Mit seinem 1973er Jahrgang hat Regisseur J.C. Chandor ganze drei Spielfilme auf dem Buckel. Das mag für manche Kollegen seines Faches einen vergleichsweise geringen Output darstellen, doch dafür hat es in seinem Fall jeder Film in sich. Von „Der große Crash“ über „All is Lost“ hinein in „A Most Violent Year“ dringt der vormals über Dokumentar-, Werbe- und Kurzfilme erprobte Newcomer in menschliche Extremsituationen vor. Seine Stärke liegt in der inszenatorischen Klaustrophobie und Sprachlosigkeit, mit der er sein Star-Aufgebot menschlich greifbar macht; ihre Gefühle aber weitgehend minimalistisch, doch nicht minder effektiv ausbreitet. Der Mann weiß, was er will und konzentriert sich deshalb aufs Konkrete, wie er auch laut eigener Aussage fünfzehn Jahre lang auf die Chance einer großen Regiearbeit wartete, ehe das Selbstbewusstsein 2011 die Chance ergriff. Seine Charaktere aus den stets von ihm selbst geschriebenen Drehbüchern suchen ebenso die Ambition, wenn auch zum Halt in der Überwindung des Übermenschlichen. Sei es die Finanzkrise, der unbarmherzige Ozean oder die wirtschaftliche Korruption im New York der achtziger Jahre: Der Druck ist allgegenwärtig. Meist steht der Protagonist (unter anderem in Form von Robert Redford und Oscar Isaac) vor wenigen Optionen – aufgeben oder hoffen.
You know, the feeling that people experience when they stand on the edge like this isn’t the fear of falling – it’s the fear that they might jump.
Einen rettenden Ausweg kann man da nur leise am Horizont erkennen, gemäß dem Fall, man findet überhaupt die Orientierung im Dunkeln wie auch im Hellen. Wenn man sie jedoch nicht erreicht, schlägt wie aus dem Nichts die Gewalt zu – in physischer wie auch psychischer Hinsicht. Völlig gleich, ob sie vom Menschen, von der Natur oder vom Börsenkurs ausgeht: Die Empathie mit den Herausgeforderten in Chandors Filmen ist so selbstverständlich wie bei keinem anderen Regisseur seiner Generation, auch weil er filmische Stilistik nicht über den Figuren anordnet, sondern diese an ihren Überlebenswillen anpasst. Warum aber bei den Danksagungen in jedem Abspann seiner Filme immer J.J. Abrams und auch Michael Bay auftauchen, bleibt uns weiterhin ein Rätsel. Trotzdem schenken wir diesem besonnenen Vermittler des Inneren, der schon eine Oscar-Nominierung beim Erstling einsackte und eigentlich noch mehr verdient hat, gerne unsere Aufmerksamkeit. Daher versammeln wir Chandors bisher erschienene Spielfilme anlässlich des hiesigen Kinostarts von „A Most Violent Year“ am 19. März in einer kleinen, aber feinen Retrospektive. Hoffentlich müssen wir ab hier keine weiteren fünfzehn Jahre auf sein nächstes Werk warten.
Überblick
Der große Crash – Margin Call (2011, Ausführliche Kritik)
Der Blick nach draußen, ins moderne New York, verspricht reichhaltige Möglichkeiten, doch die Karriere zwingt zum mehr oder weniger freiwilligen Druck nach innen. Die Optik dazu konstruiert kontrastreichen Style; dessen Macht kann man nur mit Ermattung begegnen, sobald man in der Rücksichtslosigkeit des Börsensystems, ganz entmenschlicht wie ein Datensatz, abgekoppelt wird. Die Furcht gehört zum Beruf dazu, ist kalkulierbar; der Verlust bleibt aber weiterhin schmerzlich. Eric Dale (Stanley Tucci), jahrelang im statistikbasierten Krisenmanagement angestellt, ist da einer der Ersten, der fliegt. Seine Kollegen leiden in seinem Tribunal mit, da sie wie er die Vorzeichen des Zusammenbruchs spüren.
All is Lost (2013, Ausführliche Kritik)
Denn sein Pragmatismus kann ihn nicht retten, diesen einen durchaus lästigen und beunruhigenden Fakt des Lebens anzunehmen: Dass es enden wird. Wenn wir nun im Charakter Redfords in dieses tiefe, mystische Wasser gezogen werden, unser Atem langsam versagt, der Körper ob der Sauerstoffarmut zu krampfen, sich zu winden beginnt, dann spüren wir eine einzigartige Metapher auf das Leben an sich und ein wenig auch: auf den Tod. Auf das langsame Verschwinden, wenn wir Licht und Schatten vor unseren Augen nicht mehr auseinander halten können, wir einen letzten Gruß an die Welt aussenden möchten und uns die Worte dennoch fehlen.
A Most Violent Year (2014, Ausführliche Kritik)
Buchstäblich entlastet und befreiend stiefelt, joggt, rennt Abel Morales (Oscar Isaac) ein New York ab, ein sepiaversifftes, verdorrt-öliges New York, das Rost ausblutet und an der existenziellen Demarkationslinie zwischen der diesseitigen Legalität und der jenseitigen Unrechtmäßigkeit Märkte befeuert, die Gewinne und Verluste einfahren. Das Rennen Morales’ – er übernahm ein Heizöl-Fuhrunternehmen und befindet sich fortan in einem Kleinkrieg, in einem vielschichtigen Kräftemessen mit anderweitigen wirtschaftlichen Interessemachthabern – wird zur sinnstiftenden Metapher des Flüchtens vor jener Grenze, die mit seinem diplomatischen Idealverständnis nicht mehr verträglich ist, dem (illusorischen) Flüchten vor dem Öl, das sich nicht mit Blut vermischen soll.
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