Wehe dem, der Pepsi–Cola-Trinker ist! „Eins, zwei, drei“ ist ungeeignet für Pepsi–Cola-Trinker, denkbar ungeeignet und Strafe genug. Nur echt, ausnahmslos mit Coca-Cola aus dem Sechserpack sollte man sie genießen, diese hartnäckige Ost-West-Rechts-Links-Oben-Unten-Burleske – und den Flaschenhals schlimmstenfalls beliebig zertrümmern, falls der Durst die Geduld überwältigt, sich einen Flaschenöffner zu suchen. Wie die Grenzpolizei am Brandenburger Tor. Bestechungsinstrumentarium: Coca-Cola. Welche Cola denn sonst? Seinen Kultstatus musste sich der unverhohlene Karikaturist Billy Wilder mit „Eins, zwei, drei“ erarbeiten, über die Jahrzehnte. Zunächst war „Eins, zwei, drei“ der falsche Frontalangriff zum ungünstigsten Klima, denn in die Dreharbeiten fiel der Mauerbau, obgleich die wesentliche Geschichte vor dem Mauerbau spielt, in einem Berlin, das zwar geteilt, aber fern jeden aufgeschichteten Steins durchlässig von einer Grenze zur anderen führt, von einem Weltgefühl zum anderen. „Eins, zwei, drei“ gedieh zur brutalen, um sich selbst gewickelten Pointe. Niemand wollte darüber lachen, spötteln, witzeln, Anfang der Sechziger. Draußen tobte der Kalte Krieg, drinnen, in einem Kinosaal spießbürgerlicher Andachtsatmosphäre, dessen satirische Verballhornung. Ein mehrfacher Flop, wirtschaftlich, künstlerisch. Heute, mit etwas Abstand, da ist Wilders so knochig-knallige, heftig-hastige Klamotte umso allgemeingültiger, ätzend auf den Kulturimperialismus.
Da ist MacNamara (James Cagney), glühender Coca-Cola-Direktor in Berlin, linientreuer Kapitalist und stolzer Amerikaner, der versucht, hinter dem Eisernen Vorhang die unangetasteten Märkte seiner schwarzen Zuckerbrühe zu erweitern, in Geschäfte einzusteigen und selber aufzusteigen. Gehaltserhöhung! Sagen Sie, was Sie jetzt verdienen! Reicht. Bis er die Bekanntschaft mit Otto (Horst Buchholz) macht (ja, der, dessen Name rückwärts genauso heißt wie vorwärts), redeschwallanfälliger Bolschewik, linientreuer Marxist und stolzer Kommunist, der jeglichen materiellen Wohlfühlarrangements entsagt, um dem Totalitarismus des Kapitals nackte, sockenlose Füße entgegenzustrecken. Hier ist mein Parteibuch! Beide beleidigen bereitwillig. Aber Otto verliebte sich in Scarlett (Pamela Tiffin), die Tochter von MacNamaras Chef (Howard St. John). Und umgekehrt. Und sie ist schwanger. Unmöglich! Der Ofen sei aus. Alle Beteiligten haben wenig Zeit, damit vor der Ankunft von Scarletts Eltern aus einem sozialistischen Geiferer und Eiferer ein vornehmer Gentleman und manierlicher Adliger (mit gestreiften Hosen) wird. Aus dieser kurzen, aber wirren Verstrickungsinhaltsangabe geht hervor, dass „Eins, zwei, drei“ durchweg zu jenen Wilder-Filmen dazugezählt werden kann, in denen die Verwandlung und Verkleidung über die Norm des Geschlechtlichen und die Identität der Herkunft die Feinheiten des Anstands eines Privatkrieges zwischen zwei Ideologien dehnt.
Ganz gewiss darf man sich anhand der hektischen Impulsivität, angesichts derer manchen Darstellern gar die Puste beinah ausgeht, von „Eins, zwei, drei“ kein Kino erwarten, das bildnerisch chiffriert und die Leinwand anstreicht. Dahin gehend ist „Eins, zwei, drei“ offenkundiges Literatur- und Bühnenkino, das sich von seiner besten Seite zeigt, raketenmonströse Kalauer, beredsame Dialogüberschneidungen und streitlustige Gegenkommentare zu liefern, Summe eines kämpferischen Auf- und Abrüstens der Sprache, umgrenzt von akkurat entschlackten Kulissen. Wenig Grobwitz, wenig Offenheit, wenig Großspurigkeit. „Eins, zwei, drei“ schäumt vor dem Understatement-Stau zuckender, unverfrorener, polemischer Spitzbemerkungen, mit denen das Nationalgefühl mürrischer Russen, pedantischer Deutscher und überleistungsfähiger Amerikaner persifliert wird, um die liebgemeinte Dummheit dahinter auszuwickeln. Sobald Wilder aber wiederum auf getimten Slapstick-Humor setzt, kombiniert er diesen mit einem Wiederholmechanismus, bei dem die buntesten Gegenstände entweder eine Erkennungsmelodie wieder und wieder verkünden oder dafür instrumentalisiert werden, das Gegenüber (ideologisch) zu lähmen: Kuckucksuhren, Zeitungen, Ballons. Und Schallplattenmusik. Es sind diese Momente, in denen auch hier die Sprache auf anderem Wege diktiert, was gestattet ist und was nicht, wofür man zum Verhör gezwungen oder zum Weiterfahren genötigt wird.
Eventuell erinnert man sich in diesem diplomatisch-gerissenen Film bereitwillig an die hitzige Verfolgungsjagd durch Berlins Skelettruinen zurück, an die einzige, von Wörtern, Sätzen und Ausrufezeichen befreite Sequenz – mitsamt den Russen im Schlepptau, die darum ringen, ihre auseinanderfallende Schrottkarre unter Kontrolle zu halten. Die russische Technik eben. Eventuell. Höchstwahrscheinlich aber werden einem dagegen zwei gottbegnadete Schauspieler im Kopf herumschwirren, und zwar länger als ein Schluck Coca-Cola. Für MacNamaras laszive und begehrenswerte Sekretärin war Liselotte Pulver wie geschaffen, ihr neckisches Arschwackeln, das gepunktete Kleid, das aus dem Herzen emporgeschossene Lachen und die windige Frisur. Billy Wilder besetzte sie traumhaft – und schenkte ihr einen ikonischen Striptease, bei dem nicht nur den russischen Zuschauern (und Verhandlungspartnern) die Stirn sich zu verflüssigen droht. Woher der Film demgegenüber seinen Titel bezieht, ist festzumachen am zweiten Darsteller Hanns Lothar, der Schlemmer verkörpert, MacNamaras bedingungslos Befehle empfangender, tüchtiger Assistent, der seine obskure braune Vergangenheit nicht zu bändigen gewillt ist: hier ein Bestätigungsstampfen, dort der gerade noch abgewinkelte Führergruß. Eine herrliche Figur. Eins, zwei, drei. Fußtritt, Fußtritt, Fußtritt. MacNamaras Mitarbeitergebot ist an den Zuschauer gerichtet: „Sitzen bleiben!“ Darauf einen Schluck Pep… Coca-Cola.
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Bisherige Meinungen
Ein großartiger Billy Wilder Film, der mich von der ersten Sekunde an gepackt hat. Eine unglaubliche Vielzahl an unvorhersehbaren und intelligenten Pointen. 8|10