Jedes Land besitzt seine eigenen Mythen, Sagen und Geister-Geschichten. Doch nur wenige Nationen beweisen solch eine liebevolle Verbindung zur folkloristischen Übernatürlichkeit wie Japan. Masaki Kobayashi verbindet mit seinem knapp dreistündigen „Kwaidan“ vier Beispiele des Grauens vergangener Jahrhunderte zu einer Anthologie, die jenes Kulturgut in wahrhaftige Schönheit umsetzt. Das fängt schon beim Vorspann an, der das Tropfen von Farbklecksen in Wasser zum beschaulichen Cinemascope-Wunder stilisiert, das Mysteriöse im Trivialen aufzeigt und vermittelt, dass im Folgenden mit Faszination hinter der Oberfläche der Realität geforscht wird. Was hier aber schon symptomatisch für den Rest des Films wirkt, ist die ruhige Aufzeichnung in Bild und Ton. Kobayashi probiert nämlich eine malerische Beschaffenheit zu Eindrücken, die altertümlichen Zeichnungen nachempfunden sind und hauptsächlich von pointierten Einsätzen traditioneller Instrumente unterstützt werden.

Abseits der Statik richten behutsame Kamerafahrten den Blick auf ein Zeitkolorit, das seine Künstlichkeit kaum verschleiert: In großflächigen Studios erschafft der Film Bühnen mit bewusst überspitzten und impressionistischen Hintergründen und veräußerlicht somit Fantasie zu Natürlichkeit, wie er auch Wahrheit im Aberglauben schöpft. Zudem fördert jene theatralische Emotionalisierung eine Konzentration im jeweiligen Narrativ herbei, welche die Konfrontation mit dem Unglaublichen intimer nachwirken lässt; quasi als Traumgebilde aufzeichnet, in denen kontemporäre Architektur und Lebensart zwar wiederzuerkennen sind, aber nach Belieben verzerrt. In dieser von Logik befreiten Zone sind Kobayashis meist männliche Protagonisten auch keine redseligen oder kräftigen Projektionen: Sie wandern stets ungewiss und hilflos durch eine Umwelt des Unbekannten und sind bereits mitten im Schicksal ihrer Geschichten, die per Voice over vom Erzähler etabliert werden.

Im ersten Segment vom „Schwarzen Haar“ ist anhand jener Konstellation zu erkennen, wie Schuld und Schwäche verarbeitet werden und die Moral von der Geschicht’ in einen existenzialistischen Albtraum mündet. Dort lässt sich ein Schwertkämpfer (Rentarô Mikuni) von seiner treuen Frau (Michiyo Aratama) scheiden, um eine vorteilhaftere Ehe mit einer Adelsfrau einzugehen. Aufgrund der herzlosen neuen Verbindung sehnt er sich jedoch nach seinem alten Haus und seiner alten Frau, welche er in seinen Gedanken immer wieder besucht, bis er seine Sehnsucht in die Tat umsetzt. Wiedergutmachung und Vergebung scheinen innerhalb der zahlreichen schwarzen Zimmer seiner Vergangenheit zu glücken. Doch der Schein löst sich bald in einer zerfallenden Realität auf. Diese einleitende Episode bereitet uns auf eine Unberechenbarkeit der Verhältnisse vor, anhand derer allerdings ersichtlich wird, mit welchem Respekt dem Gesamtgefüge der Welt, also auch den ungreifbaren Ebenen der Realität, entgegen zu kommen ist. Es gilt, das Unterbewusstsein zu pflegen, ehe es um einen herum zerfasert.

Die zweite Episode über die Schneefrau Yuki-onna versucht sogar einen Kompromiss: Zunächst blicken ihre Augen vom Horizont auf die Holzfäller im Schneesturm, Minokichi und Mosaku, herab, beanspruchen die Natur, welche die beiden zu stören gedenken, und setzen schließlich zur Bestrafung an. Bei jener wird der alte Mosaku erfroren, der junge Minokichi (Tatsuya Nakadai) jedoch verschont. Er darf niemanden von diesen Geschehnissen erzählen, soll die Schneefrau sie und ihre Umwelt in Frieden lassen. In seiner Unschuld schweigt er natürlich und erhält dafür eine Belohnung in der wunderschönen Yuki (Keiko Kishi), die ihm drei Kinder schenkt und offenbar keinen Tag altert. Bei ihr wähnt er sich sicher, von jener Nacht zu erzählen, da Yuki ihn an die Schneefrau erinnert. Damit bricht er allerdings sein Versprechen: Yuki entpuppt sich als jene Schneefrau, tötet ihn aber wegen der Kinder nicht und verschwindet stattdessen für immer aus seinem Leben. Auch Minokichi wird also zurückgelassen, da er seinem Respekt gegenüber der Harmonie mit dem Spirituellen nicht treu blieb. Die Liebe hat sein Leben zwar verschont, der Verlust ist ihm jedoch eine Lehre, worauf er sich nach der Bindung mit der Schönheit des Geistes zurücksehnt.

Diese zwei Geschichten mögen zwar moralische Schlusspunkte darstellen; Regisseur Kobayashi liegt es jedoch fern, diese als Urteile einer dominanten Natur zu stilisieren. Anders als im gängigen Horrorfilm verhärtet er beim Zuschauer nicht die Furcht vor der Bestrafung des Opfers, sondern entwirft eine Ambition zur Selbstverständlichkeit. Seine Geister sind keine Soziopathen; sie wollen nur, dass die Menschen sie erkennen und ihren Stellenwert in der Welt schätzen. Kein Wunder also, dass in der dritten Geschichte von „Hoichi, dem Ohrlosen“ der zunächst blinde Hauptcharakter (Katsuo Nakamura) die Sehnsucht der Verstorbenen vorbehaltlos anerkennt und sich um ihr Seelenheil kümmert. Letzteres geschieht durch seine musikalische Rezitation der letzten Seeschlacht bei Dan-no-ura zwischen dem Genji- und dem Heike-Klan im Gempei-Krieg. Dieses Szenario stellt der Film in einem kunstvollen und doch bitteren Todestanz nach, der in Parallelmontage zu zeitgenössischen Zeichnungen nochmals die Ehre des Films zur Schönheit der Kultur präsentiert. Jedenfalls reflektieren die Geister aus jener Schlacht ihre Existenz und Tragik, sobald Hoichi diese auf seinem Biwa für die Nachwelt aufrechterhält. Hier entwickelt sich eine Demut in den Seelen der Vergangenheit, die eine friedliche Koexistenz mit den Irdischen aufbauen dürfte – auch wenn die Priester, unter denen Hoichi eigentlich dient, ihn davor schützen wollen. Durch jenes Tauziehen entsteht eine Brutalität, in der die Sehnsucht der Toten blind für Menschlichkeit ist. Hoichi weiß jedoch um deren Umstände und verzeiht.

Die letzte Episode, über merkwürdige Erscheinungen in einer Teetasse, führt nochmals alle vorherigen Themen zusammen; schließt aber nicht auf einem entscheidenden Frieden, sondern einem ambivalenten Humor des Horrors ab. Dort wird ein Mann von einem Geist heimgesucht, der ihm zunächst im Blick auf den Tee in seiner Tasse erscheint und schließlich ohne näher definierte Absichten in Lebensgröße besucht. Der Besucher scheint ein freundlicher Geselle zu sein, doch sein unbefugter Zutritt provoziert natürlich Angriffe, die er jedoch nicht ungesühnt lassen will. Hierin stellt Kobayashi die Selbstverständlichkeit vom Eindringen des Übernatürlichen wiederum infrage und stellt klar, dass auch er Grenzen darin sieht, selbst wenn sein Film bis dahin Empathie dafür gesucht hat. Nun findet er wieder zu der Ungewissheit, mit der er anfing. Bis dahin hat der Zuschauer jedoch genug von dieser Zwischenwelt kennengelernt, um ihr auf gewissem Wege zu begegnen, sie aber nicht komplett entschlüsseln zu können. Die Faszination bleibt ungebrochen, wie die Schönheit der Phantomzone zum Blick hinter die Oberfläche der Realität einlädt. Ein zeitloses und einmaliges Mysterium, dieser facettenreiche Film der spirituellen Spannung.

Meinungen

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