Manchmal kann man beim Blick auf das Kinoprogramm voraussehen, wann ein ansprechendes Produkt keine atemberaubende Erfahrung verspricht, selbst wenn Stars und Sternchen vom Plakat hinunter scheinen. Bei einem Titel wie „Die Vorsehung“ darf man nach jahrzehntelanger Filmkompetenz auch durchaus skeptisch sein, schließlich verbirgt sich dahinter ein übernatürlicher Thriller. Die Gesichter von Sir Anthony Hopkins und Colin Farrell wollen Sicherheit vermitteln – aber wehe dem, der sich bei jenem Genre nicht sofort fragt, wie es im Jahre 2015 noch ernst genommen werden kann. Und das aus gutem Grund: Ursprünglich war „Solace“ (so der Originaltitel) als Fortsetzung zu „Sieben“ gedacht und dümpelte eine Dekade lang durch mehrere In-Development-Höllen. Nun endlich wird er als Bastard entflohener Zeitgeister auf die Menschheit losgelassen, als wäre die Ära von „Denn zum Küssen sind sie da“ bis „Next“ (mit Nicolas Cage) nie vergangen. Regisseur Afonso Poyart probiert also das standardisierte Prozedere der Serienkillerinvestigation, bei der ein sinnesbegabter Ermittler durch plakative Effekte und Videoclipmontagen zum Duell gegen einen ebenbürtigen Zukunftssichter gezwungen wird, der ihm immer einen Schritt voraus zu sein scheint – und damit ist nicht nur der Zuschauer gemeint!

Sir Anthony gibt sich folglich als John Clancy im Dienste des FBI die Ehre, als ob er selbst die Heldenrolle aus „Roter Drache“ übernehmen oder sich mit dem Gehaltsscheck auch nur ein neues Haus verdienen wollte. Seine Rolle und das gesamte Ensemble sind nämlich Opfer eines äußerst austauschbaren Drehbuchs. Ohne ein Gefühl zu vermitteln, wie viel von der Lösung des Falls abhängt, wird man in Figuren katapultiert, die sich nicht etwa durch aufregende filmische Mittel definieren, sondern erzählen, wer wer ist. Eine faule Methode der Charakteretablierung, durch die man auch noch jene Idee ernst nehmen soll, dass Herr Clancy bei bloßer Berührung Vergangenheit und Zukunft eines Menschen und Objektes vor seinem inneren Auge abspielen kann. Poyart äußert dies entweder mit einem Schnittgewitter an Symbolen und Erinnerungen, die sich laut und plump ankündigen oder auch mit Plansequenzen, die im Grunde Michel Gondrys Video zu Kylie Minogues „Come Into My World“ von 2002 reproduzieren. Wie wenig überraschend das im letzteren Fall immer ausartet, wenn eine Eventualität zum Tode einer Hauptfigur führt, sich dann aber lediglich als Vorstellung Clancys entpuppt.

Ebenso entbehrlich ist das Ermittlerduo um Agent Joe Merriwether (Jeffrey Dean Morgan) – dessen Charaktermerkmal es ist, dass er eine Familie hat – und Agentin Katherine Cowles (Abbie Cornish), die als promovierte Psychologin nur wenig von Clancys Kräften hält. Die Streitköpfe müssen aber lernen, zusammenzuarbeiten und das Rätsel um den Killer zu lösen, der sich als eine Art umgedrehter Jigsaw offenbar ausschließlich Opfer sucht, die bereits todkrank sind oder sein werden, um ihnen so Erlösung zu bringen. Obwohl das unbekannte Monstrum ständig in Clancys Visionen auftaucht, denkt er nicht daran, ein Phantombild erstellen zu lassen. Stattdessen entfesselt sich im Folgenden ein Gruselkabinett taktloser Filmsprache, das hastig Emotionen forcieren will, obwohl diese nicht etabliert wurden. Selbst wenn in einer Szene versucht wird, einer trauernden Familie entgegenzukommen, damit diese die Obduktion ihres Sohnes erlaubt, schneidet der Film abrupt weg, knackt den Schädel des Kindes und halbiert das Hirn, um einen Tumor zu finden. Der Konflikt der Stimmungen hält die gesamte Laufzeit durch und sprengt nicht nur durch solche Methoden die Grenzen zur zynischen Exploitation, die ihre Zuschauer für ausgesprochene Dummköpfe hält.

Zudem bemüht der Film alles erklärendes Overacting (vor allem durch Cornish) und erzählt langwierig über eine Vergangenheit, die ohne Taktgefühl von chaotischem Actionkonsens, bedeutungsschwangeren Zeitlupen und Tatortuntersuchungen abgelöst wird, als hätte sich Poyart ein Vorbild an David Ayers „Sabotage“ genommen. Nicht zu übersehen und zu überhören: Kirchenkreuze und Hans-Zimmer-Chöre, um einen nicht vorhandenen Drive zu behaupten, der für ambivalente Charaktere sorgen soll. Als ob der Kanon des ungenutzten Potenzials nicht schon genug besetzt wäre, gibt sich Colin Farrell im letzten Drittel noch die Ehre, seine Präsenz als zweiter Hauptdarsteller auf dem Poster zu verdienen. Dabei mimt er entsprechend uninvolviert den kalkulierenden Psycho, während der Film weiterhin zwischen oberflächlichem Sterbehilfediskurs und spekulativer Groschenromankriminalistik pendelt.

Meinungen

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