Manche Filme explodieren langsam, Damien Chazelles „Whiplash“ explodiert unentwegt. Es trommelt in ihm, es trommelt mit ihm, es pocht in einem Takt des unbedingten Willens, es birst immer und immer wieder bis zur Selbstaufgabe, die niemals folgt. Andrew (Miles Teller) ist dieser Trommler, der – aus welchen Gründen auch immer – der Beste aller Schlagzeuger werden will. Soweit, so banal. Denn das Trommeln ist hier vielmehr Sport, wie ein Boxkampf, in dem fortwährend Runde um Runde kein Sieger aus dem Ring steigt. Schlagzeuger gegen Schlagzeug. Mensch gegen Instrument. Mensch gegen Tempo. Mensch gegen Lehrer. Terence Fletcher (J.K. Simmons) ist dieser Lehrer, der – aus welchen Gründen auch immer – ein asozialer Teufel ist. Wenn er den Raum betritt, verstummen alle Laute; wenn er den Raum verlässt, bleibt nur noch Angst und Schweiß zu atmen. Der Lehrer treibt den Trommler in den Wahn, einen sogar trieb er in die Depression und schließlich in den Freitod. Nicht Andrew ist explizit neues Opfer von Fletchers Aversionen, jeder seiner Schüler ist es. Er zerstört, um weiterzubringen. Und man folgt ihm, weil er Koryphäe und Ikone ist; man folgt ihm, weil man darin über sich hinauswächst. Man ist Schwanzlutscher und Schwuchtel. Und man nimmt es hin. Selbst den Stuhl, den er nach einem wirft. Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin. Wortwörtlich.
Zwischen Andrew und Fletcher entspinnt sich ein Kampf, den Damien Chazelle in psychotisch manischer Begierde einfängt, gleich eines Kammerspiels, welches in fünf Schlägen pro Sekunde aus den Fugen gerät, um im Finale den expliziten, endgültigen Ausbruch aus der Idylle des Musikerdaseins zu feiern. Nichts ist hier erstrebens- oder lebenswert, weil nur der Rhythmus einen noch tiefer in die Verzweiflung treibt. Daher mag Fletcher zwar wie der Puls in der renommierten Akademie angehender Jazz-Musiker wirken, aber verantwortlich ist doch ein jeder für sich selbst. Auch, ob der Druck angenommen oder abgelehnt wird. Nimmt man ihn an, nimmt man ebenso die Konsequenzen an. Die kennt dort ein jeder. Und ein jeder hofft, Fletcher möge ihn endlich entdecken und in den Jazzhimmel heben. So wie Charlie Parker schließlich wohl nur zu Bird wurde, weil Jo Jones ein Schlagzeug-Becken nach ihm warf. Gewalt ist auch eine Lösung. Daher schallt es durchaus mal Ohrfeigen im vorgegebenen Schlagtakt. Für Andrew heißt diese Lösung, regelmäßig auf die Felle seiner Trommeln zu bluten, weil es die Haut von seine Händen reißt. Manchmal fixiert „Whiplash“ das Blut stärker als den Schweiß, der von Andrews Stirn tropft und seinen Körper benetzt. Der Horror wird alltäglich im Traum. Da er greifbar ist, bleibt er gleichzeitig erschreckend.
Doch gute Arbeit sollte niemand leisten, der es zu etwas bringen möchte. Der good job, der sei tödlich. Zumindest Terence Fletcher glaubt daran wie an einen Psalm. Die Muskeln spannen sich ledern über seinen Körper, den nur ein schwarzes Shirt irgendwie im Zaum hält; seine Glatze reflektiert das Neonlicht. Wenn dieser Wilde dirigiert, dann wirkt er noch fesselnder als ohnehin schon. Da nämlich sprüht Chazelle dieses titelgebende Schleudertrauma in ein ebenso olfaktorisch wie audiovisuell fanatisches Porträt über eine Generation, welche fortwährend mit den Grenzen der eigenen Träume konfrontiert wurde. Schon deren Eltern blickten auf zur Kunst, bis sie nur noch aus der Ferne starrten. Andrews Vater ist Lehrer, doch sollte eigentlich Schriftsteller sein. Als er dies nie wurde, schärfte er auch seinem Sohn ein, niemals zu viel vom Leben zu erwarten – sich treiben zu lassen ins nichtige Dasein derer, die ihre Träume auch nur noch im Traum lebten. Weil Miles Teller seinen Andrew zunächst als schüchternen Jedermann anlegt und mittels langsamer Tyrannei in die Abhängigkeit zu Fletcher wendet, wringt „Whiplash“ seinen minimalst gestreckten Narrativkörper großartig aus. Obwohl das Duell bulliger Dreh- und Angelpunkt bleibt.
Und so wie „Whiplash“ auch den Peitschenhieb bezeichnet, feuert er selbst diesen über die kompakte Laufzeit von 105 Minuten ab. Mehrmals. Bis das Fleisch aufreißt und die Trommel platzt. Damien Chazelle schafft noch Kino, bei welchem man sich unwirklich vor der Leinwand duckt, bei dem es einen auffrisst und eine tobsüchtige Welle überkommt: eine kleine Sensation eben. Die Dialoge perlen noch nicht ab, sie treffen ins Mark. Dieser Film ist eine Ohrfeige für all die alten, müden Männer, die sich in ihren früheren Auswürfen suhlen, aber besser wiederholen, was gut war, doch nicht mehr gut ist. Natürlich auch die alten, müden Männer in Cannes, wo „Whiplash“ lediglich die unabhängige Nebensektion Quinzaine des Réalisateurs erfreute. Mehr Mut zur Energie bitte!
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