Im Zuge der diesjährigen Oscars analysieren wir höchst subjektiv die Stärken und Schwächen eines jeden Nominierten in 24 Kategorien. Es soll jedoch nicht um eine Prognose gehen, sondern um die Qualität jedes Einzelnen. Eine Übersicht aller Beiträge findet sich hier. Zudem veranstalten wir ein großes Oscar-Tippspiel.

Irgendwo zwischen Unwissen und Ignoranz rangieren seit Jahrzehnten zwei Kategorien der Oscars, die sich einem der relevantesten Instrumente des Films überhaupt annehmen: jenem der Laute. Sogar manch einem Regisseur sagt man nach, er kenne den Unterschied zwischen Tonmischung und Tonschnitt nicht; sogar die Academy war sich in ihrer Frühphase wohl dessen wenig bewusst und entschied erst 1964 auch den Tonschnitt explizit auszugliedern, nachdem die lediglich als „Ton“ bezeichnete Kategorie der Tonmischung schon 1930 im Wettbewerb ankam. Curt Behlmer, Vorsitzender dieser Branche, findet einen kulinarischen Vergleich für die Unterschiede der zwei: So identifiziert, wählt oder kreiert der Tonschnittmeister jene Zutaten (Töne), die später vom Tonmischer zu einem Gericht (der Komposition) zubereitet werden.

Die Nominierten

© Universum, Warner Bros., STUDIOCANAL, Universum, Warner Bros. (v. l. n. r.)

Oscar: Bester Ton © Universum, Warner Bros., STUDIOCANAL, Universum, Warner Bros. (v. l. n. r.)

Steve Boeddeker und Richard Hymns, „All is Lost“ (Tonschnitt)

Robert Redford; rustikal, rheumatisch, reif – wenn der Schauspieler allein die Leinwand dominiert, sind jene Aspekte seines doch voranschreitenden Alters vergessen und man betrachtet nur das Schauspiel mitsamt der rauschenden und brausenden Wellen im Hintergrund. Das Meer als Gegner und als Freund. Die Wellen als Stimme des Wassers. Es spricht die harten und die weichen Töne. Flüsternd werden Botschaften des Überlebens übermittelt, während es in der Nacht die Stürme unterstreicht, die uns sagen, dass ein Mensch kein Gegner für eine Naturgewalt ist. In der Synthese mit dem Materiellen, dem Organischen und der Natur ist „All is Lost“ dank seiner Stimme des Meeres ein Gemälde, welches zu uns spricht, trotz weniger Worte.

Chris Burdon, Mark Taylor, Mike Prestwood Smith, Chris Munro (Ton) und Oliver Tarney (Tonschnitt), „Captain Phillips“

Mit Paul Greengrass’ doch immer wieder im Vordergrund rückender Kameraarbeit ist es eine bemerkenswerte Leistung, dass Oliver Tarney aus jenen leisen und lauten Töne eben jenes große Gericht zu kreieren versteht. Die Spannung, wenn Tom Hanks um das Leben seiner Crew bangt, ist selten greifbar, da es Greengrass trotz allem nur selten gelingt, den Zuschauer nahe an die Geschichte heranzuführen. Dennoch: Wenn die Töne angeschlagen werden, während die Piraten das Schiff stürmen, ist die Spannung das, was „Captain Phillips“ ausmacht. Es ist keine Reise ins Menschsein wie in „All is Lost“, wo die Wellen eine Sprache sprechen, sondern vielmehr ein Trommeln, ein Trompeten und ein Rufen der lauten und nervenzerreißenden Töne.

Skip Lievsay, Niv Adiri, Christopher Benstead, Chris Munro (Ton) und Glenn Freemantle (Tonschnitt), „Gravity“

Es gibt keine Töne im unendlichen All. Schwerelos, frei und doch irgendwie klaustrophobisch schweben Bullock und Clooney durch das Vakuum, verloren und verlassen von Crew und Erde. Aber da ist kein Ton, wenn Wrackteile aufeinandertreffen, einzig dieses brummende Nichts summt in den Ohren. Glenn Freemantle, verantwortlich für den Tonschnitt, hinterlässt keine musikalischen Spuren im Film. Man spürt nur, dass da etwas ist, greifen kann man es aber nicht. Das Wissen, dass gerade etwas zersplittert, zerreißt und bricht – transzendiert durch leise Hintergrundtöne suggeriert den Eindruck des zermürbenden Rauschens des eigentlich stillen Alls. In „Gravity“ sind wir einsam und werden durch die Töne vereinsamt.

Skip Lievsay, Greg Orloff und Peter F. Kurland, „Inside Llewyn Davis“ (Ton)

Wenn nicht nur der Wind pfeifen könnte, sondern der Winter gleichermaßen, dann wäre „Inside Llewyn Davis“ eine Symphonie über die Kälte, das Schneetreiben, fliehende Kater und Katzen, abgeriebenen Cord, immerfort gepeitscht von einer Gitarre und der Stimme eines Mannes. So frieren wir auch permanent in diesen Klangwelten, wenn hier und da unser Herz erblüht, weil die Brüder Joel und Ethan Coen nicht nur von Misserfolg und unglücklichen Zufällen erzählen, sondern zudem (und das überaus vehement) durch ihre entzückende Tonmischung den Zeitgeist von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mittels dezenter Töne charakterisieren. Kälte wurde vielleicht niemals wärmer angereichert.

Andy Koyama, Beau Borders, David Brownlow (Ton) und Wylie Stateman (Tonschnitt), „Lone Survivor“

Wohin mit einem so katastrophal irrsinnigen Kriegsfilm wie Peter Bergs „Lone Survivor“, bei dem selbst das Wehen einer amerikanischen Flagge in der typischsten aller Vorstädte angenehmer und spannender anzusehen wäre? Genau. Allein das hübsch variable Intermezzo aus knallenden Gewehrsalben und heuchelnder Propaganda genügt für gleich zwei Oscar-Nominierungen, die dann sogleich das stereotype Konzept beider Kategorien erfüllen, welche sich allzu gern von Schlachten und ihren Abwandlungen beeindrucken lassen. Ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber seinen Vorgängern (da findet man solch gewichtige Kandidaten à la „Tödliches Kommando – The Hurt Locker“ und „Der Soldat James Ryan“) finden die Herren selten, aber streben wohl auch nicht danach. Dennoch spüren wir eine Ahnung des Kriegs und jene verhärteten Fronten, die von solch einem Filmschlag bezwungen werden sollen.

Christopher Boyes, Michael Hedges, Michael Semanick, Tony Johnson (Ton), Brent Burge und Chris Ward (Tonschnitt), „Der Hobbit: Smaugs Einöde“

Entgegen seiner durchaus subtil, manchmal sogar zart vertonten Kontrahenten knarzt, hustet, sprengt, wuchtet, birst und schlürft sich das nun eigentlich fünfte gigantische Fieselmärchen aus Mittelerde in die Gehörgänge und malmt noch immer alles Minimalistische nieder, was ihm vor die haarigen Hobbitfüße hechtet. Den Künstlern des Tonschnitts und der Tonmischung ist freilich kein wirklich ernsthafter Vorwurf zu machen, denn so überfrachtet, wie Regisseur Peter Jackson seine Geldvernichtungsmaschinerie weiter antreibt, widmen sich die Tongestalter mit Freude der ihnen überbrachten Zielsetzung alles in „Der Hobbit: Smaugs Einöde“ möglichst pompös und in unzähligen Tonspuren hinzuzudichten. Manchmal wirkt das sogar zauberhaft. Obwohl es lediglich die äußere Hülle betrifft und kaum über den immer leereren Inhaltsschwund hinwegtäuscht.

Re­sü­mee

Wenn man einen Film sieht, ist es nicht das vorrangigste Attribut des Films, den Ton und Tonschnitt zu beachten. Gefesselt ist man vom Bild, vom Schauspiel und der Geschichte. Es ist mehr die Aufgabe des Tons zu begleiten und zu führen. Leise Hintergrundklänge, die unterstreichen, wenn es dramatisch wird und an den Nerven zerren, wenn es nötig ist. Es ist eine rein technische Kategorie, doch ist sie emotional deutlich wichtiger, als es den Eindruck macht. In „Gravity“ ist es ein Beispiel dramatischer Perfektion, wenn der Ton eigentlich nicht da ist und doch das begleitet, was geschieht. Es ist nie übermäßig laut, nie werden Schreckmomente ausgereizt, einzig übertragen wird man von der einzigartigen Symbiose von Kamera und Ton – jene wichtigen Aspekte eines so technischen Filmes – in die Weiten des Unmöglichen.

Meinungen

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