Nachdem man „Die Tribute von Panem – Catching Fire“ gesehen hat, wird man, ganz wie der Titel verspricht, Feuer fangen und das Kribbeln verspüren, unbedingt die Auflösung jener neuen, sagenumwobenen Trilogie auf der Leinwand mitzuerleben. Natürlich ist der dritte Teil von Suzanne Collins’ Romantrilogie um die Welt von Panem noch nicht im Kasten, aber die Weisheit aller Trilogien scheint sich zu bewahrheiten: Der zweite Teil ist immer der stärkste. Wer nach dem ersten Teil noch skeptisch war und „Die Tribute von Panem“ als kindlich-naiv abgetan hat, wird nun eines Besseren belehrt.
Die Diktatur Panem bietet traditionell Brot und Spiele (panem et circenses), um sein Volk bei Laune zu halten, und verbreitet mithilfe medialer Inszenierung Angst. Während das Kapitol die Hungerspiele feiert und seine reichen Bürger Brechmittel nehmen, um so viel wie möglich zu verschlingen – das Bild des römisch-dekadenten Purgatoriums liegt hier alles andere als fern – leidet die Bevölkerung aus den umliegenden 12 Distrikten unter Armut und Hunger. Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) und Peeta Mellark (Josh Hutcherson) können sich nach ihrem gemeinsamen Sieg über die letzten Hungerspiele zumindest halbwegs in Sicherheit wiegen, doch gleichzeitig ist Katniss, „das Mädchen, das in Flammen steht“, zu einer Figur der Hoffnung, einem Sinnbild der möglichen Rebellion gegen die Diktatur des allüberwachenden Kapitols geworden. In den Distrikten werden Revolten geplant, die Bürger leisten vereinzelt Widerstand gegen das Militär. Rote Graffitis, die den Spotttölpel abbilden, schmücken nun die sonst so grauen Distrikt-Mauern. Keiner hätte ahnen können, dass jene goldene Spotttölpelbrosche, die Katniss von ihrer kleinen Schwester Prim (Willow Shields) als Talisman erhielt, zu einem Symbol des Untergrunds werden würde.
Bei den 75. Hungerspielen, dem Jubel-Jubiläum, welches nur alle 25 Jahre stattfindet, soll alles anders werden. Präsident Snow (Donald Sutherland) erkennt nicht grundlos die Gefahr, die von Katniss ausgeht und so vereinbart er mit dem neuen Spielmacher Plutarch Heavensbee (Philip Seymour Hoffman), einem undurchschaubaren, gnadenlos wirkenden, desillusionierten und machthungrigen Charakter, die Spielregeln dramatisch zu ändern. Um Katniss auszulöschen und der Bevölkerung Panems zusätzlich vor Augen zu führen, dass sie nicht länger eine von ihnen ist, wird der perfide Entschluss gefasst, die bisherigen Sieger der Hungerspiele gegeneinander antreten zu lassen. Als Katniss und Peeta realisieren, dass sie nur ein Jahr später wieder in der Arena des Kapitols ihren Tribut für Distrikt 12 zollen müssen, bricht ihre Welt zusammen.
Die nun antretenden Gegner des Paares sind keine Kinder, die bereit sind, ums Überleben zu kämpfen, sondern erfahrene Killer. Nichtsdestotrotz scheint jeder der 24 Teilnehmer alles andere als begeistert von den neuen Regeln zu sein – allem voran die zornige Johanna Mason, gespielt von Jenna Malone („Donnie Darko“, „Into the Wild“), Siegerin und Tribut aus Distrikt 7. Die Teilnehmer müssen sich Snows Willen beugen und das Blutbad beginnt: Keiner scheint länger zu wissen, wer Freund und wer Feind ist. Dass sich „Die Tribute von Panem“ der Welt von Aldous Huxley, George Orwell und römischen Heldensagen und Gladiatorenspektakeln im Stile Spartakus’ bedienen, ist keine Überraschung, dennoch kreiert Collins ein eigenwilliges Potpourri, welches Regisseur Francis Lawrence und die Drehbuchautoren Simon Beaufoy und Michael Arndt gekonnt auf die Leinwand zu bringen vermögen, diesmal bei weitem erfolgreicher als es noch 2012 der Fall war.
Wer Collins’ Trilogie nicht gelesen hat, wird sich bei „Die Tribute von Panem – Catching Fire“ warm anziehen müssen, denn die Adaption von Francis Lawrence ist auf unerwartete Weise schonungslos und brutal. Die Charaktere werden zunehmend psychischen wie physischen Torturen ausgesetzt – und dies beschränkt sich bei weitem nicht auf die 24 Tribute. Auspeitschungen, Folter, Totschläger, Schießkommandos, Szenen, die einer realen Diktatur kaum in etwas nachstehen, sind hier an der Tagesordnung. Indessen spielt die Liebe im zweiten Teil der Trilogie eine noch größere Rolle als im ersten. So viel sei an dieser Stelle bereits verraten: In Katniss’ Brust schlagen zwei Herzen zur gleichen Zeit. Dies wird sie im Kampf ums Überleben auf eine qualvolle Zerreißprobe stellen, denn in einem Kampf um Gerechtigkeit soll es die Liebe sein, die auch dem Schwächsten die Schwingen eines Spotttölpels verleiht. Wobei das Drehbuch hier leider zur Übersentimentalisierung neigt, dennoch lässt es den sonst so starken Charakter der Katniss nicht an Glaubwürdigkeit einbüßen, sondern macht sie menschlicher.
Insbesondere die Darstellung dieser Figur durch Jennifer Lawrence ist stärker, schöner und amazonenhafter. Sie entpuppt sich als fabelhafte Heldin. Wohingegen die erste Verfilmung die Ambivalenz ihrer Figur noch nicht recht greifen konnte, wird gerade im zweiten Teil endlich der Grundstein dazu gelegt, sie als Zeichen des Widerstands zu etablieren. Lawrence ist perfekt für diese Rolle. In physisch resistenter wie mystifizierend anmutender Gestalt widerlegt sie durch mehrdimensionale Weiblichkeit die lasterhaften Hollywood-Zungen, die sie einst als „zu fett“ für die Rolle verspotteten. Schade nur, dass ihre angenehm rauchige Stimme in der deutschen Fassung verloren geht. Trotzdem oder vielleicht gerade wegen ihrer naiv-jugendlichen Schwächen, schafft Suzanne Collins’ Romantrilogie und deren Verfilmungen wohl die Zuschauer und Leser unter zwanzig Jahren dazu zu bewegen, die Werke George Orwells, Aldous Huxleys, Stanisław Lems oder Philip K. Dicks zu verschlingen. Das mag eine hehre Sicht sein, andererseits lässt es sich nur schwer von der Hand weisen, dass bei „Die Tribute von Panem“ ein gewissermaßen kritischer Bildungsauftrag mitschwingt, was beispielsweise verglichen mit den „Twilight“-Vampirschmalzetten umso löblicher heraussticht. Schließlich bedient sich jede Dystopie der Gegenwart und den damit verbundenen realen Ängsten einer Gesellschaft.
„Die Tribute von Panem – Catching Fire“ ist ein erfrischender, vielseitiger Blockbuster, der nicht nur Teenagern zu empfehlen ist. Trotz leicht rührselig anmutender Drehbuchschwächen und einem nach wie vor seichten Josh Hutcherson, übertrifft er den ersten Teil bei weitem. Mit seiner authentischen, expliziten, streckenweise kruden Konzeption und einer darstellerischen Dichte erweist sich Regisseur Francis Lawrence geeigneter für den Stoff als sein Vorgänger Gary Ross und verleiht dem Film dadurch eine erwachsenere, universelle Aura. Ein mitreißender Film, den man sich nicht nur der Effekte wegen, sondern aufgrund seines immanenten, dystopisch-epochalen Symbolgehalts vorzugsweise im Kino anschauen muss.
Meinungen
Teile uns deine Meinung zu „Die Tribute von Panem – Catching Fire“ mit. Die Angabe eines Namens, einer korrekten E-Mail-Adresse sowie der Kommentartext sind verpflichtend. Alle Meinungen werden moderiert.