verhält sich extrem clever und scheint den beiden Polizisten stets mindestens einen Schritt voraus.
„Sieben“ ist keineswegs der einzige oder gar der erste Film, in dem ein Ermittlerteam es mit einem scheinbar überlegenen Widersacher zu tun hat. Doch kaum einem anderen Genrevertreter gelingt es dermaßen gut, das abgrundtief Böse auf solch eine bestialische und verstörende Art und Weise darzustellen, ohne allzu viel explizit zu zeigen. Es läuft nahezu alles im Kopf des Zuschauers ab. Wie die beiden Detectives sieht er nur die Auswirkungen einer Tat, nicht aber die Tat selbst. Entgegen dem Trend der Jahre später erschienenen Welle an berüchtigten Torture Porns, setzt Fincher häufig auf Suggestion. Doch nicht nur in diesem Punkt ist sein Film deutlich cleverer, subtiler und daher umso packender als der Großteil der Genrekonkurrenz.
Finchers Gespür für atmosphärische und düstere Bilder ist eines seiner Markenzeichen. In „Sieben“ ist davon an jeder Ecke etwas zu spüren. Ob in der schaurigen Eingangssequenz zum Thema Maßlosigkeit oder einer wackelig gefilmten, rasanten Verfolgungsjagd zwischen Detective Mills und John Doe: Jede einzelne Szene ist herausragend bebildert und musikalisch passend unterlegt. Zum Luftholen ist kaum Zeit, Mills und Somerset stürzen von einem Albtraum in den nächsten, die Schlinge um den Hals zieht sich immer weiter zu. Doch auch die zwischenmenschlichen Töne, wenn sie denn auftreten, wissen zu gefallen. Als Somerset und Mills sich mit dessen Frau Tracy (Gwyneth Paltrow) zum gemeinsamen Abendessen treffen, erfährt der Zuschauer einen der rar gesäten Momente zum Durchatmen. Die Sympathie der Figuren zueinander ist nicht zu übersehen, Small Talk wird betrieben, gemeinsam gelacht, gegessen und getrunken. Doch viel Zeit zur Entfaltung einer wirklichen Freundschaft bietet ihnen der grausame Kriminalfall nicht. Jegliche Wärme wird schnell durch den nächsten Tatort erstickt. Unmenschlichkeit – eines der stets präsenten, nur selten durchbrochenen Themen in diesem Film.
Das Schauspiel-Ensemble ist ebenfalls zu loben. Morgan Freeman gibt hier, wie so oft, eine durchaus weise, vom Leben gezeichnete Figur. Doch im Gegensatz zu seinen oftmals schon naiv-positiven Rollen, die er später übernehmen sollte, zeigt er in seiner Figur des alternden Somerset, dass die Grausamkeit einer solchen Mordserie auch nicht spurlos an einem erfahrenen Detective vorübergeht. Finstere Mienen mischen sich unter seine sonst so warme Ausstrahlung. Kongenial ergänzt wird er dabei von Brad Pitt, der den aufbrausenden Mills auf wunderbare Weise verkörpert. Fassungslosigkeit, Enttäuschung, blinde Wut, fast schon jugendlicher Leichtsinn: All diese Emotionen ruft Pitt in seiner Figur ab und stellt sie so als unausgeglichenen Gegenpunkt zu dem Ruhepol Freeman dar. Um diesem Top-Duo als Bösewicht die Stirn zu bieten, braucht es schon eine wahrhaft große Schauspielleistung. Ohne allzu viel zu verraten (sollte man den Film tatsächlich noch nicht kennen): Auch das gelingt diesem Film auf nahezu perfekte Weise.
Man liest es sicher schon raus: Sieben ist ein wahrer Lieblingsfilm. Hier passt alles. Kamera, Settings, musikalische Untermalung. Gepaart mit der an sich schon spannenden Thematik und den starken Schauspielern entfaltet der Film eine Sogwirkung, wie es nur wenigen seiner Art davor oder danach gelungen ist. Mitfiebern ist untertrieben. Mitschwitzen ist angesagt, auch nach mehrmaliger Sichtung. Die Nerven zerrenden letzten dreißig Minuten markieren den Höhepunkt und münden in einer Schlusspointe, die mitten in die Magengrube schlägt. Einmal gesehen, nie wieder vergessen. 130 Minuten Achterbahnfahrt mit Nachwirkung. Neo-Noir, Psychothriller, Kriminalfilm, wie auch immer. Meisterwerk, so oder so.
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