Überall Farbe, Nachwehen einer fernen Zeit, adrette Kokons, die ihre Identität verschleiern. Todd Haynes’ „Carol“ säumt diese Farbe auf in einem hellkieseligen Nerzmantel, in Samt, in Leder, im Qualm etlicher, rußender Zigaretten. Es ist ein leiser, sonnenkitzelnder Film, der ruht und innerlich doch tobt, der leidet, klammheimlich, hinter wisperndem Dekor, das sich an uns presst wie Seidenpapier. Währenddessen streut Edward Lachman purpurrote Nuancen auf seine Bilder, und ein elliptisches Kaminfeuer zürnt zwischen zwei Frauen, die ihre bisherigen Beziehungen zu Männern einstellen, damit sie fühlen, was die konservative Gesellschaft der fünfziger Jahre ihnen zu fühlen verwehrt: Liebe. Carol, eine Upper-Class-Femme-fatale im suburbanen New Jersey, deren Leben als Hausfrau um ihre Tochter kreist; Therese, eine aspirierende Fotografin zwischen New Yorks Wolkenkratzern, die nicht einmal weiß, was sie zu Mittag essen soll: Ihre Welten kollidieren, obgleich sie unterschiedlichen Strukturen folgen. Haynes näht daraus eine Mise en Scène, in der zwei Arten der Liebe existieren: die Liebe als Puppe; seelenlos, hölzern, determiniert – und die Liebe als Eisenbahn; warm, frei, zirkulierend. „Carol“ nimmt sich beider an, doch ist sich sicher, welche die richtige ist.

Nach den spätherbstlichen Blätterserenaden aus „Dem Himmel so fern“ geht nun Schnee nieder, es ist Winter, und Weihnachten naht. Aber das einstige Technicolor wirkt blass, als ob es zu viel Melancholie gebadet hätte. Wo Julianne Moores Cathy noch durch eine türkisblaue Ära tanzte und in Edward Hoppers „Nachtschwärmer“ Platz nahm, sitzt Rooney Maras Therese allein auf der Bettkante in einem Hotelzimmer – wieder ist es ein Hopper’sches Bild, doch wirkt es leer vor Sehnsucht. Das Motiv des jungen, schüchternen Mädchens, das nicht anders kann, als der älteren, wohlsituierten Housewife zu verfallen, ist nicht mehr Douglas Sirk, obwohl es sein Melodram atmet. Stattdessen erzählt „Carol“, nach einem frühen Roman von Patricia Highsmith, wie eine klassische amerikanische Epoche heute übersetzt werden kann, wenn nicht die Staffage zählt, sondern der Reichtum zwischen dem, was das Kino bereit ist, zu zeigen, und dem, was das Kino bereit ist, zu sagen. Einmal lungert Therese in einem Projektorraum, sie schaut Billy Wilders „Boulevard der Dämmerung“ durch das kleine Lichtfenster, und einer ihrer Begleiter, ein Angestellter der New York Times, notiert, wie oft Joe Gillis und Norma Desmond nicht ausdrücken, wonach sie begehren. Im Grunde ist dies die Misere zwischen Therese und Carol – und die Misere einer Zeit, die bis heute anhält.

In zarten Kontrasten misst Phyllis Nagys Drehbuch die Bedeutung dieser Liebe, die sich unter McCarthys Drohnen windet. Erst paffen Züge und Spiegel laufen an. Dann folgt, wie in David Leans „Begegnung“, eine narrative Konstruktion, die auf eine Szene am Ende verweist und durch eine hinzutretende, irrelevante Person unaufgelöst bleibt. Nur die Rollen haben sich längst verschoben: Carol ist keine außerweltliche, perfekte Grande Dame mehr, sondern eine Bittstellerin, die für ihre Gefühle einsteht, obwohl ihr mondänes Umfeld nicht d’accord geht. Cate Blanchett heißt die Zauberformel dieser Figur, sie ist Horizont und Klippe zugleich. Der Blick, den uns Todd Haynes durch sie schenkt, fällt jede Barriere und Erwartung, welche über die glatte Fassade zu schwappen droht. Auch „Carol“ fristet ein Dasein zwischen den Zeilen, als elegisches Plädoyer für den echten, weil lebendigen Film, mit Korn auf Super 16, der sich einer Kraft nähert, die heute möglicherweise nur noch im Kino Terence Davies’ lebt. Der Riss in der Wand wirkt beinahe marginal, doch ist gerade in seiner Zartheit eine einzige, gleitende Projektionsfläche, eine analoge Kamera ohne Zoom. An diesen Film müssen wir nah herantreten, um alles zu erkennen, dazu fordert uns Haynes auf.

Meinungen

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