In Lars Kraumes Drama „Familienfest“ bewegt sich die Kamera schleichend die Treppe des berühmten Pianisten Hannes Westhoff (Günther Maria Halmer) hinauf, eine verbitterte Verzweiflung liegt an seinem siebzigsten Geburtstag in der Luft. Die Feier ist groß, die Freude klein. Partituren brennen auf der Terrasse, die Revolution gegen den Patriarchen ist im vollen Gange – verdientermaßen: Mit polemischem Zynismus zersägt er seine eigene Familie, immer mit dem Blick auf sein Vermögen und seine Vormachtstellung. Wie ein kleines Kind erwartet er die vollste Aufmerksamkeit, seine geschmacklosen Kommentare sind selbst für den Zuschauer eine schallende Ohrfeige. Er ist gekränkt von seiner Enttäuschung über seine drei erwachsenen Söhne, die dem Druck der Elite nicht gewachsen sind – oder vielmehr aus rationalen Gründen eine dynastische Lebensweise ablehnen. Frederik (Barnaby Metschurat) ist schwul, Max (Lars Eidinger) weiß nicht, was er will, und Gregor (Marc Hosemann) ist chronisch pleite.

Seine zweite Ehefrau Anne (Michaela May) opfert sich auf, dass das zweitägige Fest ein familiärer Erfolg wird. Sogar Hannes’ erste Frau Renate (Hannelore Elsner) ist anwesend, ihre Liebe zum Alkohol ist keine Tendenz mehr und bringt ordentlich Schwung in das Geschehen. Das Drehbuch von Andrea Stoll und Martin Rauhaus leitet den Film dramaturgisch gelungen von Eskalation zu Katharsis, wobei die wahren Stärken in den Auseinandersetzungen des Vaters mit seinem Selbsthass, aber auch der Vergangenheit sowie gegenwärtigen Situation liegen. Natürlich werden Klischees bedient, und auch die Story ist nicht wirklich neu – aber insgesamt schneidet „Das Familienfest“ gut ab. Immer wieder sorgen Dialoge für Lacher, doch auch Trauer und Frust spielen in überzeugender Weise eine große Rolle. Das zweite Drittel verliert ein wenig den Faden, oft weicht die typisch deutsch gestelzte Dialogführung, die mehr an Theater als an Fernsehen erinnert, von einer authentischen Natürlichkeit ab; auch jedes Tischgespräch, das im Vorbeifahren der Kamera im Hintergrund ertönt, ist nicht improvisiert, sondern gänzlich durchkomponiert.

Ein guter Einfall ist die eigentlich unbeteiligte Jenny (Jördis Triebel), die Max im Krankenhaus kennenlernt und fragt, ob sie ihn denn nicht zur Familienfeier begleiten will. Er gibt sie dort als seine Freundin aus, ohne dass man anfangs wirklich weiß wieso. Sie wird aber noch eine wichtige Rolle einnehmen, wenn nicht sogar einer der entscheidendsten. Auch die permanent stichelnde Renate ist ein Angelpunkt in der Geschichte, die ihre größte Inspiration vermutlich in Thomas Vinterbergs „Das Fest“ gefunden hat, wobei ein sexueller Übergriff im Geschehen nicht thematisiert wird. Es geht um das angezweifelte, durchaus überholte Patriarchat eines Pianisten, dessen innerer Frust dem eigenen tyrannischen, nationalsozialistischen Vater entspringt und dem kommunikative Fähigkeiten fehlen, die er erzkonservativ mit Zynismus kaschiert. Er ist aggressiv und verliert den Draht zur Realität, zur modernen Welt, die von einem seiner eigenen Söhne am besten repräsentiert wird: Frederik will mit seinem Lebensgefährten ein Kind adoptieren. Es prallen Vorstellungen und Welten aufeinander, man könnte leicht den Überblick verlieren über die zahlreichen Konflikte in dieser Familie, auf deren Familienfest sich eher eine Tragödie abspielt, die gerade aufgrund ihrer Emotionalität und ihrer Scharfzüngigkeit ein gutes Beispiel dafür abgibt, dass auch im deutschen Fernsehen qualitative Filme laufen können, die sich nicht verstecken müssen.

Einst pflanzte Hannes drei Bäumchen in seinen Garten, eines für jedes Kind, das er aufzog. Im Affekt entzweit er einen und stellt damit symbolisch dar: Frederik ist nicht mehr weiter sein Sohn. Das ZDF-Drama ist eine Mischung aus Kindergarten und todernsten Angelegenheiten, die das Wesen der sogenannten Familie in Deutschland beschreiben und deren Anspannung anschaulich sowie intensiv auf den Zuschauer überträgt. Wie erwartet können die deutschen Schauspielgrößen Günther Maria Halmer, Lars Eidinger und Hannelore Elsner in ihren Rollen überzeugen.

Meinungen

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