David W. Rintels’ Ein-Mann-Stück „Clarence Darrow“ spielt in der Adaption von Thea Sharrock noch bis zum 11. April im Old Vic. Alle Performances sind ausverkauft.

Die Regentschaft von Kevin Spacey als künstlerischer Leiter des Londoner Old Vic nimmt ein Ende. Und wie es sich für einen Schwanengesang, einen Abschluss einer „Goldenen Ära“ gebührt, knurrt, schwitzt, schreit und spuckt sich Spacey als Anwalt der Armen, Minderjährigen und Unterdrückten durch „Clarence Darrow“ – ein Stück, welches viel über die Intentionen des Schauspielers erzählt, obgleich es auf den bestenfalls soliden Worten von David W. Rintels basiert. Dieser Titel gebende Clarence Darrow, den Spacey nach dem Fernsehfilm „Darrow“ (1991) und der Theaterproduktion „Inherit the Wind“ (2009) bereits zum dritten Mal mimt, scheint ein absonderlich kruder Zeitgenosse gewesen zu sein. Nicht nur rettete der Strafverteidiger über einhundert Menschen vor der unrühmlichen Todesstrafe; ganz gleich, ob sie schuldig waren oder nicht. Sondern er türmte zudem gegen die theoretisierten Ansprachen seiner Kollegen, rührte Jurys zu Tränen und wühlte sich mit feinen Tranchen Ironie und Sarkasmus zum Thron seines Berufsstands. Kurzum: Clarence Darrow war ein feiner, ehrlicher Kerl. Aber auch nur, weil er seine Lust am Spiel über seinen verstohlenen, buckligen Gang jedem von der rußigen Arbeiterschaft bis zur pikierten Intellektuellengarde einflößen konnte. Vielleicht sogar spielte er seine eigenartige Physiognomie eher vor, als dass er sie wirklich innehatte.

Ebenso aktiv rückt Spacey in die Reihen des Publikums, welche sich als Mitverschwörer, Angeklagte und Meinungsmacher mit dem retrospektiven Monolog eines Mannes konfrontiert sehen, der eine bessere, gerechtere Welt forderte. Zunächst aber kriecht Darrow stumm über das Holzparkett, um die Schubladen seines Arbeitsplatzes in Ordnung zu bringen, während auf dem Tisch eine Zigarette qualmt. Daneben steht eine Schreibmaschine der Marke Underwood, eine hübsche Reminiszenz an „House of Cards“. Das erinnert nicht von ungefähr an einen Sketch, dem nur ein entsprechender Konterpart à la Laurel und Hardy fehlt. Dann aber erinnert sich Darrow an seine Jugend, seine erste und seine zweite Frau, kramt Bilder früherer Mandanten hervor, sortiert seine Fälle in Metallablagen, trinkt, raucht, grollt. Vermutlich wäre dies alles fürchterlich altbacken, geradezu korrekt, belanglos und dürr, wäre da nicht: das Theatersystem „in the round“. Weil sich das Publikum in alle Himmelsrichtungen um die rechteckige Bühne positioniert, hechtet Spacey wie ein hungerndes Tier auf der Jagd von Zuschauer zu Zuschauer, als ob er mit seinem stechenden Blick jeden einzelnen von Recht und Unrecht überzeugen wolle. Es gelingt ihm so mühelos, dass es Angst macht. Aber kein Wunder: Clarence Darrow schüchterte schließlich ganze Gerichtssäle ein.

Überhaupt ist Thea Sharrocks Adaption des Stücks aus den frühen siebziger Jahren ein Vehikel für ihren einzigen Protagonisten, der sich weder scheut, seine Ausführungen beinahe auf den Schenkeln einer Frau zu präsentieren, einem Teil der Zuschauer zu ihrem Urteil per Handschlag zu gratulieren, noch kontinuierlich über den Rand der Bühne zu spucken. Dahinter liegt eine schwitzende, darbende Müh, die nichts weniger als jene minimalistische, interaktive Produktionsgewalt verdient, wie sie sich Sharrock und Spacey schon im vergangenen Sommer für eine absurd kurze Spielzeit von zwei Wochen erdachten. Das letzte Stück mit Kevin Spacey in seiner Funktion als künstlerischer Leiter also: ein Revival, eine Wiederaufführung. Was nach Zwang, Bequemlichkeit und Angst klingt, meint eigentlich Herzblut. Clarence Darrow und seine Courage verfolgen Spacey seit der Highschool. Und weil das Schaffen des wohl berühmtesten Strafverteidigers aller Zeiten abseits der Vereinigten Staaten noch immer reichlich unbekannt ist, folgt nun ein sechswöchiger Nachschlag, der Spaceys elfjähriges Schaffen am Old Vic krönt.

Letztlich liegt sogar Wehmut in seinen Augen, als sich der Saal in Freudenstürmen erhebt, um einen Mann zu feiern, der – ähnlich wie der von ihm porträtierte Clarence Darrow – bewusst Hürden in Kauf nahm und sie siegreich überwand. Nun nennen ihn selbst frühere Kritiker King Kevin. Seine Herrschaft am Old Vic mag zwar im Herbst dieses Jahres zu Ende gehen, aber sein Werk ist noch längst nicht getan. Auf welcher Bühne auch immer es eine Fortsetzung erfahren wird. Dem Publikum nämlich dürstet es weiterhin nach einem König, der sich ihm nicht nur als Clarence Darrow, als Richard III. oder als unbedeutender Korrupteur Charlie Fox in David Mamets „Speed-the-Plow“ bis aufs Fleisch der Schauspielkunst entblößt und spielt, als gäbe es nur ein Jetzt und kein Morgen. Tatsächlich ist ein nächster Morgen schwer denkbar, wenn einen die Mimikry eines Schauspielers verfolgt, der nicht nur zu den Großartigsten, sondern den Größten seiner Generation gehört. Und nirgendwo spürt dies der Zuschauer mehr als auf den Brettern, die wahrlich für einen Abend die Welt bedeuten.

Meinungen

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