Im Zuge der diesjährigen Oscars analysieren wir höchst subjektiv die Stärken und Schwächen eines jeden Nominierten in 24 Kategorien. Es soll jedoch nicht um eine Prognose gehen, sondern um die Qualität jedes Einzelnen. Eine Übersicht aller Beiträge findet sich hier. Zudem veranstalten wir ein großes Oscar-Tippspiel.

Ihnen bleibt nicht viel Zeit. Jede Bewegung, jeder Gesichtsausdruck, jedes Wort muss sitzen. Ohne ihre Präsenz und Partizipation ist ein Film unvorstellbar. Die Nebendarsteller sind genauso ein Teil des großen Ganzen, wie die gefeierten Protagonisten. Ihre Zeit auf der Leinwand ist jedoch begrenzt. Oft sind es nur wenige Momente, mit denen sie uns faszinieren und packen können.

Die Nominierten

© Tobis, Warner Bros., Paramount Pictures (v. l. n. r.)

Oscar: Beste Nebendarstellerin © Tobis, Warner Bros., Paramount Pictures (v. l. n. r.)

Lupita Nyong’o, „12 Years A Slave“

Sie wird vergewaltigt, brutal zusammengeschlagen und gnadenlos ausgepeitscht. Ihr Leben ist nichts wert. Patsey (Lupita Nyong’o) möchte eigentlich nur sterben, um endlich dieser Tortur entkommen zu können. In „12 Years A Slave“ ist Patsey die persönliche Sklavin-für-Alles von ihrem Master, dem brutalen Edwin Epps (Michael Fassbender). Nyong’o spielt diese verzweifelte Frau mit einer Hingabe, die erschüttert. Im einen Moment völlig emotionslos und ruhig, im nächsten das komplette Gegenteil. Dann steht sie ihrem Master laut schreiend, krächzend, heulend gegenüber und ist ein emotionales Wrack, das keinen Ausweg mehr hat. Sie ist nur noch ein leerer Körper, in dem alles bereits gestorben ist. Jedes Gefühl, jede Erinnerung, jeder Funken Hoffnung. In ihrer letzten Einstellung sackt der erschöpfte Körper zusammen – da sie nun auch noch von ihrem letzten Beschützer Solomon verlassen wird.

Jennifer Lawrence, „American Hustle“

Die blonde Mähne sitzt perfekt, die junge Naivität ist ihr ins Gesicht geschrieben, und dennoch spürt man den Altersunterschied zwischen Jennifer Lawrence und ihren Kollegen nicht im geringsten, weder in ihrer Beziehung zu ihrem Ehemann Irving (Christian Bale) noch zu dessen Geliebten Sydney (Amy Adams). In „American Hustle“ brilliert sie in jeder Einstellung. Ob als unfähige Mutter und Ehefrau, Tollpatsch oder sexy Femme fatale. So naiv sie auch wirken mag, hat sie ihre Männer in „American Hustle“ stets im Griff. Egal welche Rolle man Jennifer Lawrence anbietet, scheint sie einen Weg zu finden, sich dieser anzunehmen und sie ihrer Persönlichkeit und ihrem Charakter anzupassen. Als tollkühne Kämpfer-Schönheit in der „Tribute von Panem“-Reihe, als eigensinnige, selbstbewusste Einzelgängerin in „Silver Linings Playbook“ und jetzt als schrille Seventies-Hausfrau. Sie ist und bleibt Jennifer Lawrence, was ihren Figuren Authentizität verleiht – und vor allem eins: enorm viel Charme.

Julia Roberts, „August: Osage County“

Die Erwartungen an die schwarze Komödie „August: Osage County“ waren hoch. Vor allem wegen der grandiosen Schauspieler. Dennoch wurde dem Film schnell vorgeworfen, dass er der Intensität des Theaterstücks nicht gerecht würde. Die einzigen herausragenden Figuren, die den Film letztendlich noch retten können beziehungsweise konnten, sind Mutter (Meryl Streep) und Tochter (Julia Roberts), die sogleich beide mit einer Oscar-Nominierung geehrt wurden. Julia Roberts spielt die sture Barbara. Ihre Ehe zerbricht gerade und sie weiß eigentlich gar nicht, was sie zu Hause sucht. Osage County, eine Gegend, die ihr so fremd ist und doch so heimisch. Gerade diese Synthese aus gewohntem Ungewohnten beschreibt die Dynamik zwischen Roberts und Streep so wunderbar. Sie ist die Stärke des Films, aber vor allem seiner Protagonistinnen. So ist es beispielsweise die wunderbare Szene auf dem Heufeld, Mutter und Tochter, vereint und doch allein. Sie sind gefangen in der heimatlichen Einöde und doch auch irgendwie frei auf diesem weiten Heufeld.

Sally Hawkins, „Blue Jasmine“

Woody Allens „Blue Jasmine“ ist eine Frauendomäne. Sie tragen den Film, liefern die Emotionen. Unter ihnen Sally Hawkins. Ohne ihre grandiose Darbietung stünde Cate Blanchett alleine da. So ist es vor allem die Dynamik zwischen den beiden Schwestern Jasmine und Ginger, die alles andere vergessen lassen. Die naive und gutmütige Ginger verzeiht ihrer egozentrischen Halbschwester fast alles. Denn sie führt ein einfaches Leben, in dem es auf die inneren Werte ankommt. Familie, Job, die Liebe. Allerdings hat sie eine Schwäche für schmierige, fiese Typen. Während Cate Blanchett als Jasmine sich von einem Nervenzusammenbruch zum nächsten hochschaukelt, behält Sally Hawkins als Ginger die Ruhe. Sie strahlt Vertrauen und Gelassenheit aus, obwohl sie genug Grund hätte, zusammenzubrechen und ihrer Schwester die Meinung zu geigen. Aber Hawkins schafft es, die Wut, die sie in sich trägt, nicht übersprudeln zu lassen. Stattdessen kann sie ihre Gefühle meistens zurückhalten, gar unterdrücken, was ihre Figur noch rührender und emotionaler macht, weil sie im Gegensatz zur hochexplosiven Jasmine die eigentliche tickende Zeitbombe ist.

June Squibb, „Nebraska“

Sie verkörpert die resolute Kate Grant in Alexander Paynes „Nebraska“ und hat ihre drei Männer im Griff. Ihr kann niemand etwas vormachen. Knallhart und direkt spricht sie jedes Problem an, scheut kein Schimpfwort, bezeichnet ihren Mann als dementen Alkoholiker. Dennoch ist sie stets liebenswert, das Herz der Familie, die alle zusammenhält und Angst davor hat, ihren Mann – die große Liebe ihres Lebens – zu verlieren. Ihre störrische, offene Persönlichkeit bringt Farbe in die schwarz-weißen Bilder. Aber es ist gerade diese erschütternde Kälte und Abgeklärtheit, die Kate so einzigartig macht. Denn in all ihrer Entschlossenheit ist sie trotz alledem eine liebenswürdige Person, die alles für ihre Familie tun würde. Schließlich ist Familie am Ende alles. Egal wie kompliziert alles sein mag. Der Zusammenhalt ist das Wichtigste. Vor allem in den schwierigen letzten Jahren eines jeden Lebens. June Squibb schafft genau diese Balance aus sturrer Abgeklärtheit und Sympathie. Während man sie in einem Moment hasst, fühlt man im nächsten sogleich mit ihr. Ein ständiges Dazwischen, ohne irgendwann langweilig zu werden.

Re­sü­mee

Während eine Entscheidung bei den männlichen Nebendarstellern leichter fällt, bieten sich die fünf Kolleginnen die Stirn. In ihren unterschiedlichen Rollen sind sie alle auf ihre individuelle Art und Weise großartig. Großartig komisch, großartig skurril, großartig hilflos und auch eiskalt. Wer am Ende das Rennen machen wird, ist schwierig. Die erfahrene June Squibb? Die junge Jennifer Lawrence oder doch vielleicht die Debütantin Lupita Nyong’o? Obwohl Jennifer Lawrence bereits letztes Jahr die Trophäe als Beste Hauptdarstellerin abstaubte, wird sie auch dieses Jahr als heiße Favoritin gehandelt. Zu Recht. Sie ist einfach bezaubernd als tollpatschige Rosalyn. Dennoch ist auch Sally Hawkins nicht zu vernachlässigen: Sie wäre eine großartige Gewinnerin 2014.

Meinungen

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