Einmal mit dem Skateboard durch Island fahren? Dann gerade noch einem plötzlichen Vulkanausbruch in der letzten Sekunde entkommen? Und am Ende spontan eine Runde Fußball auf dem Himalaya zocken? Das klingt doch alles nach Spannung pur! Walter Mitty (Ben Stiller) muss eigentlich ein ziemlich cooler Typ sein, wenn er solche Abenteuer erlebt. Das würde man zumindest annehmen. Er ist allerdings gerade das Gegenteil: ein ganz normaler, eher spießiger, spröder Kerl, der bei „Life“-Magazin im Fotoarchiv arbeitet und von der großen, weiten Welt nur träumen kann, ohne sie selbst zu erleben. In seiner Fantasie ist Walter jedoch ein Superheld. Er rettet Menschen aus brennenden Häusern, beeindruckt Frauen als abenteuerlustiger Über-Mann und schreckt auch nicht davor zurück, seinem unsympathischen neuen Chef (Adam Scott) die Stirn zu bieten. In der Realität sieht das zunächst ganz anders aus …
Im Leben geht es um Mut und den Aufbruch ins Unbekannte.
Er ist schon ein richtig charismatischer Typ, dieser Ben Stiller. Die Rolle des Walter Mitty scheint ihm fast auf den Leib geschrieben zu sein: Als tollpatschiger Normalo und spießiger Einzelgänger eckt er in seinem Umfeld laufend an – aber doch ist dieser Kerl irgendwie von Anfang sympathisch. Und vor allem hat Walter Mitty eines: ein gutes Herz. Diese Eigenschaften kennt man doch bereits zur Genüge bei Ben Stiller? Sei es nun als jüdischer Krankenpfleger in der Trilogie „Mein Braut, ihr Vater und ich“ oder liebestoller Ted in „Verrückt nach Mary“. Jedoch schafft er es in „Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“ seiner Figur eine ungewohnte Ernsthaftigkeit zu geben, die man bei Ben Stiller nur äußerst selten sieht. Denn Walter ist nicht nur ein tollpatschiger, komischer Kauz, er ist vielmehr ein richtig toller Typ: intelligent, echt, solide, am Ende sogar abenteuerlustig.
Als Regisseur, Produzent und Protagonist adaptiert Stiller mit „Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“, basierend auf der Kurzgeschichte „Walter Mittys Geheimleben“ von James Thurber aus dem Jahre 1939, die mittlerweile zweite Umsetzung des Stoffes für die Kinoleinwand. Schon 1947 übernahm Danny Kaye in „Das Doppelleben des Herrn Mitty“ unter der Regie von Norman Z. McLeod die Rolle des Sonderlings Walter Mitty – Thurber war damals allerdings mit der sehr freien Fassung nicht zufrieden. Auch die Neuinterpretation stellte sich als schweres Unterfangen heraus, was dazu führte, dass viele Jahre lang an einem neuen Mitty gearbeitet wurde. Nachdem bereits Comedy-Stars wie Jim Carrey, Mike Myers, Owen Wilson und Will Ferrell im Gespräch waren, übernahm schließlich Ben Stiller das Projekt und inszenierte sich selbst als tagträumerischen Superhelden.
In seiner Version spielt die Geschichte um Walter Mitty in der heutigen Zeit: Die (Zeitungs-)Welt befindet sich im Umbruch. Inhalte rücken in den Hintergrund – Zahlen und Absatz sind ausschlaggebend. Auch das stilprägende „Life“-Magazin ist davon betroffen. Es wird digitalisiert und Walter Mittys analoges Bildarchiv dadurch redundant. Das Aus für Mitty? Für die letzte Printausgabe des Magazins ist ein Foto des Starfotografen Sean O’Connell (Sean Penn) vorgesehen, welches die Quintessenz von „Life“ widerspiegeln soll. Dieses Foto ist zunächst nicht aufzufinden. Während genau jenes Bild den Umbruch von „Life“ ausdrücken soll, bringt es vor allem Schwung in Walters Alltag. Denn er beschließt, sich selbst auf die Suche nach dem Bild und den schwer zu fassenden Abenteurer O’Connells zu machen. Walter Mittys Tagträumereien werden endlich Realität und seine Reise kann beginnen.
In beeindruckenden Aufnahmen begleitet die Kamera die Exkursion von Mitty. Wir sehen gewaltige Naturaufnahmen vor der Küste Grönlands, die faszinierenden Landschaften von Island und die Weite des Himalayas. All diese Eindrücke stehen in Kontrast zu den grauen Bildern aus Mittys eintönigem Alltag, dem er zu entfliehen versucht. Stuart Dryburghs Bildkomposition hat in vielen Passagen dokumentarischen Charakter. So werden nicht nur dynamische Naturimpressionen dargestellt, sondern wir erhalten auch einen Einblick in die Psyche des Protagonisten. Über die Bildsprache wird die Person Walter Mitty lebendig: Der Beruf des Fotoarchivisten wird zu seinem Leben, zu seiner eigenen Realität. Er selbst kann die Abenteuer, die er aus den zahlreichen Fotografien in seinem Archiv kennt, selbst erleben.
Wenngleich Ben Stiller seiner Figur zunächst eine gewisse Distanz und Starrheit verleiht, geben die Bilder Walter Mitty Tiefe. Er selbst wird zu einer beeindruckenden Persönlichkeit. Gerade die Bildhaftigkeit des Films ist auch die Stärke von „Das erstaunliche Leben das Walter Mitty“, da die eigentliche Geschichte um Walter Mitty eher banal und austauschbar bleibt: Ein Einzelgänger rückt ins Zentrum des Geschehens, findet zu sich selbst und entwickelt sich zum Helden – und findet dabei natürlich auch noch die Frau seiner Träume. Das Happy End überrascht niemanden. Aber gerade diese kitschigen Elemente unterstützen den Märchencharakter des Films und mag so manchem Zuschauer über die ein oder andere Plattitüde hinwegsehen lassen, indem man sich von der gewaltigen Bildern und Walter Mittys Eigensinn verzaubern lässt.
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