Aus dem Titel „Honeymoon“ lässt sich so einiges über die Liebe herleiten. Per Definition ist das schon der englische Begriff für die Flitterwochen, eine Zeit des süßlichen Badens in Liebe nach der Hochzeit. All dies bedeutet auch eine Festigung der Einheit zweier Menschen, in etwa mit der Formvollendung und Funktion einer Honigwabe vergleichbar. Daraus erbaut sich aber auch ein gewisser Grad der (auch sexuellen) Abhängigkeit. Und sobald dieser gestört wird, geht der Wabe das Süße irgendwann aus. Leigh Janiaks Film dreht sich um genau diesen Prozess und zeigt mit konkreter Kohärenz eine Studie des Zerfalls im Rahmen eines psychischen und physischen Horrors. Am Anfang ist nämlich noch alles auf dem Höhenflug: Bea (Rose Leslie) und Paul (Harry Treadaway) sind frisch vermählt und auf dem Weg in die abgelegene Natur. Die Sonne strahlt, die gemietete Hütte des Paares lädt zur Holzfäller-Romantik ein und man ist froh, vom Leben außerhalb mal komplett isoliert zu sein. So weit typische Merkmale für den gängigen Genre-Reißer.

Regisseurin Janiak verzichtet dabei aber auf große stilistische Ankündigungen, wie sie auch auf Jump scares und bewusst filmisches Verhalten ihrer Charaktere verzichtet. Stattdessen ist ihr Pärchen ein Quell an rotziger, doch ehrlicher und ungestümer Liebe. Warum auch Scham vor dem eigenen Partner haben? Schließlich liegt hier der Charme in gegenseitiger Frechheit, Freude und der Lust am bloßen Körperkontakt – obwohl man sich einig ist, für ein Kind vielleicht noch nicht bereit zu sein. Eben: Erst mal genießen und alles an unseren Protagonisten kennenlernen, wie sie miteinander funktionieren. Und gibt es Meinungsverschiedenheiten, geht das auch ohne forcierten Streit, fern von dramaturgischer Akt-Erarbeitung eines gängigen Drehbuchs. So erscheint auch lediglich recht schleichend eine Veränderung. Zuerst macht sich Paul keine Gedanken, als Bea aus der Hütte verschwunden scheint. Die Distanz lässt ihn aber dennoch irgendwann unvermeidlich im Dunkel der Nacht nach ihr suchen. Die Verlustangst treibt ihn nach der erfahrenen Süße der Beziehung in ein Rätsel, das auch dann nicht gelöst ist, sobald er sie wiederfindet.

Alles scheint normal, doch wir und er stellen Unstimmigkeiten fest. Ihr Verhalten ist abseits der Harmonie, welche die Wabe der Beiden repräsentierte. Es wird suggeriert, dass in ihr ebenso ein von innen zerfressender Verlust stattfindet, jedoch einer, den sie abstreitet und dagegen Normalität vorgibt. Paul kennt aber seine Bea, drum sammeln sich in ihm die Fragen im Angesicht ihrer transformierenden Persönlichkeit. Andere Filme hätten hier schon sinistre Vorzeichen einer Femme fatale ironisiert, dem Mann eine Motivation zum Heldentum gegeben beziehungsweise einen überlebensfixierten Racheplan aushecken lassen. Was Janiak aber an ihren ratlosen Charakteren aufbaut und direkt visualisiert, ist reine Verzweiflung – keine Angst vor Monstern oder, wie es Lars von Trier im „Antichrist“ ausspielte, dem weiblichen Geschlecht. Paul liebt Bea und weicht deshalb nicht von ihrer Seite, selbst wenn wir als Zuschauer schon ahnen, dass irgendetwas sie verändert hat. Paul denkt eben nicht in Genre-Regeln und dem schlimmst möglichen Szenario, stattdessen will er für sie da sein; wissen, was in ihr geschieht; sie wieder haben.

Die Unkenntnis zehrt an ihm wie die leise einschwebenden, doch rasanten Geigen im Score; erst recht, je deutlicher Paul das Leiden seiner Gattin wird. Schließlich mündet all dies in eine bittere Gewissheit – ausgeübt durch einen Körperzerfall, der gar nicht in krassen Schocks daherkommt, sondern in der kühlen Ermattung beider. Hier in der Dunkelheit, im Angesicht einer neuen Wabe, packt die Angst einem nicht bloß am Nacken. Da wird noch die Rettung versucht, doch es ist nichts mehr zum Retten da. Der Honey streift sich vom Moon ab, geht unter wie ein Stein im Wasser. Doch Honig ist ewig haltbar. So versucht sich die Einheit der Wabe noch zu bewahren, obwohl sie modifiziert wurde. Harmonie herrscht da nicht mehr, aber der Gedanke an sich. Ein fehlerhafter Prozess und deshalb auch für das bewusst unschlüssige Ende des Films verantwortlich. Als Gesamteinheit weiß dieser jedoch zu überzeugen, von der Süße bis zum Zerfall. Regisseurin Janiak zieht uns hinein in die Wabe und zerfasert diese um uns herum – ein Schauerstück außerordentlich essenziellen Geschicks!

Meinungen

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Bisherige Meinungen

Yannic
16. Januar 2015
00:23 Uhr

Starkes Ding. Top Erstlingswerk. ♥

Stefanie
16. Januar 2015
13:34 Uhr

Klingt ein wenig nach Friedkins „Bug“ was die psychologische Gestaltung angeht und die Art, Horror zu inszenieren. Liege ich da richtig?

16. Januar 2015
14:43 Uhr

@Stefanie: „Bug“ würde ich im Vergleich noch als hysterischer und paranoider bezeichnen. Da bin ich auch der Meinung, dass die psychologische Zermürbung noch schleichender und leiser in „Honeymoon“ abgehalten wird, auch weit weniger ‚Spaß‘ macht als Friedkins Werk. Beide Filme finden aber durchaus einen gemeinsamen Nenner – wie sich letzten Endes alles auf ein Kammerstück unter zwei Menschen konzentriert und darin Horror, Konfrontation, Angreifbar- und Verletzlichkeit auftürmen lässt. Im Gesamteindruck hat „Bug“ dann eher den „romantischeren“ Schlusspunkt inne, „Honeymoon“ macht sich da sprachlos. Zweifellos intensiv sind aber beide :)

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