Im Zuge der diesjährigen Oscars analysieren wir höchst subjektiv die Stärken und Schwächen eines jeden Nominierten in 24 Kategorien. Es soll jedoch nicht um eine Prognose gehen, sondern um die Qualität jedes Einzelnen. Eine Übersicht aller Beiträge findet sich hier. Zudem veranstalten wir ein großes Oscar-Tippspiel.

Kleider machen Leute. Und wie in Hans Christian Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ erschaffen opulente Kostüme, Alltagskleider, selbst bloße Nacktheit, nichts weiter als eine große Illusion. Kleidung vermag uns so einiges über unsere Mitmenschen zu verraten oder aber sie blendet und täuscht uns. Kostüme sind im Film unerlässlich. Sie können die Wirkung von Charakteren betonen oder wirken gar deplatziert und lächerlich. Kostüme müssen entweder authentisch sein oder eine neue bisher ungekannte Traumwelt erschaffen. Es ist kein Zufall, dass Kostümbildner für ihre Mitwirkung in Epen wie „Spartacus“, „Amadeus“ und „Bram Stoker’s Darcula“ mit dem Oscar ausgezeichnet wurden, denn sie entführten uns in längst vergangene Tage oder seltsam anmutende Tagträume: sie erschufen die perfekte Illusion. Wer in einem Oscar-Jahr in der Kategorie Beste Kostüme nominiert wird, ist the hottest shit und somit Idol jedes Nachwuchsdesigners und angehenden Kostümbildners.

Die Nominierten

© Patricia Norris, Michael Wilkinson, Catherine Martin, William Chang Suk Ping, Michael O’Connor (v. l. n. r.)

Oscar: Beste Kostüme © Patricia Norris, Michael Wilkinson, Catherine Martin, William Chang Suk Ping, Michael O’Connor (v. l. n. r.)

Patricia Norris, „12 Years a Slave“

Statt auf theatralischen Pomp und Effekthascherei zu setzten, widmet sich Patricia Norris eher dem seltsam Alltäglichen, auch hat sie keine Angst vor schmuddeligen Gestalten. Ginge es hier nicht um Filme, sondern um Theaterstücke, könnte man sie wahrscheinlich als Neorealistin bezeichnen. Ihr Werk in „12 Years a Slave“ lebt von Gegensätzen: Die dürftigen, zerschlissenen und schmutzigen Kleider der barfüßigen Sklaven stehen im Kontrast zu den ordentlich gebügelten Seidenschals und Westen der Sklavenbesitzer, und auch die eher subtilen Kleider und Strohhüte der vornehmen Damen aus den Nordstaaten stehen im Gegensatz zu den gigantischen Reifröcken und verspielten Schleifchen, welche die Kleider der Südstaaten-Schönheiten zieren. Norris’ Kostüme fallen kaum auf, fügen sich ein in das melancholisch anmutende Gesamtbild des Films, sie tragen die Geschichte, anstatt sie zu überschminken.

Michael Wilkinson, „American Hustle“

Kostümdesigner Michael Wilkinson arbeitet eher genreunspezifisch. Stilistisch lässt sich jedoch sagen, dass er Schauspielerinnen gerne in heißen, knappen Fummeln sieht, ob in „Watchmen“, „Sucker Punch“ oder bei „Moulin Rouge“. Dieser unverkennbare Stil ist auch wieder in „American Hustle“ deutlich ersichtlich. Während die Hustler, egal ob FBI-Agenten, Politiker oder abgezockte Geschäftsmänner – sprich die Herren der Schöpfung – in schnittigen Samtanzügen, dicken Armbanduhren und Goldkettchen auf der Leinwand zu sehen sind, tragen die Damen Pelzmäntel, opulenten Strassschmuck, Kleider, Blusen und Röcke aus Seide, Satin, transparentem Chiffon oder hautengem Leder, meist figurbetont, mit hohem Beinschlitz und sehr tiefem Dekollete. Den hier und da herausblitzenden Busen von Amy Adams und Jennifer Lawrence zu bändigen, war sicherlich eine Herausforderung. Da der Film im Jahr 1978 spielt, kann man den Stil insgesamt als ein sehr detailgetreues Potpourri, inspiriert von der Mode der 70s und 80s, bezeichnen. Die Kostüme sind irgendwo zwischen „Boogie Nights“, „Studio 54“ und „Starsky & Hutch“ anzusiedeln.

Catherine Martin, „Der große Gatsby“

Während es Literaturliebhabern bei der haarsträubenden Neuverfilmung von „Der große Gatsby“ eiskalt den Rücken herunter läuft, hat der Burlesque-opulente Chic des Films kostümtechnisch schon mehr zu bieten. Natürlich steht hier der berühmt-berüchtigte Flapper-Stil der Golden Twenties auf dem Programm: relativ kurze, androgyn wirkende Kleider, die aber des Stilbruchs wegen mit etlichen Pailletten, Federn, und Strass aufgemotzt wurden. Trotz viel historisch belegbarem Bling-Bling hat sich die nun zum dritten Mal nominierte Kostümbildnerin Catherine Martin bei ihrer Umsetzung der Literaturvorlage einige künstlerische Freiheiten genommen. Von einer authentischen Umsetzung kann hier keine Rede sein. Martin hat sich bei ihrer Interpretation scheinbar sehr an den grotesk wirkenden, expressionistischen Bildern von Künstlern wie Otto Dix oder Ernst Ludwig Kirchner orientiert: Verzerrte Formen und grelle Farben scheinen das Kostümbild zu dominieren. Dass Martin es gerne schrill und knallbunt mag, hat sie bereits mit „Moulin Rouge“ bewiesen, für den sie 2001 mit gleich zwei Oscars in den Kategorien Beste Kostüme und Bestes Szenenbild ausgezeichnet wurde.

William Chang Suk Ping, „The Grandmaster“

Der gebürtige Hongkong-Chinese William Chang Suk Ping ist mit sechzig Jahren bereits ein alter Hase in seinem Metier, doch in unseren Gefilden scheint er weitestgehend unbekannt zu sein. Nun würdigt ihn Hollywood mit einer Oscar-Nominierung für seine Kostüme in „The Grandmaster“, der das Leben eines Kampfkunst-Meisters während des zweiten Japanisch-Chinesischen Krieges in den 30ern porträtiert. Bei den im Film verwendeten Kostümen vermischt Chang den traditionellen chinesischen Stil mit kolonialistisch geprägter Kleidung, die sich stark an der damaligen Mode der westlichen Welt orientiert. Ping erschafft damit eine sehr stilvolle Symbiose aus Film noir– und Karatefilm-Ästhetik und bleibt dabei trotzdem vollkommen puristisch. Die dunklen, meist gedeckten Farben unterscheiden sich lediglich in ihrer Textur: grobe Materialien, wie Leinen, Baumwolle oder Tweed werden von feinem Pelz und edler Seide ergänzt. Auf den ersten Blick scheinbar unspektakulär, bieten die dunklen Kostüme einen betörenden Kontrast zu Licht reflektierenden Regentropfen und weißen Schneeflocken. Damit gelingt es Chang die Dynamik der einzelnen Kampfszenen gekonnt zu betonen.

Michael O’Connor, „The Invisible Woman“

„The Invisible Woman“ – erzählerisch ein eher schwacher Film – wirft einen Blick auf die Liebesbeziehung zwischen dem englischen Romancier Charles Dickens und Nelly Ternan, der unsichtbaren Frau an seiner Seite. Das Historiendrama in ein Kostümfilm erster Güte, denn wenn hier etwas stimmt, dann die Kostüme im viktorianischen Stil. Ja, die Oscars können einfach nicht ohne Reifröcke und Rüschen, denn jedes Jahr aufs Neue grüßt uns das Kostüm-Murmeltier, wenn aus fast schon obligatorischen Gründen mindestens ein Film nominiert wird, in dem viktorianische, barocke oder Empire-Kostüme getragen werden: es geht einfach nicht anders. Zu den Kostümen braucht man eigentlich nicht viel zu sagen, in jedem Film, der auf einem Roman der Brontë-Schwestern, Jane Austen oder Charles Dickens basiert, bekommt man ähnliche, manchmal nicht ganz so schöne Fummel zu Gesicht. Der Kostümbildner Michael O’Connor scheint ohnehin ein sehr ausgeprägtes Faible für britische Kostümfilme zu haben, denn bereits 2009 erhielt er einen Academy Award für seine Handwerkskünste in „Die Herzogin“. Dort ging es aber stilistisch mehr in Richtung Barock und auch sonst deutet seine Filmographie auf ähnliches hin.

Re­sü­mee

Der schnöde Kostümfilm-Chic, der sich vornehmlich zwischen pompösen Barock und keuschem viktorianischem Zeitalter bewegt, bleibt uns in diesem Jahr leider wieder nicht erspart. Dennoch dürfte es in dieser Kategorie dank stilistischer Vielfalt und Abwechslung sehr eng und interessant werden.

Meinungen

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