Abscheulichkeiten im Überfluss, zugeschleimt mit Sperma und Blut. So stellt sich Paul Verhoeven das Mittelalter vor, und so ist aus einem geradlinig erzählten Ritterfilm, der tapfer jede Wendung zugunsten eines großen Happy Ends scheut, letztendlich ein entromantisierter Verhoeven-Ritterfilm geworden. Genügend nackte, unzensierte Haut, aufgestaute Lust, blutrünstige Körpergeschwülste und Füße, deren Zehen schwarz vor Dreck sind, repräsentieren einmal mehr die Ingredienzien des Verhoeven-Kinos, A-Geschichten mit ordentlich versautem Schmuddel in den B-Fetisch abgleiten zu lassen.
Die Geschichte aus „Fleisch und Blut“ ist schnell erzählt: Eine Bande an ausgestoßenen, göttlich geleiteten Söldnern (für deren ironischerweise von Menschenhand beeinflusste Religion Verhoeven ein spöttisches, sanftes Grinsen aufsetzt) labt sich am neuen dekadenten Vagabundendasein, wohl wissend um ihre im Kollektiv gefestigte Rache gegen den König. Zur gleichen Zeit muss sich die gefangen genommene Dame aus feinem Hause (Jennifer Jason Leigh) für einen Liebhaber entscheiden – und damit für eine Seite. Was zwischen diesen traditionellen Mustern hochkocht, ist umso wichtiger, desto genüsslicher Verhoeven zwischen groben Handlungsankern vielmehr das triebhafte, lüsterne Verlangen nach fleischlichen Gelüsten thematisiert. Er analysiert es jedoch nicht in endlosen, bedeutungsschwangeren Weisheiten, sondern dekoriert es prosaisch. Dafür arbeitet Verhoeven einen schlüpfrigen, ungeschminkten, aber tendenziell authentischen Formstil heraus, der nicht nur bewusst das Schamgefühl des Zuschauers provoziert, sondern in seinem erzählerischen Überbau vor allem in zu wenig Zeit zu viel studieren möchte: Religion und den Fortschritt der Wissenschaft im ewigen Clinch, die Folgen der Pest und ein Liebesdreieck. Dies gerät bisweilen oberflächlich, verliert im Ansatz Substanz.
In höchstem Maße erotisch, ölig und einzigartig unanständig ist Verhoeven trotz reiner Gewalt dennoch, die konträr zu vergleichbaren Verhoeven-Werken erstaunlich weggeschnitten bleibt, dabei aber wie immer ihr Ziel nicht verfehlt, denn die ausgestellte sadistische Verschrobenheit der Situation beflügelt Verhoeven. Der schnelle bis ruppige Sex zählt, und wenn er im aufschäumenden Dampfbad auf beiderseitigem Einverständnis gar wellenförmig Stoß für Stoß kulminiert (ein Vorgeschmack auf „Showgirls“), kann man sich jener voyeuristischen Finesse einer zielgerichteten Verhoeven-Manipulation endgültig nicht mehr erwehren.
Rutger Hauer verkörpert derweil den beschlagenen, widerwärtigen Strategen; er war selten so übel, so ungewaschen, so missgelaunt. Ebenso Frivoles wie Erheiterndes zu entdecken gibt es ohnehin in rauen Mengen: ein Raketenspeer, ein Holzpanzer aus der taktischen Kriegsschule Odysseus’, die Befreiung aus Hals- und Handketten durch einen einschlagenden Blitz, ein der Pest anheimgefallener Hund, dessen zerstückelte Überreste als Überraschungsmoment genutzt werden sowie ein Vorausblick auf kommende Zeiten im Schaffen des Regisseurs. Neben der bereits in „Fleisch und Blut“ rudimentären Folterung Murphys aus „RoboCop“ balanciert Verhoeven auf dem satirischen Understatement einer entlarvenden Spitzfindigkeit, wenn er eine Abendgesellschaft, eine hungrige Meute, um einen Tisch arrangiert, die den „türkischen Früchten“ entstiegen sein könnte. Mit Händen gewöhnt, schaukeln die Anwesenden sich streitlustig hoch, indem sie es ausprobieren wollen, mit Messer und Gabel Fleischfetzen zu verschlingen. In einem Ritterfilm? Das ist hintersinnig komisch.
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