Für „Bug“ war der Start eines Horrorfilms vorgesehen. Ein Start, der erzwungen von Marketing und Verleih für die Vorstellung einer düsteren, Menschen mordenden Käferrasse sorgte, die wild in einem Motel auf harmlose Einsiedler losgeht, sie frisst, bis sie gen Ende die ganze Welt vereinnahmt. Jene Assoziationen mag „Bug“ nicht zuletzt wegen seines Regisseurs William Friedkin („Der Exorzist“, „French Connection“) auslösen, der das klassische Milieu eines achtziger Jahre Käferfresserfilms umdeutet, jedoch vor allem die Farce von krabbelnden Läusen vortäuscht. In seinem groben ersten Eindruck scheint „Bug“ massentauglich, als ein nochmaliger effekthaschender Ungeziefermief, als zwar erschreckend, aber in gleicher Spur alltäglich. Friedkin ist prädestiniert für zweischneidige Ergebnisse, aber auch dafür sich entgegen aller Ahnungen gegen die Masse zu wenden und in dunkler, verzweifelter Manie seine Darsteller in den Trugschluss der Paranoia zu lenken. Obwohl das wahre Grauen nie ersichtlich ist – das Wissen über es, das Wissen, dass dort etwas wächst und wächst und den Menschen auffrisst, ist in jeder Sekunde beängstigend nah und relevant.

Vermuten würden wir als Ausgangssituation eine verlassene, in der Wildnis ausgesetzte Gruppe von Jugendlichen, doch „Bug“ spricht in voller Montur einen Lockruf aus: Nichts ist, wie es scheint. Obwohl in jedem zweitklassigen Thriller die Thematiken Friedkins Erwähnung finden, ist es nun in „Bug“ nicht mehr, nicht weniger als die Wahrheit, die spricht. Folgerichtig steht eine einsame Frau mittleren Alters im Mittelpunkt: Agnes White (Ashley Judd), Besitzerin eines Motels im Nirgendwo Oklahomas. Terrorisiert von angeblichen Telefonanrufen ihres Ex-Mannes Jerry (Harry Connick Jr.), der nach zwei Jahren Gefängnis wieder in die Freiheit entlassen wird, schafft sie sich ihren langweiligen Lebensunterhalt als Kellnerin in einer Bar und besitzt als einzige Freundin die Gesprächspartnerin R. C. (Lynn Collins). Sie ist es auch, die Kriegsveteran Peter Evans (Michael Shannon) auf eine Nacht von Drogen und Alkohol ins Motel führt. Wie es im Leben einer verwaisten Frau eben ist, beginnen die beiden, gezeichnet von herben Verlusten, eine Liebesbeziehung. In ihrem gegenseitigen Verständnis jedoch kristallisiert sich nach einer gemeinsamen Nacht die Wahnvorstellung oder vielleicht doch Realität vieler herumtollender Käfer auf und in ihren Körpern und in der Wohnung heraus.

Es ist ein Grenzgang in zerstörte Seelen, ein bettelndes Verständnis zwischen abgestorbenen Empfindungen und dem Innigsten aller Wünsche: der Nähe zwischen zwei Personen. Agnes und Peter geben sich in ihrer Verzweiflung als Traumpaar aus, die miteinander fühlen und leiden, die nicht oder viel zu sehr fähig sind, der Paranoia Herr zu werden. Das verstörte Bild der Käfer und Milben, der Läuse, die sich in den Körpern der Protagonisten verschanzen, nimmt auch Agnes ein, die im Glauben an eine bessere Welt, ohne die Gewalttätigkeit ihres Ex-Mannes, der Vorstellung Tribut zollt. Ein Schreckenskampf entsteht, der keine Wendepunkte benötigt, der radikal und kompromisslos vor den Kopf stößt. Friedkin kreiert rücksichtslos aus dem damaligen Theaterstück ein fanatisches Fragment düsterer, menschlicher Fantasien. Angereichert in wechselnden Zyklen aus sandig warmer Atmosphäre kommt die leider folgende Handlungsbeschleunigung umso abrupter. Die trostlose Vision definiert seine Individuen durch ihre Ängste und die seelischen und körperlichen Enklaven, die sie kreieren, um aus der grauenhaften und unbegreiflichen Welt zu fliehen. In „Bug“ bedeutet Liebe ein neurotisches Beieinander, und selbst der Pizzabote zunächst irrationaler Terror.

Erbarmungslos gibt Friedkin den wahren Horror unter der Decke des Menschen preis. Abseits abgetretener Pfade treibt er die beiden Protagonisten gefährlich nah an den Ruin; und es ist ein grundlegender Verdienst von Ashley Judd und Michael Shannon, dass dieses Paar zwar in einigen Szenen grenzwertig, aber demonstrativ Angst einflößend auftritt. Die im Laufe der Jahre untergegangene Judd, die just nur noch für stimmungsvolle B-Movies sorgte, schockiert in ihrem Schauspiel, indem sie für ihre Umgebung und sich selbst als Gefahr wirkt. Angetrieben von dem wie häufig schauderlichen Shannon offenbaren die Hauptcharaktere eine Unruhe, die nur tollwütige Tiere besitzen könnten: ungezähmt und voller Kraft. „Bug“ lebt von ihnen, von der dreckigen Angst, die anderswo von Monstern getragen wird. Der Mensch definiert sich als wahres Schreckenswerkzeug und selbstzerstörerische, gar bösartige Macht, die regieren kann über Tod und Leben.

Allerdings flösst Friedkin dennoch gleich dem eng formulierten Bühnenstück jener Hölle aller Abgeschlagenheit Übertreibungen ein, die in Dialogen zwischen Wahn und Wahnwitz münden und somit eine gewiss obskure Albernheit in die Gesamtheit einfügen. Er ruft den Dämon aus „Der Exorzist“ hervor, welcher als unpassende zusätzliche Floskel zur gänzlichen, totalen Spaltung führt. Zwischen zunehmendem Lachreiz und schockierender Vorstellung besteht jedoch eine Unsicherheit über das zu Sehende und dem zu Fühlenden. Friedkin ist diese Entwicklung schwerlich übel zu nehmen, doch das Szenario erstreckt sich umso unwirklicher und mit jeder Sekunde schleichen weitere Beklommenheit und Paranoia hinzu.

Zum unwiderruflichen Streitpunkt führt schließlich der Showdown, der sich im letzten und endgültigen Moment des besiegelten Verfolgungswahns ausdrückt. Durch diese Radikalität teilen sich auch die Lager in der Rezeption entweder in wahre Liebe oder Hass, obwohl Friedkin zumindest bis in die späten Sequenzen seine Vorstellung mit kontinuierlichem Fokus und Intensität schmückt, die leider in einer zutiefst prätentiösen Klimax verschmelzen. „Bug“ führt seinen dichten und barbarischen Weg bis zum bitteren Trugschein und lässt Schmerzen und Angst unerbittlich ohne real sichtbare Bedrohung auferstehen. Der Horror malt sich das Schreckensgespenst im Körper des Menschen aus: Paranoia, Wahn und Halluzinationen bilden sich in William Friedkins Werk zum wirksamen Abbild der heutigen Gesellschaft aus. In dieser Welt herrscht weder Gutes noch Schönheit, nur noch trister Wahn in aller Einsamkeit.

Meinungen

Teile uns deine Meinung zu „Bug“ mit. Die Angabe eines Namens, einer korrekten E-Mail-Adresse sowie der Kommentartext sind verpflichtend. Alle Meinungen werden moderiert.

Kinostart: 14.09.2017

Mr. Long

In seiner neunten Berlinale-Teilnahme schickt Sabu Rindersuppen in den Wettbewerb.

Kinostart: 27.07.2017

Django

Étienne Comars Debüt eröffnet mit einem Porträt über Django Reinhardt die 67. Berlinale.

Kinostart: 06.04.2017

Tiger Girl

Jakob Lass’ dritter Langfilm zeigt erneut befreites, deutsches Kino basierend auf einem Skelettbuch.

Kinostart: 09.03.2017

Wilde Maus

Josef Haders Debüt als Regisseur ist ein harmloser Film über Kommunikation und Schnee.

Mr. Long

Sabu, Japan (2017)

Zerbrochene Leben und einstürzende Neubauten: In seiner neunten Berlinale-Teilnahme schickt Sabu Rindersuppen in den Wettbewerb.

Wilde Maus

Josef Hader, Österreich (2017)

Selbstmord durch gefrorenes Wasser: Josef Haders Debüt als Regisseur ist ein harmloser Film über Kommunikation und Schnee.

Occidental

Neïl Beloufa, Frankreich (2017)

Italiener trinken keine Cola! Neïl Beloufa verzettelt sich in seinem chaotisch-absurden Kammerspiel-Debüt.

Tiger Girl

Jakob Lass, Deutschland (2017)

Freiheit durch Reduktion: Jakob Lass’ dritter Langfilm zeigt erneut befreites, deutsches Kino basierend auf einem Skelettbuch.