Horrorfilmen neues Leben einzuhauchen, haben schon viele versucht und sind gnadenlos gescheitert – denn Freunde dieses Genres sind wahrscheinlich die unfairsten überhaupt. Jeder neue Beitrag muss, wenn er wirklich gut sein soll, Vergleiche mit John Carpenter, Dario Argento oder David Cronenberg standhalten. Und selbst wenn er das alles schaffen sollte, fällt er dennoch oftmals in die Schublade: Alles schon gesehen, alles schon einmal da gewesen. Einen tatsächlich guten Horrorfilm zu drehen, scheint also schon im Vorfeld ein nahezu heilloses Unterfangen zu sein. Die Australierin Jennifer Kent hat es dennoch gewagt und ihr Vorpreschen in das Genre kann als voller Erfolg bezeichnet werden.

„Der Babadook“ ist dabei eine Art Langfassung ihres Zehnminüters „Monster“ aus dem Jahr 2005. In dem Kurzfilm geht es um eine Mutter, die ihren Sohn vor einem Monster beschützt, das im Keller unter der Treppe haust. „Der Babadook“ beginnt hingegen anders: Die nach dem Tod ihres Mannes alleinerziehende Mutter Amelia (Essie Davis) ist mit ihrem Sohn Samuel (Noah Wiseman) haltlos überfordert. Die Junge ist hyperaktiv, sieht an jeder Ecke Gespenster und raubt seiner Mutter so den letzten Nerv. Die wenigen sozialen Kontakte, die Amelia hatte, machte ihr Sohn zudem kaputt. Und so steht die Frau ohne Mann, ohne Freunde und ohne Schlaf da. Noch schlimmer wird es jedoch, als Samuel aus seinem Regal das Buch „Der Babadook“ hervorzaubert und Amelia es ihm vorlesen soll. Ab diesem Moment hat er panische Angst vor der titelgebenden Figur und auch Amelia scheint nach und nach von der realen Gefahr des Babadooks überzeugt zu sein.

Der Film ist allerdings viel mehr als eine platte Geistergeschichte: Stattdessen ist er ein packendes Horrordrama und einer der cleversten und schönsten Genrebeiträge der letzten Jahre, in dem eine Mutter ihren Sohn nicht nur vor einem Monster beschützen, sondern zu allererst mit ihren Gefühlen ihm gegenüber klarkommen muss. Samuel ist alles andere als ein idealer Sohn: Er ist laut, anstrengend und schrecklich zu anderen Kindern. Amelia assoziiert Samuel zudem noch immer mit dem Tod ihres Mannes, was es für sie nicht einfacher macht, ihren Sohn uneingeschränkt zu lieben. Herausragend überzeugend spielt die Australierin Essie Davis dabei eine Frau, welche nervlich vollkommen am Ende ist. Der Babadook selbst hat so gut wie keine Screentime, was zunächst ungewöhnlich klingt, aber ausgezeichnet funktioniert. Obwohl nie komplett zu sehen (es gibt höchstens ein paar Finger zu erhaschen oder einen Schatten in der Ecke zu entdecken), strahlt der Babadook mehr Gefahr und Präsenz aus als so ziemlich jede andere Kreatur in jüngerer Vergangenheit. Das hat nicht zuletzt mit der grandiosen Einführung des Monsters zu tun: Das im Film vorkommende Buch „Der Babadook“ ist derart unheimlich, dass dem Zuschauer spätestens ab diesem Moment die pure Angst vor dem Babadook im Nacken sitzt; ganz ohne Jump Scares und blutige Bilder.

Jennifer Kent hat es mit „Der Babadook“ außerdem geschafft, ein gleichermaßen konsequentes wie logisches Ende zu gestalten. Der Film stürzt seine selbst aufgestellten Regeln am Ende nicht wie viele andere Genrebeiträge um, sondern hält an ihnen fest. Es bleibt nun abzuwarten, ob Kent es schafft, ihre zweimal verfilmte Idee hinter sich zu lassen und sich in neue Gebiete zu begeben. Nach so einem stark gefilmten, wunderschön gespielten und unheimlichen Film wie „Der Babadook“ ist es ihr nur zu wünschen.

Meinungen

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