Ein einsamer Cowboy reitet durch dunkle, verschneite Schluchten. Er blickt in die Ferne, vor ihm ein kleines Dorf: sein Quartier für den Winter. Zunächst stehen die Dorfbewohner dem Fremdling skeptisch gegenüber. Was hat er hier verloren? In diesem verlassenen Tal? Hier landet doch eigentlich keiner. Jeder kennt sich, lebt seit Generationen hier und akzeptiert alles so, wie es eben ist … aber dann landet auf einmal dieser mysteriöse Fremde hier und möchte im Dorf überwintern. Mit ein paar Goldmünzen lassen sich die Gemeinde-Anführer jedoch schnell überzeugen und die Kamera des Fremden löst in ihnen darüber hinaus eine gewisse Technikfaszination aus. Gerne lassen sich die Dorfbewohner für die Ewigkeit fotografieren. Die Skepsis verlieren sie dennoch nie. Der Fremde wird stets von allen Seiten beobachtet.

Beklemmend dunkel und angenehm brutal inszeniert Andreas Prochaska seinen neuen Film „Das finstere Tal“, der auf dem gleichnamigen Bestseller-Roman von Thomas Willmann basiert. Bereits in der literarischen Vorlage entsteht ein seltsamer Hybrid aus Western, Heimatfilm und Dokumentation. Ein amerikanischer Cowboy geht auf einen Rachefeldzug in einer düsteren, verschneiten Alpenlandschaft irgendwo zwischen Bayern, Südtirol und Österreich. Ein deutschsprachiges Cormac-McCarthy-Drama. Grotesk, grausam und spannend zugleich. Prochaska macht aus diesem Stoff einen überzeugenden Western – stilecht ohne viele Worte, dafür mit vielen düsteren Gestalten und beeindruckenden Bildern. Die beiden Gegenspieler Greider (Sam Riley) und Hans Brenner (Tobias Morretti) schießen, reiten und schmähen sich durch die tiefen Schluchten und dunklen Wälder.

Der Plot von „Das finstere Tal“ entwickelt sich dynamisch und weitgehend chronologisch, mit wenigen Rückblenden. Vor allem die Identität des Fremden, Greider, bleibt lange Zeit offen. Erst nach und nach werden die Motive des Texaners entlarvt. Zunächst wissen wir nicht mehr als die Dorfbewohner. Ein Fremder – mit einem englischen Akzent – landet in ihrer Gemeinde. Er selbst spricht nicht viel und vor allem nicht über sich selbst. Jedoch beobachtet er gerne das Geschehen im Dorf, versucht die Strukturen zu erkennen und zu analysieren. Schnell begreift er, dass alle Stricke bei den Brenner-Brüdern zusammenlaufen. Sie haben die Macht – gelenkt und geleitet von ihrem Vater, dem patriarchalen Oberhaupt des Dorfes. Niemand wehrt sich. Niemand traut sich, auch nur ein Wort gegen die Brenner-Burschen zu sagen. Denn jeder im Dorf fürchtet Veränderung, egal wie positiv diese auch ausfallen mag. Es muss dann schon ein Fremder in diese Welt eindringen – am besten noch von ganze weit her aus dem wilden Texas –, um die Machtverhältnisse zu verlagern. Die gewohnten Grausamkeiten finden ein Ende, auch wenn sich manch einer zunächst noch gegen diese Neuerungen streuben mag.

„Das finstere Tal“ bewegt sich stets zwischen unterschiedlichen Welten hin und her. Dies findet sowohl auf der Erzähl- als auch der Bildebene statt. Zwischen Panoramaaufnahmen der düsteren Alpenatmosphäre, in denen Nebelschwaden die hohen Felsenspitzen umkreisen, steuert die Kamera ganz nah auf Figuren zu und zeigt sie in unheimlichen Großaufnahmen. Die Bilder visualisieren die eisige Kälte des Tals und schlagen zugleich eine Brücke zur Gesellschaft, die im Film abgebildet wird. Sie spiegeln die Ausweglosigkeit der Dorfbevölkerung wider. Das Tal scheint eine Sackgasse zu sein. Eine Sackgasse einer anderen Welt, mit anderen Sitten und Gesetzen. Vieles bleibt unangesprochen und wird nur oberflächlich angekratzt. Figuren, Hintergründe, ganz einfach die Vergangenheit. Stilisiert sehen wir bereits zu Beginn des Films eine Fotografie einer jungen Frau und brutale Szenen, in denen eben diese Frau von ihrem Liebsten durch Gewalt getrennt wird. Viel mehr erfahren wir lange nicht, bis sich herausstellt, dass sie der Grund für Greiders Rachezug ist.

Der Western ist ja schließlich eine Männerdomäne. Ganz platt formuliert, ein Produkt von Männern für Männer. Auch „Das finstere Tal“ hält sich an diese vereinfachte Faustregel. Während natürlich eine Frau – oder besser der weibliche Teil der Dorfgemeinschaft – der Auslöser für die Handlung im Film ist, spielen die Frauen eine extrem passive Rolle. Sie lassen lieber die Männer handeln, die für und um sie kämpfen, schießen und morden. Die patriarchalen Strukturen werden dabei bis zum Ende nie gebrochen. Das Dorf wird zunächst von der Brenner-Dynastie bestimmt und dann muss diese auf brutalstem Wege von Greider, einem anderen Mann natürlich, gestürzt werden, sodass letztendlich alle dastehen und nicht wissen, wie es jetzt weitergehen soll. Wer übernimmt denn ab sofort die Entscheidungen im Dorf? Wer bestimmt, was wie wo und wann passieren soll? Man(n) klammert sich an die alten Strukturen und hat Angst vor Neuem, während Frau, allen voran die junge Bäuerin Luzi, zu erklären versucht: „Die Freiheit ist ein Geschenk, das sich nicht jeder gern machen lässt.“

Meinungen

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