Denis Villeneuve bewies jüngst mit „Prisoners“, wie viel Druck er aus den Konventionen eines Genres pressen und dem Zuschauer als filmische Grenzerfahrung vermitteln kann. Jene Tradition führt er auch in „Sicario“ fort – einem Thriller voll oft gesehener und doch neuartiger Situationen, die ihr furchterregendes Potenzial aus dem hochaktuellen Zeitgeist speisen. Ob nun Roger Deakins’ Kamera in famose Ermattung eintaucht oder Jóhann Jóhannssons Elektro-Orchester-Töne verstören: Villeneuves Stilisierung setzt eine Knarre auf die Schläfe des Zuschauers und hat stets den Finger am Abzug. Mitten drin in einer beinahe vollständigen Männerwelt: Kate Macer (Emily Blunt), eine ebenso feiste wie antastbare Drogenfahnderin, die aufgrund ihres Gewissens quasi im Alleingang zum Ventil des Zuschauers wird. Denn so wie wir auf die Eindrücke des Schreckens und der folgenden Investigation reagieren, ist sie ebenso kaum Herr der Lage.
Nach einem fatalen Einsatz steht sie zwar kurz davor, herauszufinden, wer im südamerikanischen Drogenkartell dahinter steckt – die Mechanismen der Aufklärung offenbaren ihr jedoch auch die Grenzen der Gerechtigkeit, die nicht einmal Josh Brolin in Flip-Flops entlasten kann. In seiner Rolle des irgendwo zwischen Regierung und Militär operierenden Einsatzleiters Matt Graver repräsentiert er den modernen amerikanischen Zugriff, der eine nicht minder brutale Präsenz gegenüber seinen Gegnern ausstrahlt. Villeneuve fliegt jener Erwartung mit dichten Formationen von Artillerien in Schwarz entgegen. Die waffentechnische Übermacht wird nicht zum Pathos, sondern zur ausgestellten Brutalität angewendet. Doch auch hier schenkt sich keiner etwas. Ähnlich wie William Friedkin blickt Villeneuve einem Dämon entgegen, in dessen Herz das Schlimmste vermutet werden sollte und in bestialischen Verstümmelungen auch vorgefunden wird. Wie galant die US-amerikanische Schlange an schwarzen Jeeps aber über die Grenzen zu Juárez fließt, ist ein finsteres Bild, weil es mit seiner Effizienz gänzlich überzeugt.
Überhaupt rückt der Fall im Verlauf des Films durch unlautere Methoden, die geradezu selbstverständlich das Blut in den Adern gefrieren lassen, immer näher ans Ziel. Dabei balanciert der herbeigerufene Kollege Alejandro (Benicio del Toro) zwischen diesen Umständen gleichzeitig als Vollstrecker und verständnisvoller Moralist, der Kates Einwänden stattgibt. Zu beiden Rollen motivieren ihn tragische Hintergründe, durch die er gleichsam gefangen wie besessen ist – „Sicario“ hält grundsätzlich Ambivalenz zu seinen Figuren und deren Moralvorstellungen. Dieses versuchte Gleichgewicht greift zwar auf reduzierte und glaubwürdige Dialoge zurück. Allerdings gerät die narrative Struktur vor allem in der zweiten Hälfte zeitweise ins Stocken, je mehr Szenarien die Relevanz des Themas bestimmen und hinter die Menschen auf allen Seiten blicken. Der Fokus und damit die Identifikation mit Kate geht jedoch ab und an verloren. An ihr findet eine kontinuierliche Entmachtung statt, welche mit der unwillkürlichen Rolle als Köder einhergeht.
Zu diesem Zeitpunkt weiß Villeneuve aber nicht stimmig die Spannung zu halten, die aus der anfänglichen Hölle heraus zumindest einen Ort zum Ausspannen findet. Nach einer gewissen Zeit nimmt das Prozedere allerdings wieder Fahrt auf und gelangt folgerichtig in einen Abgrund des beidseitigen Verbrechens, in dem Infrarotkameras noch weniger Sicherheit geben, je mehr Blut sich auf der Linse sammelt. Dort steigt der meisterhaft inszenierte Druck, aber auch der Hang zur ideologischen Offenbarung. Andere Filmemacher bewegen sich in solchen Fällen auf Messers Schneide – Villeneuve gelingt galant die Kurve. Dies ändert nichts an der Tatsache, dass diese Kurve zu einem Genrefilm führt, der trotz seiner betroffenen wie herausfordernden Weltsicht mit teils einfachen Leitbildern arbeitet. Als konzentriertes Stimmungswerk könnte dies die Krönung des Minimalismus sein, der hier freiwillig in die Schlaglöcher einer etwas redundanten Charakterzeichnung gerät. Es gilt, geduldig durchzuatmen, bevor der nächste Abstieg in den allzu menschlichen Terror passiert.
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