Ist sie es, ist sie es nicht? Ist er es, ist er es nicht? Warum erkennt er sie nicht? Ihre Regungen, Hände, wesensgemäßen Eigenheiten, ihre fleischliche Mechanik, ihr Naturell? Mit Verlaub: Der neue Film des deutschen Autorenfilmers Christian Petzold wirft die hypothetische Frage der Verhältnismäßigkeit auf, inwiefern ein Mann (Ronald Zehrfeld) nicht mehr imstande ist, seine tot geglaubte Frau (Nina Hoss), ein Kriegsopfer, zu identifizieren, nachdem sie ihr entstelltes, monströses Gesicht operativ behandeln ließ. Braucht es dafür lediglich eine optische Neugestaltung? „Phoenix“, so nennt sich der Film und verbildlicht jenen mystisch züngelnden Ort gleichen Namens, an dem sich beide, er, der Kellner, sie, der Geist, nachts, in weinrotem, wollüstigem Licht, einander schicksalstragend begegnen. Ob Petzold uns erreicht, hängt davon ab, ob wir die deduktive Logik unserer Gegenwartsrealität ausblenden oder ob wir sie auf einen Film abwälzen wollen, der vor allem seiner wundersamen Prämisse wegen die Duldsamkeit des Zuschauers beansprucht, nach anderen Regularien und Maßstäben sehen zu müssen. Indem das anmutsvolle Pathos einer marternden Schwermut  Petzolds Film trägt, stellt sich aber nicht mehr die Frage des Erkennens, sondern die des Zusammensetzens. Setzt er sich zusammen? Sie sich? Und was ist mit der Liebe und der Barmherzigkeit? Rettung oder Zurückdrängung? Vergebung oder Entwürdigung über das Verbrechen hinaus? Sollte man sich an den Toten oder den Lebenden orientieren?

Umstandslos glaubt man ohnedies diesem zackig arrangierten Film, seiner fasslichen, nie verkrampften Gefühlsseligkeit und prosaischen Sachlichkeit, Lautstärke nach Maß auszugleichen. Gestützt auf die Priorisierung der Berliner Schule, auf das Gezielte und Detailfeste, erzählt Petzold einen einstweilen geschlossenen Ausschnitt breiterzählerischer (NS-)Historie in Form einer saloppen Kriminal- und Verkleidungsparabel, die im Schwelgen von unlesbaren Gesichtern und deren zaghaften Blickschichten eine meditative Wirkung erzielt. Dabei ist Nelly (Hoss) das Gespenst im Körper, der nicht ihrer ist, Kind einer Generation, die gebrochen, zerstört und entmenschlicht durch verschlissene, zerlumpte, brüchige Landesüberreste wandert und sich an dem klammert, was nicht nur alten, entschwundenen Erinnerungen, sondern annäherungsweise ihrem ursprünglichen Ich entspricht. Ihre Maske, das aufgesprungene, bandagierte Gesicht, an ihr traut sich die Kamera nicht heran, windet sich; „Phoenix“ ist ein stilles, passiv-sinnliches Liebesspiel, das sich selten öffnet und zu uns spricht, um sich nicht zu laben am Schrecken. In rissigen Glasscherben entdeckt Nelly ihre widerstreitende Identität, die erste am Kopf abgeschnitten, die zweite von Kopf bis Fuß reflektierend. An solchen Feinheiten ist Petzold interessiert, am roten Kleid, den französischen Schuhen, an der Rekonstruktion und Reproduktion des Menschseins vor dem Trauma und an der Wechselwirkung innerhalb eines Traumas.

Die kontrastierende Gegensätzlichkeit der Zweierpaarung als Herzstück des Films vervielfacht Petzold codiert. Reden und Schweigen, Singen und Sprechen, Nähe und Ferne, Enge und Weite, Nelly und Esther, Johnny und Johannes: Von strikten Dopplungen ist „Phoenix“ überlagert, während die expressionistische Licht- und Schattensetzung das Unausgeglichene und Gespaltene zweier innerer Persönlichkeiten malerisch unterstreicht. Dazu drängt sich eine Szene auf, in der Nellys Gesicht, sie ist nunmehr eine andere, eine Projektion einer Kopie ihres früheren Selbst, im Schattenhaften versinkt, wohingegen später, nach ihrem Geständnis, der Erzählung in einer Erzählung, das Licht die Schwärze bricht und das Gesicht, das Erkennen freilegt. Dem ökonomischen Inszenierungsgestus Petzolds geschuldet, zieht er das naturalistisch-Lebendige dem stilisiert-Verfälschenden vor, Baum- und Waldgeräusche so zu belassen, dass die Tonspur in ihrer eigenen authentischen Erhabenheit eine Atmosphäre isolierender Nachdenklichkeit forciert (man denke hierbei an die vergleichbare Parkszene aus Michelangelo Antonionis Filmklassiker „Blow-Up“). An den Stellen, an denen sich der Film und seinen Raum geradeheraus öffnet, entfaltet er beinah seine anhaltendste Kraft und dürfte darüber hinaus den Gedächtnispreis sicher haben, an „Wege zum Ruhm“ zu verweisen – sobald die Stimme eines Liedes die Erkenntnis einer Täuschung entlarvt. Esther ist Nelly, Johannes Johnny. Aber eine Einheit?

Meinungen

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