Im Zuge der diesjährigen Oscars analysieren wir höchst subjektiv die Stärken und Schwächen eines jeden Nominierten in 24 Kategorien. Es soll jedoch nicht um eine Prognose gehen, sondern um die Qualität jedes Einzelnen. Eine Übersicht aller Beiträge findet sich hier. Zudem veranstalten wir ein großes Oscar-Tippspiel.
Ihnen bleibt nicht viel Zeit. Jede Bewegung, jeder Gesichtsausdruck, jedes Wort muss sitzen. Ohne ihre Präsenz und Partizipation ist ein Film unvorstellbar. Die Nebendarsteller sind genauso ein Teil des großen Ganzen, wie die gefeierten Protagonisten. Ihre Zeit auf der Leinwand ist jedoch begrenzt. Oft sind es nur wenige Momente, mit denen sie uns faszinieren und packen können.
Die Nominierten
Michael Fassbender, „12 Years A Slave“
Jede Sekunde mit ihm ist eine Qual. Unerträglich und zugleich überwältigend. Michael Fassbender spielt den brutalen Master Edwin Epps in Steve McQueens Sklaverei-Drama „12 Years A Slave“. Man kennt ihn bereits als Nymphomanen und unnahbaren Egozentriker aus einer anderen McQueen-Produktion: „Shame“. Jedoch war Fassbender dort der Protagonist und man hatte einen ganzen Film über Zeit, sich mit ihm zu identifizieren beziehungsweise um sich gegen ihn und seine Unnahbarkeit zu sträuben. Anders in „12 Years a Slave“: Hier hat Fassbender nur wenige Augenblicke, um zu überzeugen. Jedoch schafft er das ohne Mühe. Stoisch ruhig beobachtet er als Edwin Epps seine Sklaven, um sie anschließend in der Gruppe bloßzustellen, lässt sie zu irischer Folklore-Musik tanzen, brüllt sie an und peitscht sie aus. Keine Gnade. Für ihn sind sie nur ein Stück Fleisch. Sein Besitz. Jedoch zeigt sich zwischen Alkoholexzessen und Machtwahn eine unvermittelte Emotionionalität, die sich ins Gedächtnis einprägt. Herzlos herzzereißend.
Bradley Cooper, „American Hustle“
Die erste Zusammenarbeit zwischen Bradley Cooper und David O. Russell, „Silver Linings Playbook“, brachte Cooper die erste Oscar-Nominierung ein. Nur ein Jahr später gelingt ihm die zweite Nominierung in seiner Rolle als naiver FBI-Agent Richie DiMaso in „American Hustle“. Cooper verwandelt sich immer mehr in einen Charakterdarsteller, der sowohl in witzigen Passagen wie auch ernsthaften Episoden überzeugt. Mit einer Lässigkeit sitzt dieser DiMaso da – die Haare in winzig kleine Lockenwickler eingerollt – und telefoniert mit seiner Angebeteten Sydney, mit der er kurz darauf gekonnt die Disco-Moves auspackt und die Tanzfläche erobert. Allerdings dauert es nicht lange, bis Richie einen Wutanfall bekommt und seinen Chef fast bewusstlos prügelt. Bradley Cooper sind keine Grenzen gesetzt. Noch vor wenigen Jahren hätte das kaum einer erwartet. Doch jetzt ist Cooper aus der Riege der großartigen Schauspieler nicht mehr wegzudenken.
Barkhad Abdi, „Captain Phillips“
Vom Chauffeur zum Oscar-nominierten Schauspieler. In „Captain Phillips“ spielt Barkhad Abdi einen skrupellosen Piraten. Als Stimme der Vernunft ist er der Mittler zwischen den Fronten sowie als Beschützer des Kapitäns Phillips (Tom Hanks). Im Gegensatz zu seinen Mitnominierten kann er keine jahrelange Schauspielerfahrung aufweisen. Dies verleiht ihm eine gewisse Unberechenbarkeit: Ausgezehrt, roh, ambivalent. Ob er sich gegen seine Mitstreiter durchsetzen kann, ist fraglich, da diese fehlende Routine seine Figur oft unflexibel und steif wirken lässt. Dennoch kann man gespannt sein, welches Projekt Abdi demnächst antritt.
Jared Leto, „Dallas Buyers Club“
So eine attraktive, verletzliche Frau, diese Rayon. Es dauerte einige Momente, bis man erkennt, wer hinter der Fassade steckt. Rayon ist abgemagert, drogensüchtig, trägt starkes Make-up und heiße Fummel. In „Dallas Buyers Club“ spielt Jared Leto diese exzentrische Dragqueen. Erst als die Kamera Rayon das erste Mal in Großaufnahme zeigt, erspäht man Letos Gesichtszüge. Die großen Kulleraugen, das schmale Gesicht. Bereits in „Requiem for a Dream“ verkörperte er einen hilflosen Junkie, körperlich am Ende, jedes Lebensfunkens beraubt. Am Ende nur noch ein ausgezehrter, drogeninfizierter Körper. Leto selbst liebt den Exzess, das Extrem. Er gibt alles für seine Rollen, hungert sich – wie sein Filmkollege Matthew McConaughey – bis auf die Knochen herunter und verfremdet sich selbst bis aufs Äußerste. Es ist nicht nur die aufgesetzte Fassade, die Schminke und das kurze Schwarze, sondern vor allem Letos grenzenlose Hingabe, derartige Rollen bis ins kleinste Detail zu perfektionieren. Mit Rayon begibt er sich auf neues Terrain, das ihm unheimlich gut steht. Exzentrisch erschütternd bis zum emotionalen Ende.
Jonah Hill, „The Wolf of Wall Street“
Donnies Klappe ist zu groß und sein Verstand zu klein, könnte man behaupten. In „The Wolf of Wall Street“ bezirzt Jonah Hill als Donnie Azoff Frauen, Freunde und Kollegen. Jedoch trauen kann man ihm nie, in keiner einzigen Sekunde. Sein verschmitztes Lächeln, die weiße Zahnprothese: alles nur Fassade. In ihm steckt ein kleiner Junge – natürlich die perfekte Rolle für den Lausbuben Jonah Hill. Wahnwitzig und tragikomisch. Neben seinem besten Buddy und Kollegen Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio) lebt Donnie den Exzess. Er erstickt fast im Pillen-Wahn und wartet darauf, von Jordan gerettet zu werden, während er im nächsten Augenblick denselben ohne jeden Skrupel für das eigene Wohl hintergehen würde. Jonah Hill spielt diesen geldgeilen Taugenichts grandios. Ein wenig Fremdschämen inbegriffen, aber höchst unterhaltsam und ungewohnt ungekünstelt.
Resümee
Im Gegensatz zu den Damen fällt hier die Entscheidung ein wenig leichter. Natürlich bleibt das Genre-Problem erhalten. Drama? Komödie? Muss es eine herzzerreißende Performance sein, die mit allen Sehgewohnheiten bricht und den Schauspieler an den Rand des Wahnsinns treibt? Die Mehrheit der Nominierten erfüllt dieses Kriterium – vielleicht einzige Ausnahme: Bradley Cooper. Allen voran sind es aber vor allem Michael Fassbender und Jared Leto, die mit ihren Rollen die anderen Kandidaten in den Schatten stellen. Sowohl Fassbender als gnadenloser Sklaven-Master als auch Leto als todkranke Transe setzen neue Maßstäbe, die nur schwer übertroffen werden können. Persönlicher Favorit: Jared Leto als Rayon. Zu exzentrisch skurril.
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