Über die komplementären Filme von J.C. Chandor zu schreiben, ist hinreichend Ansporn, querdenkerische Ansätze und spontanere Eingebungen in Erwägung ziehen zu müssen. Herausfordernd gewiss, aber im Trachten nach flexibleren Rezeptionsstrategien darf dieser Widersinn nicht weggewinkt werden: J. C. Chandors Filme sind Zwillinge ein und derselben Rasse. Strikte Kalorienbremser, geschäftliche Zahlendreher und irrtümliche Entspannungstherapien. Spannungskontroversen im besten Fall, deren diskrete Menschkonflikte ausgerechnet, berechnet und gegengerechnet, statistisch abgeschätzt werden. Alles gleich dem Gleichen. Potenzielle Schreibblockadeopfer. Den Titel „A Most Violent Year“ trägt Chandors zwischenzeitlich dritter Spielfilm, der seine restriktive Magen- und Darmkur erfolgreich in gestrige Patina verkleidet. Nehme man ihm ein Gramm elastisches Fett weg, sähe man, was übrig bliebe: ein leichtlebiges Gebilde, kaum mehr durchstudiert und -choreografiert. Getreu dieses Umstandes profitiert „A Most Violent Year“ ausdrücklich erzählsättigend – austariertes Erzählen, aber nicht prätentiös planschendes. Kein ergebnisloses Lückenmaterial, viel Präzisionsstoff dagegen, der pingelig ausgerupft und freigelegt wird. Ein nochmals prosaischer Wirtschaftsaufsatz, eine nochmals aristokratisch angekühlte, schal entmystifizierte Amerika-Ballade.
Obacht aber. Fühlte sich Chandor in „Der große Crash – Margin Call“ und „All is Lost“ berufen, den Raum einzuengen, öffnet er ihn nun den Figuren horizontal. Buchstäblich entlastet und befreiend stiefelt, joggt, rennt Abel Morales (Oscar Isaac) ein New York ab, ein sepiaversifftes, verdorrt-öliges New York, das Rost ausblutet und an der existenziellen Demarkationslinie zwischen der diesseitigen Legalität und der jenseitigen Unrechtmäßigkeit Märkte befeuert, die Gewinne und Verluste einfahren. Das Rennen Morales’ – er übernahm ein Heizöl-Fuhrunternehmen und befindet sich fortan in einem Kleinkrieg, in einem vielschichtigen Kräftemessen mit anderweitigen wirtschaftlichen Interessemachthabern – wird zur sinnstiftenden Metapher des Flüchtens vor jener Grenze, die mit seinem diplomatischen Idealverständnis nicht mehr verträglich ist, dem (illusorischen) Flüchten vor dem Öl, das sich nicht mit Blut vermischen soll. Morales ist ein Krimineller, wenn auch ein überlegender, überschlagender, überkalkulierender Krimineller, aber das rohe Gewaltklima eines hierarisch geordneten Männerverbundes und inneren Zirkels, dem er angehört, entfaltet selbstmörderisches Potenzial: Der (torkelnde) Gangster, der angesichts des vorsätzlich gewobenen Opportunismus in diese Rolle hineingezwungen wird, ist bereits ein ikonografisch-mythologischer Stereotyp in den Filmen von Sidney Lumet, Martin Scorsese oder etwa Brian De Palma.
J.C. Chandor winkt renommierte Vorbilder urban-epochaler Crime-Tragedys heran, obwohl er deren fiebrige Hitze skaliert. „Goodfellas“, ja speziell „Goodfellas“ – ein Körper, auf offener Straße abgeladen, ein erster Flirt mit der Regentschaft der sich entladenden Macht. Eine erste Szene, die uns in den Alltag eines Gewalt schaffenden Parallelsoziotops zieht. Die lakonische Schauspielführung des Films indes passt zu ihren minimalistisch hadernden Akteuren, die sich zwar subtil und mitteilungswirksam verständigen (Jessica Chastain belebt als verruchtes, tatkräftiges Flittchen anmutig schroff die Leinwand), allerdings trotz der geografischen Raumvergrößerung in ihren eigenen Wänden Unwohlsein empfinden. Nach „Der große Crash – Margin Call“ und „All is Lost“ tragen sie den Widerstreit der Debatte, schraffiert von dürren Datenerfassungen, einmal mehr dort aus, wo sie verschluckende Dekoration der Raumenge werden. Während der Ton bei unvermittelten Schusswaffengeräuschen und einer prägnanten Autoverfolgung beinah zerbirst, verkleinert sich „A Most Violent Year“ beständig, lenkt die (ansteigende) Gewalt auf denjenigen, der sich ihr verwehrt und sich weigert, die Tennisseite zu wechseln. Chandors drittes Werk gehört insofern womöglich am ehesten in die Arme des Genrekinos ausgemisteter Mythenverdichtungen geworfen (obendrein dabei: die Schnüffelpolizei), ohne eine großspurige Epik preisen zu müssen.
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