Diesem schnittigen 1958er Plymouth Fury zu verfallen, der träumend, der unschuldig wie ein orientierungsloses Mädchen am Straßenrand an einem Schotterweg steht – es könnte absolut jeden treffen. Christine ist ein sich heißblütig rekelndes Chromgeschöpf, vereinnahmende Liebe, unverfälschte Gier, zerstörerische Eifersucht. Geil auf Musik, geil auf Hemmungslosigkeit, geil auf Männer. Die Fleischwerdung einer Maschinengöttin, das maschinengesteuerte Surrogat sexueller Versuchung und Erschöpfung. Christine speit wabernden Dampf aus, Seitenspiegel wie Augen, Reifen wie Schlauchboote, Kurven wie erdacht. In ihr sitzt ihr neuer Besitzer Arnie (Keith Gordon) wie passgenau. Einmal dort entspannen, sich einmal dort fallen lassen, krallen sich Christines imaginäre Fingernägel an die Schenkel ihres Partners. Arnie selber, ein tollpatschiger und schüchterner Trottel (Brille, hohler Blick, ängstliches Auftreten), befreit sich von seiner Passivität des schulischen Prügelknaben und Asexualität des befangenen Außenseiters, indem er Christine fährt und in sie eindringt. Das Auto, das eine satte rote Farbe in die Netzhaut brennt, ist der Initiationsritus Arnies, ein Mann zu werden – ohne Brille, schwarz herausgeputzt, durchdringend besessen.

Der Wagen mit einer Seele, er hat eine Verlaufslinie im literarischen Gruselschmöker. Stephen King widmete sich ihm gar mehrfach: Nach „Christine“, einer frühen King-Arbeit und damit Vorlage für deren Verfilmung, erschien „Der Buick“ viele Jahre später. John Carpenter allerdings tat gut daran, dieses Überbleibsel aus Kings Anfangsphase, in der King der Geschichte einen umfassenden Mythos beimischte, der wiederum in ein nostalgisches Zeitbild gebettet ist, fettarm reduzierte – der im gleichen Jahr produzierte „Dead Zone“ von David Cronenberg übernahm eine vergleichbare Strategie des Verzichts auf Verschnörkelungen. Hier wie dort stellt eine Adaption die künstlerische Frage, ob sie auskommen darf und kann, wenn sie den Kern freilegt – und die Ummantelung zuspitzt. In Carpenters Film bleibt zwar die psychosexuelle ComingofAge-Variation, das adoleszente Abklopfen, die ersten Erfahrungen mit der Verantwortung, bestehen (effektvoll: William Ostrander), verlässt sich dahin gehend als narratives Verdichten aber energischer darauf, entzückend klischeelastigen, rockenden Achtziger-Hokospokus loszubinden, der ein Auto beschattet, wie es sich bizarren Selbstheilungssitzungen unterwirft und generell ein (tödliches) Auge auf die Rivalen Arnies, ganz gleich, welcher Art, wirft.

Die Decodierung der metaphysischen Komponente, Christine sei, unter Umständen, ein außerirdisch gesandtes Wesen in Gestalt eines Autos, dampft den Film daher auf ein bodenständige(re)s Maß ein – in einer regelrecht meditativ gedrosselten Erzählhaltung, die alles Bedeutsame gleichrangig und schnörkellos reiht, interessiert sich Carpenter entschiedener für die Wirkung Christines als für die Ursache ihrer Taten. Wo andere Carpenter-Filme wie „Halloween“, „The Fog – Nebel des Grauens“ sowie „Das Ding aus einer anderen Welt“ einer immateriellen, omnipräsenten Bedrohung verfielen, die wie heißer Dampf der Spontanüberraschung des Zufalls entstieg, ist Christine in diesem Fall ein physischer, ein explizit zu bemerkender Aggressor. Und doch verwirklicht es der Film, primär eine latent okkulte (Carpenter-)Stimmung zu transkribieren, die sich vor direktem Zugriff windet und das Unerforschte, genauso wie das Halbseidene betont: Die punktgeformten Lichtquellen von Christines Scheinwerfer bei Regen, Nacht und absurdem Feuer, ihre schleichenden, heranpirschenden, grazil-sinnlichen Bewegungen, infizieren lyrischen Carpenter-Spuk, der, ebenfalls, besessen ist von diesem Auto, von seinem makellosesten Horror, von Blech und Blut.

Meinungen

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