Dystopische Gefälligkeitstrilogie? Oder Shakespeare’sches Drama? Zumindest Romanautorin Suzanne Collins muss sich dessen bei „Die Tribute von Panem“ nicht allzu sicher gewesen sein, heißt bei ihr der Präsident des Kapitols ohnehin gleich Coriolanus – ganz zu schweigen vom Rest des Adels. Große Gesten, haltloses Gezeter, Stolz, Polemik, Blut und Tote. Shakespeare eben. Aber nein, es mangelt an der Dialektik und am Stil. Doch nur Hollywood, doch nur mäßig raffiniertes Wutschen und Schnipsen. Alles kontrolliert, alles blockiert, niemals echauffiert. Oder? Zumindest kreierte zuletzt Aushilfs- und nun Primärsheriff Francis Lawrence nach Gary Ross’ burlesker Wackelkamera-Odyssee mit „Catching Fire“ etwas, dass sich durchaus Film nennen durfte und nicht lediglich als monetäres Vehikel diente, auch ein weiteres Medium bis in die Besinnungslosigkeit zu melken. Absonderlich originell? Nein. Da „Die Tribute von Panem“ dieses Emblem wohl auch nicht für sich zu beanspruchen versucht und die Kinder endlich genug den Hungerspielen frönten: Im mittlerweile dritten von eigentlich drei aber filmisch vier Teilen rebelliert das Volk endgültig gegen die Diktatur ihres edlen Patriziers Coriolanus Snow. Das ist nicht nur dunkel, sondern offensichtlich düster. Viel Licht und reizende Naturschauspiele finden sich aufgrund unterirdischer Kriegsführung nämlich nicht. Auweh, die Revolution naht.

Schmerz löst Francis Lawrences filmische Warteschlange schließlich jedoch nur aus, weil der knapp zweistündige „Die Tribute von Panem – Mockingjay Teil 1“ entsprechend seines Titels nur das süffisante Vorspiel für die nächstes Jahr endgültig anstehende Weltenumsegelung liefert. So spaliert der Spotttölpel (Jennifer Lawrence als Katniss Everdeen) zwischen Propaganda und Lazaretten, weint um Liebhaber Peeta und hadert mit der ihr angedachten Rolle, schießt mit einem Pfeil zwei Düsenjäger nieder, aber nicht den Hirsch im unbefleckten Wald von Distrikt 13. Viel Stoff für die erste Hälfte eines gemeinsamen Films, dessen Fokus abseits martialischer Action liegt und vielmehr psychologische Komponenten zu visualisieren versucht, mit denen diese Form des Blockbusters schon immer haderte. Francis Lawrence hadert dagegen nicht. Bereits die erste Einstellung zeigt Katniss nach einem Albtraum: Ihre Augen brennen rot, während sie ihren wirren Blick in die Ferne richtet und an Peeta denkt – dessen Verbleib zu jenem Zeitpunkt noch ungewiss ist, da die Rebellen nur die partiell relevante Folgschaft am Ende der letzten Spiele aus dem Dschungel rettete. Auch das sorgt für Unverständnis. Und prägt gleichsam einen Film, der aus den Zweifeln Katniss’ beinahe eine Zeitreise in die Jahre des Kalten Kriegs vollführt; inklusive einer winzigen James-Bond-Reminiszenz, als Beetee (Tribut aus Distrikt 3: der Schlaue mit der Hornbrille) den Quartiermeister mimt und neue schießwütige Geräte präsentiert.

Ansonsten revolutionäre Tristesse: Distrikt 13 entpuppt sich zwar als alive and well, aber auch als unumstößlich kalter Bunker tief unter der Erde. Ein Klotz in grau in grau. Heimat in olivgrünen Jumpsuits. Darüber mokiert sich vor allem Effie Trinket, einst Betreuerin von Distrikt 12 und nun affektierte Randfigur, deren größte Sorge ihre Individualität ohne zahlreiche Perücken und eine Brechstange voll Make-up ist. Darüber darf sich allerdings ebenso der Zuschauer mokieren, der bei Produktionskosten in Höhe von 250 Millionen Dollar (für beide Teile) die uncharmante Variation eines Polanski’schen Kammerspiels erhält, welches die wohl spartanischste Ausstattung eines Films dieser Größenordnung seit der Wiederkehr der dreidimensionalen Marotten kennzeichnet. Francis Lawrence hadert auch da nicht. Was ihm an visueller Gewalt mangelt, provoziert er stumm zu einer zeitgenössischen Ausführung über die Natur des Kriegs und mittels welcher Apparate und Maschinerien diese sowohl auf der guten als auch bösen Seite Anwendung finden. Einmal äußert Effie: „Everything old can be made new again – like democracy!“ Aber wo die geforderte Demokratie entstehen soll, ob ein Bürgerkrieg sie fördert oder gänzlich zerstört, ob über Leichen gegangen und später gerichtet werden soll: Da ist sich „Mockingjay Teil 1“ sichtlich und äußerst erfreulich unsicher.

Nicht nur Philip Seymour Hoffman in seiner letzten Rolle als raubeiniger Stratege Plutarch Heavensbee surrt die indirekt letzten Hungerspiele damit stringent, aber mit launiger Divergenz zusammen, was im Konklave der süßen filmisch-fiktiven Dystopien (wortwörtlich treffend: „Die Bestimmung – Divergent“) mit dramaturgischer Ruhe und Umsicht überrascht. Aber der Hamster strampelt noch immer munter in seinem Laufrad. Wie schade für eine Reihe mit äußerst bedeutungsschwangerem Subtext aber prägnanter Fundamentalkritik, welche Jugendliche behutsam in den Anspruch erwachsener Unterhaltung überführt. Vermutlich braucht es „Die Tribute von Panem“ zwar auch dafür nicht – doch dann könnten wir uns ohnehin laufend über Sinn und Unsinn des Blockbusters und seiner reizlosen Überflutung redundanter Sperenzien unterhalten. Immerhin erinnert Francis Lawrence per se an die Macht des Dialogs, obwohl währenddessen jeder Effekt, jede Bewegung und jeder Fortschritt in der Schublade für einen wohl bombastischen Absch(l)uss bleibt. Ein Wunder für einen Film dieser Gigantomanie. Nur leider kein ausreichend qualitatives Wunder.

Meinungen

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Bisherige Meinungen

Yannic
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