Im Zuge der diesjährigen Oscars analysieren wir höchst subjektiv die Stärken und Schwächen eines jeden Nominierten in 24 Kategorien. Es soll jedoch nicht um eine Prognose gehen, sondern um die Qualität jedes Einzelnen. Eine Übersicht aller Beiträge findet sich hier. Zudem veranstalten wir ein großes Oscar-Tippspiel.

Die Auswahl der Oscar-Nominierten für die Beste Kamera ist dieses Jahr bunt gemischt: Mit „The Grandmaster“, dem eindeutigen Favoriten „Gravity“, der durch seine innovative Leistung von Emmanuel Lubezki hervorsticht, dem steril-realistischen „Inside Llewyn Davis“ von den Coen-Brüdern, dem in Schwarz-weiß gehaltenen „Nebraska“ und schließlich „Prisoners“, in dem Altmeister Roger Deakins die Bildgestaltung übernahm, formt sich ein durch und durch unterschiedliches Ensemble. Während drei digitale Produktionen nominiert wurden („Gravity“, „Nebraska“, „Prisoners“), gibt es lediglich zwei Nominierungen für Werke, die überwiegend auf Film gedreht wurden (wobei „The Grandmaster“ durchaus einige Sequenzen enthält, die auf digitales Material vertrauen).

Die Nominierten

© Warner Bros., STUDIOCANAL, Paramount Pictures, Tobis, Wild Bunch (v. l. n. r.)

Oscar: Beste Kamera © Warner Bros., STUDIOCANAL, Paramount Pictures, Tobis, Wild Bunch (v. l. n. r.)

Emmanuel Lubezki, „Gravity“

Emmanuel Lubezki ist einer der gefragtesten Kameramänner unserer Zeit. Sei es seine Arbeit für drei Filme von Terrence Malick („The New World“, „The Tree of Life“, „To The Wonder“) oder eben die fruchtbare Zusammenarbeit mit seinem Freund Alfonso Cuarón: Alle Filme zeichnen sich durch hervorragende, dynamische Kamerafahrten aus. In „Children of Men“ gelangen dem Mexikaner außerordentlich spektakuläre Plansequenzen, in „Gravity“ setzt er noch ein großes Stück an Perfektion darauf. Die ersten zwanzig Minuten gibt es keinen echten Schnitt, die Kamera bewegt sich in ständiger Bewegung um die Schauspieler und die anderen Objekte im Raum. Dass sich dieser Raum im Weltall befindet, ist das Geniale daran: endlose Freiheit. Allein wegen der absolut flüssigen Aufeinanderfolge von intensiven, fantastischen Bildern in 2.35:1 auf 65 mm gedreht, die in der Postproduktion noch entscheidend erweitert wurden, verdient er nach fünf erfolglosen Oscar-Nominierungen den Gewinn.

Bruno Delbonnel, „Inside Llewyn Davis“

„Inside Llewyn Davis“ hat einen tristen, aber hippen Look. Dies spiegelt ebenso gut die Geschichte des neuen Films der Brüder Coen wider: Der talentierte, aber glücklose Singer-Songwriter Llewyn Davis lebt ein monotones, nomadisches Leben in den Sechzigern. Dabei erschafft der Franzose Bruno Delbonnel sterile Bilder, welche auf 35 mm gedreht wurden. Auf Film zu drehen wird immer mehr vermieden, selbst die so kamerabegeisterten und für ihre Bildgestaltung gelobten Coens schließen nicht aus, für ihren nächsten Film auf das digitale Medium umzusteigen. Hier paaren sich extreme Detailshots mit stimmigen One-Point-View-Aufnahmen, zu kontrastarmen Bildern im Format 16:9.

Phedon Papamichael, „Nebraska“

„Nebraska“ von Alexander Payne ist ein schlicht gehaltener Film in Schwarz-weiß. Das häufig weitwinklig aufgenommene, melancholische Drama ist ästhetisch gesehen äußerst anspruchsvoll. Gezielte Fluchtpunkte, Dreiecksbildungen in statischen Bildern, die durch seltene Dollyfahrten kaum dynamischer werden, viele Panorama-Einstellungen, welche eine unveränderbare Ruhe wie aber auch gleichzeitig Monotonie und Belanglosigkeit aufzeigen und wenige Schnitte sind besonders auffällig. Phedon Papamichael wechselt kaum aus seiner Totalen in die Nahe, selbst wenn die Agierenden miteinander sprechen, was eine deutliche Distanz zum Geschehen bewirkt. Er filmt oft aus allen vier Himmelsrichtungen, nutzt den goldenen Schnitt bzw. eine klassische Bildgestaltung mit optimaler Platzierung der Protagonisten. Ein Teil der Geschichte ist sehr hell gehalten, andere eher dunkel. Dadurch ist ein Kontrast nicht innerhalb der Sequenzen erreicht, sondern im Bezug auf den Film im Ganzen.

Roger A. Deakins, „Prisoners“

Kamera heißt Licht. Manchmal jedoch heißt Kamera auch kein Licht. Genauso dreht Maestro Roger Deakins auch Denis Villeneuves „Prisoners“: Extrem arm an künstlichen Lichtquellen und stattdessen reich an natürlichem Tageslicht, Kegeln von Taschenlampen und Kerzenschein, welche häufig einseitig und von außen eintreten und eine zutiefst graue, entsättigte Ästhetik bilden. Dabei nutzt Deakins auch die mittlerweile für ihn zum Standard-Repertoire gewordene Kamera Arri Alexa und das Objektiv Master Prime Zeiss, welche bei eigentlich kontrastarmen Verhältnissen durch ihre Auflösung und ihren Belichtungsspielraum trotzdem klare Schatten produzieren. Nicht zufällig handelt „Prisoners“ schließlich von den inneren und äußeren Schatten seiner Protagonisten und dem fortwährenden Hin- und Hertreiben jener längs ihrer Seelen und ihres Seelenheils.

Philippe Le Sourd, „The Grandmaster“

Als Einziger der Nominierten ist „The Grandmaster“ eine Mischung aus 35 mm-Film als auch digitalen Aufnahmen. Deutlich wird dieser Mix der Darstellung nicht, es ist nur ein fließender Rausch aus Mensch und Kampf. Eine Arbeit von drei Jahren, die, so perfektionistisch Wong Kar-wai eben ist, eine harte, aber auch ereignisreiche Erfahrung für Kameramann Philippe Le Sourd war. Wenn ein Film wie „The Grandmaster“, betont auf Organik und Bewegung, darauf setzt, die Kampfszenen in Totalen aufzunehmen, ist die Schwierigkeit der Übersicht das größte Problem. Es wehen lange Umhänge und Haare, die Bewegungen sind schnell, unübersichtlich, kaum wahrnehmbar – übermenschlich eben. Dass es Le Sourd gelingt, den Überblick zu wahren, macht das Spiel von Zeitlupenaufnahmen zu einem visuellen Vergnügen.

Resümee

Für einen jeden dieser fünf Filme ist ihr Bildgestalter wahrhaft eine nicht nur technische, sondern qualitativ und narrativ relevante Bereicherung. Zwar perfektioniert Emmanuel Lubezki mittels „Gravity“ das digitalisierte wie auch klassische Spiel voller Plansequenzen und einer beinahe direkt erlebbaren Schwerelosigkeit, aber ebenso haftet Philippe Le Sourd anderswo ruppigen Bewegungsabläufen in „The Grandmaster“ eine sanfte Dynamik aus Beschleunigung und akuter Verlangsamung an. Dabei ist niemals die Herkunft ihrer Bilder entscheidend. Schöne Kinematografie mag noch immer nicht nur rein technisch definiert sein – aber weniger noch definiert sie sich durch ein digital oder auf Film erzeugtes Bild.

Meinungen

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