Für den uneingeweihten und dennoch erfahrenen Zuschauer ist es zunächst etwas befremdlich, „Good Will Hunting“ geistig und inzwischen auch historisch einzuordnen. So brettert Danny Elfmans Score zwischen Neunziger-Jahre-Schule und psychologischer Zerstreuung hin und her und vermittelt früh eine Zwiespältigkeit, die den Film im Folgenden besonders auszeichnet. Denn jene geschilderte Underdog-Story vom versteckten Genie eines Hausmeisters klingt schon nach arg moralinsaurer Mainstream-Soße (die in Gus Van Sants eigenem „Forrester – Gefunden!“ noch schwächer wiederholt wurde), der Umgangston des Ensembles ist aber massiv-ordinärer Boston-Slang im Fuck-You-Modus. Mit „Chasing Amy“-Jüngling Ben Affleck im Schlepptau, Lawrence Bender und natürlich Kevin Smith als Produzenten, sowie dem aufstrebenden Semi-Indie-Monolithen Miramax im Rücken, zieht man schon schnell einen vorausschauenden Schluss bei dieser sich entfaltenden Filmerfahrung: eine Gratwanderung zwischen dem hippen Indie-Kino der Generation-X und der erwachsenen, anspruchsvolleren Academy-Feelgood-Dramatik für die gefälligen Massen.

Zeitlupen-Kampfszenen, stonige Alternative-Balladen im romantischen Background, unnütze Rückblenden, ein tatsächlich engagierter Cole Hauser und auch Minnie Driver als Love Interest (wann hat man sie eigentlich das letzte Mal gesehen?) verraten zusätzlich das Alter des Gus-Van-Sant-Oscar-Abräumers. Und dennoch ist der eigentliche Kern unter dieser anfänglich befremdlichen, fast schon bemühten Oberfläche ein gar nicht mal so verkehrter. Will Hunting (Matt Damon) selbst ist da allein schon der ausschlaggebende Punkt – seine genialischen Ausdrucksfähigkeiten stehen im starken Kontrast zu seiner schroffen Umgebung, mit der er sich als Waise allerdings schon längst abgefunden hat und des Öfteren Ärger einhandelt. Der Erste, der IQ-sprengendes Potenzial in ihm sieht, ist der legere Prof mit Schal, Gerald Lambeau, gespielt von einem jungen Stellan Skarsgård, von dem man eigentlich immer dachte, dass er erst viel später in Hollywood ankam, hier aber schon mit gewohnt selbstsicherer Stärke agiert. Hunting jedoch will bescheiden und dickköpfig bleiben, immer mit einer schnippischen, unantastbaren und weitreichend-entlarvenden Experten-Meinung in petto durchs Leben schreiten. Doch Bewährungsauflagen führen ihn schließlich doch noch zur Therapie des Was-aus-sich-Machens.

Im narrativen Sinne ist das inzwischen Standard-Programm, vom Drehbuch allein (von Damon und Affleck selbst, hier Lokalkolorit-Erinnerungen und Familien-Hintergründe verarbeitend) aber schon so bullshitfrei und entwaffnend dargeboten, dass es zunächst keinerlei Missverständnisse und standardisierte Lösungsansätze zwischen jenen innewohnenden Charakteren geben kann, nur glasklare, ungeschönte Abneigung im intellektuellen Dialog. Erst als Robin Williams als einheimischer und schon einigermaßen abgeklärter, doch ebenso lockerer Psychoanalytiker Sean Maguire ins Spiel kommt, werden die Karten nicht nur auf den Tisch gelegt, sondern auch noch spannend gemischt. Jetzt ist Will Hunting am Ball und kriegt seine Leviten gelesen, dass er zwar schlau daherreden und verbinden, Möglichkeiten ausloten und wie von Geisterhand kombinieren kann, aber sich selbst zu wichtig dabei nimmt und von den zahlreichen Optionen, Höhen und Tiefen des Lebens noch nicht die blasseste Ahnung hat. Die Wurzel dafür ist mit der anbahnenden Beziehung zur Studentin Skylar (Minnie Driver) schon einigermaßen gelegt, doch er hat noch eine Menge zu lernen, insbesondere, dass nichts perfekt sein kann, erst recht bei seinen bornierten Ansprüchen, aber gerade jene Imperfektionen das Leben überhaupt lebenswert und schöpfungsreich machen.

Das ist aber eben auch die Crux bei einem Film über die Psychoanalyse: Alles ist transparent und greifbar präsentiert, dialogreich aufgetürmt, aber genauso wie der methodische Prozess an sich ist der resultierende Weg des Films eine verlängerte Zurschaustellung der Konflikte, aber keine Verinnerlichung. Gut, er entfernt sich im Verlauf allmählich immer mehr vom ersten Eindruck des Studio-/New-Wave-Genre-Hybriden und gibt sich dem ungebändigten, kumpeligen und doch sehnsüchtigen Menschsein sowie zahlreichen auflockernden Anekdoten hin – doch die einzelnen Formeln zur Plot-Vorantreibung sind noch immer offensichtlich da und schließen formgemäß ab, erfüllen Wünsche, öffnen und lösen dramaturgische Akte und münden sogar ins individualistisch-zauberhafte Happy End, ohne verbleibenden Subtext, dafür aber mit einer herzlichen Lebenseinstellungs-Empfehlung. Das Gesamtprodukt mag da schon emotional befriedigen und bietet durchwegs goldige Streitgespräche akademischer Kontras und Weltbilder, die ausschlaggebende Funktion und Wirkungsweise des Films als Bindeglied zwischen Zeitgeist und semi-spießiger Tauglichkeit wird er aber nimmer los. Als modernes Sozialmärchen lässt er sicherlich keine Wünsche frei und geht mit leichtfüßiger Offenheit an sein Küsten-Americana-Ensemble ran, doch wie bei seinem Hauptprotagonisten sind die Möglichkeiten endlos, allerdings nie voll ausgeschöpft.

Selbiges gilt übrigens für die Präsentation des Films auf dem High-Definition-Medium Blu-ray. Vom Ton her gibt’s keine Beschwerden und auch das Bild passt sich dem Alter entsprechend gut an. Das ist dann aber auch das Ernüchternde: „Good Will Hunting“ sieht aus wie ein altes Master, aus einer Zeit, in der Zelluloid für die Nachwelt noch nicht so fortgeschritten wie heute eingefangen wurde. Kontraste und Farben sind etwas blass, Konturen und Schärfe in der Tiefe etwas verwaschen. Es ist nichts Schlimmes, auch die paar weißen Spratzer am Rand von Zeit zu Zeit fallen nicht zu stark auf, aber man hätte durchaus mehr rausholen, restaurieren können. Irgendwie passt das ja auch zum Film und seinem aufklärenden Charakter Sean Maguire an sich: Imperfektionen müssen dazugehören. Guten Ausgleich findet die Scheibe im Bonusmaterial, das sich nicht nur mit einem Audiokommentar vom Regisseur, Damon und Affleck brüsten kann, sondern auch mit der einstündigen, extensiven Behind-the-Scenes-Rückblickdokumentation „Reflektionen über eine Reise – Good Will Hunting 15 Jahre später“. Entfallene Szenen (SD, ebenfalls mit optionalem Audiokommentar), Trailer, B-Rolls, Featurettes, ein verlängertes Interview mit Matt Damon, die Oscar-Clip-Montage zum Film und ein Musikvideo für Elliott Smiths „Miss Misery“ komplettieren mit chronologischer Fülle alles, was man sich zu „Good Will Hunting“ als Heimkino-Option wünschen könnte.

Meinungen

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