Heinrich von Kleist (Christian Friedel) möchte sterben. Durch eine Pistole, er präparierte gleich zwei, um einer Fehlzündung ersterer vorzubeugen. Aber der Tod, der soll möglichst nicht allein geschehen, denn der Einsamkeit und Tristesse eben jenem Lebens möchte man ja zumindest endlich entfliehen. Aber die geeignete Partnerin, die bietet sich nicht sogleich an. Die eine will nicht, ist amüsiert, entrückt, leicht blasiert aufgrund obskurer Anfrage; die andere muss erst kommen, aber mit der Liebe (höchstes Kriterium!) ist’s noch nicht gut bestellt. Allzu leicht gestaltet sich das Ableben des Dichters von Kleist daher nicht. Mit einem zuckenden Lid und gewiss einigem Schmunzeln ist dem Tod da gleich eher beizuwohnen, meint Jessica Hausner in ihrer „Amour fou“, welches ein weiteres Werk ihrerselbst in der Reihe Un Certain Regard kennzeichnet (zum Wettbewerb also scheint’s nicht mehr weit). Nach „Lourdes“, diesem zynisch verspielten Spiel um Religiösität und den Kampf mit dem Gottesglaube, ist dies ebenso traditionell österreichisch betuchtes Kino mit unterdrückter Klassik und erstaunlicher Komik.
Denn ja, die Zweifel Kleists und seiner ausblutenden Melancholie laden überaus zu begehrlichem Lachen ein. Papalapap, wer da ungewöhnliche Dramatik zu finden meint – die nämlich bleibt mehr verwehrt, wenn auch wie immer geradezu obligatorisch entledigt in den Werken Hausners. Auch in „Amour fou“ geschieht wenig, man darf behaupten fast nichts. Und doch legt Kleists unbedingter Todeswunsch die Auswegslosigkeit des Unterfangens in stiller Andacht fest. Die Szenarien stülpen sich nach innen in die Statik vermeintlich ebenso erstarrter Protagonisten; und der Frost, der sich in diesem Kammerspiel im feudalen Berlin inklusive allabendlicher Gesangsunterhaltung setzt, der schießt dann natürlich auch keineswegs wie Feuer heraus. Unter vier Augen begegnet man sich hier selten, davon zeugen nicht nur die getrennten Ehebetten. Weil Kleist aber noch immer sterben möchte, kommt ihm die seltsame Erkrankung der Henriette (Birte Schnoeink) gerade recht. Denn wo sie das Leben plötzlich schwinden sieht, da weckt der gemeinsam einsam erlebte Tod allemal Begehrlichkeiten.
Bis sich der Freischuss am Kleinen Wannsee aber wie ein fantastischer Showdown im gut situierten Westernmelodram freigibt, da wird Henriette von Geschwulsten und Geschwüren umtrieben, ein Aderlass und magnetischer Schlaf werden ihr heimelig gemacht und die Welt noch mehr entrückt, als die Debatte um die lieben Steuern könnte, die plötzlich vom Bettler bis zum Adel jeder zu tragen hätte. Die Aufruhr lässt Hausner spielen bis zur vollkommenen Unterdrückung der Emotionen. Es ist wie eine Fabrik, die immer Dampf ablässt, aber niemals explodieren geschweige denn akut arbeiten könnte. Gleich ihres „Hotel“ aus dem Jahr 2004 wuchert die Staffage, die Farce und das niemals Angekommene aus den Stücken ihrer Erzählung. Diese Charaktere fassen sich ein in die lustvollen Tapeten im Hintergrund und verschmelzen mit ihnen regungslos. Da ist die Regung Heinrichs (der Name Kleist übrigens taucht hier kein einziges Mal auf) eine grundlegende Sensation, wenn auch an sein Umfeld angepasst. Die zweifache Frage an seine Cousine (Sandra Hüller), ob Sie denn nicht mit ihm, dem Dichter, sterben wolle, fügt sich nicht sofort ein, aber viel ist aus diesem Zynismus auch nicht zu lesen.
So wie eben aus dieser „Amour fou“ wenig zu lesen ist, weil es am Boden und der Klärung mangelt. Dem (auch immer Kubrick’schen) Horror vergangener Filme versagt Hausner zudem anrüchig kalkuliert, der Flucht aus der Misere bleibt dann schließlich nur der Tod und einzig dieser. Henriettes Ehemann, sie nennt ihn gefällig nur Vogel (Stephan Grossmann), nimmt das Ende dann wie ein Mann damaliger Zeit das Ende wohl nahm: Mit Andacht, aber auch ganz nach dem Stile „weiter geht’s, die Steuer folgt“. Jene Karikatur, die sich immerzu auf die Spitzen nicht vorhandener Beziehungen fixiert, schwimmt auch in dem Kleist’schen Bestandskanon um „Die Marquise von O…“ und mit einem leichten Querschläger zu seinen wankelmütigen, satirischen Essays (insbesondere „Über das Marionettentheater“). Die Sprache aber, da darf man betucht nach Arnaud des Pallières’ letztjährig debilem Ausflug „Michael Kohlhaas“ (ebenso in Cannes) aufatmen, die winkt die Hypotaxen in lose Filmform. Anderweitige Fehler in Hausners kompakt zerstreutem Haushaltswarenladen lassen sich so gerne verzeihen. Denn hübsch sieht es unweigerlich aus, wenn der Leim nicht mehr die Tapette fasst, sondern zuerst und primär den Menschen.
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