Immer wieder hageln Schläge und Tritte auf die am Boden liegende Olya (Oleksandra Petko) nieder. Sie versucht, ihr Gesicht zu schützen, während ihre Freundin einige Meter entfernt tatenlos zusieht. Nachdem der Angriff der Jugendlichen vorbei ist, steht Olya auf, klopft sich den Schnee von den Kleidern und geht weiter. Es ist ein tristes Bild, voller Emotionslosigkeit. Den ganzen Film über erstreckt sich diese düstere, kaputte und deprimierende Stimmung. Olyas Bruder ist vor einigen Wochen verschwunden. Zusammen mit ihm ist Olya auf einen Spielplatz gegangen, hat sich nur einen kurzen Moment umgedreht und schon war ihr Bruder wie vom Erdboden verschluckt. Das Erschreckende ist, wie egal es den meisten Beteiligten zu sein scheint. Mutter, Vater und Opa gehen nach anfänglicher Aufregung sehr schnell wieder ihrem normalen Arbeitsalltag nach. Und da sich die Arbeit der Polizei als stümperhaft herausstellt, macht sich Olya, die sich für das Verschwinden ihres Bruders verantwortlich fühlt, allein daran, dem Ganzen nachzugehen.
Eine mutige Schwester sucht ihren verschollenen Bruder, das hätte eine Art Abenteuerfilm für die ganze Familie werden können. Doch die ukrainische Produktion „The Green Jacket“ ist ein verstörendes, nüchtern gehaltenes Drama, durch welches der Zuschauer genauso ohnmächtig taumelt wie seine Protagonistin. Die Schauplätze spiegeln das Innere Olyas perfekt wider: abgewrackte, triste Häuserblocks, aus denen es kein Entkommen gibt. Olyas Charakter ist das Einzige, an das sich der Zuschauer halten kann. Zu kühl und distanziert wirken die anderen Personen, denen das Verschwinden des sechsjährigen Jungen recht schnell beinahe egal ist. „The Green Jacket“ ist das Spielfilmdebüt von Volodymyr Tykhyy, der ohne Score und mit langen Einstellungen beinahe ein wenig an das Kino der Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne erinnert. Aber wo man sich in die Geschichten der beiden immer gut hineinversetzen kann, fällt es bei Tykhyy eindeutig schwerer. Vielleicht möchte man sich auch gar nicht vorstellen, wie es ist, in der Ukraine zu leben. Und doch hat es etwas Faszinierendes, Olya auf ihrer Reise zu begleiten, obwohl man keine Sekunde mit der Teenagerin tauschen möchte: Aber genau wie die Nachrichten über das gebeutelte Land selbst, verfolgt man jeden Schritt mit mehr Neugierde, als einem lieb ist.
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