Die blaue Dahlie ist stets mannigfaltig, stets blendet und schmeichelt sie. Ein eleganter Nachtklub, gleichfalls eine unheimliche Pflanze; ihre abzuzupfenden Blätter repräsentieren den Katalysator, um die Wehen der Nachkriegsheimkehrer zu vereinen – Aggression, Unberechenbarkeit, das beschädigte Innere. Bisweilen vergeht viel Zeit in „Die blaue Dahlie“, bis das Drehbuch (Raymond Chandler) und die Regie (George Marshall) ein verschlungenes Personenkarussell unterschiedlicher Beziehungsdichte vernetzen, um einen Mord vorzubereiten, dessen existenzielle Nachwirkungen die Unschuld in der Schuldfrage gehörig verdecken.
Handelsüblicher Film–noir-Stoff eben, der vorrangig über abgehörte Telefonleitungen paranoide Allmachtsansprüche zwischen den Zeilen augenzwinkernd chiffriert. Mit dem zeitgleich erschienenen „Tote schlafen fest“ kommt George Marshalls handwerklich eher spröder Verbrechensflick aber kaum mit, zu spannungsarm die Komplikationen, ungerechtfertigterweise gejagt zu werden, zu bedeutungsvoll der Mord, wo bedeutungslose Prinzipien herrschen, zu schmucklos und zu dezent die sonst galligen Chandler-Dialoge, zu vorhersehbar der charakterliche Gesamtentwurf (sowohl die Geliebte als auch die Frau bandeln mit dem großen Gangster in der Unterwelt an; ein unbequemes Geheimnis, das in Gänze bereits Minuten davor bekannt sein sollte, als es schließlich gelüftet wird), zu stereotyp einige der Figuren (der finstere Klubbesitzer Eddie Harwood), die ihrer eigenen Form von Moral entsprechen, indem sie Gutes und Böses tun und das eine für das jeweils andere halten.
Seine besten, obgleich lediglich als Einzelstückwerk gedeihenden Augenblicke, die keinen funktionalen Anschluss an die Geschichte als solche erübrigt, weist der Film in jenen markanten Szenen auf, die von einer gedankenverlorenen Ruhe gekennzeichnet und beinah entrückt sind vom Rest hektischer Zerstreuung: Das Traumduo Alan Ladd (der Saubere) und Veronica Lake (die Engelsgestalt) sinniert auf dem Lichterteppich des überstürzt atmenden Organismus Großstadt über elementare Begegnungen, denen man, ohne es zu ahnen, eines Tages wohl oder übel ausgesetzt wird. Diese erzählerischen Entgleisungen genügen sich allerdings in der Rolle einer Randbeobachtung; dramaturgisch isolierte Fetzen, die nirgends hingehören.
Während Chandler mit dem Typus des gelegentlich geistesabwesenden Kriegsopfers Buzz (William Bendix), insbesondere auf der surreal brummenden Tonebene, ein interessantes Symbol für eine ganze Generation an Kriegsverlierern entwirft, gibt er ihn jedoch im breit gefächerten Schlusstwist der Absurdität preis: In letzter Sekunde schwenkt der Film zu einem anderen Verdächtigen, verlässt das figurative Zentrum der Geschichte. Die finale Auflösung gerät hierbei zum unnötigen Schlenker, eine letzte gezwungene Überraschung zu präsentieren. Marshalls Plan sah somit offenbar vor, dass aus der blauen Dahlie nur eine nett gemeinte Dekoration entstehen wird, die, letztlich, einen wirkungslosen Whodunit schmückt.
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