Es knarrt Countrygedudel aus der zierlichen Apparatur eines Radios. Angerostet, altmodisch wirkt es, als versuche es gezwungen, den Fortschritt anzuhalten – selbst in einem kleinen Präriestädtchen. Plötzlich rattert es und schaltet weiter zur nächsten Sendungseinlage: Dunkle Moderatorenstimmen erklingen und verkünden angestaubte, längst vergessene Verkehrsmeldungen; danach versuchen Rowdys und Möchtegerncowboys ihr Glück mit schnippischen Texten unter sanftem Gitarrenzupfen. Derweil wendet ein alter, von Falten verzierter Mann sein Angesicht, um einen Blick in den Rückspiegel zu werfen. Und plötzlich schmückt den Beifahrersitz eine Frau mit blondem Haar, welches den eng anliegenden Trenchcoat nur noch weißer erscheinen lässt. Robert Altman selbst könnte dieser Genosse in einer trostlosen Nacht gewesen sein, wie er leise scheppernd eine Landstraße durchquerte, auf dem Weg von einer Sandwüste zur nächsten. Er, der Erschaffungskünstler, Musikfabrikant, Dialogüberlagerer, ein Relikt aus vergangenen Zeiten und vergilbtes Foto, das man seinen Verwandten unter die Nase hält. „Last Radio Show“, eine von Beginn an antike Metamorphose aus Theater und Radio, entspricht Altman, wie das in den Werbespots der Show reißfeste Klebeband alle Probleme zu lösen vermag.
Ähnlich befangen bereitet sich auch der Zuschauer auf die Einsamkeit der Bühne vor. Unter den Brettern, die die Welt bedeuten; wo sich Aufführung, Theater und musikalische Darbietung vermengen. Eine noch dazu gespielte Radiosendung aber strapaziert die Kurve des Selbstverständlichen und filmisch Kuriosen. Dass „A Prairie Home Companion“ in den USA bis zum heutigen Tage noch von 550 Radiostationen für den zweistündigen wöchentlichen Marathon live übertragen wird, mutet ebenso seltsam an. Vielleicht braucht die hiesige Bevölkerung aber die kleinste Ahnung, eine Flucht aus dem früheren Bush- und nun Obama-Regime, ein winziges Etwas Zeitgeschichte, um kurz aus dem Alltag zu entfliehen und sich der Tradition des Mittleren Westens bewusst zu werden. „A Prairie Home Companion“ erinnert an einen beschwingenden Lebensstil und an ein Stück wahrer Unterhaltung für die weitlebige Liebe zur countryesken Kultur.
Eine (fiktive) abschließende Vorstellung der berühmten und ungemein erfolgreichen Radiosendung stellt sich hier bei Altman in den Vordergrund der Storyline; ein Abend voller wehmütiger Trauer, dem nun endenden Aufbegehren nach Ruhm und Ehre. Dreißig lange Jahre würgte sich die Show über die Runden, bis ein texanischer Geschäftsmann genug von dem Klatsch hatte und ein Parkhaus und Schnellrestaurant auf dem Platz errichten möchte. Hinter den Kulissen quellen die Erinnerungen an Zeiten der gemeinsamen Zusammenarbeit über: ein verzweifelter Kampf mit der nahen, doch so unbekannten Zukunft und jener Gegenwart, die für jeden der Bewohner Gefühle birgt, wenngleich der Tod eines Freundes ihnen den Nerv raubt. Alle treten sie auf die Bühne, lassen sich von den Anmoderationen des merkwürdigen G.K. erheitern und feiern ihre Show mit Einlagen, die sie einst berühmt machten. Und was sprüht doch für eine Langeweile aus dieser Inhaltsangabe, aus diesem Potpourri von Charakteren – aus abgehalfterten Cowboys, einem depressiven Teenager, zwei Schwestern, die sich gegenseitig ins Wort fallen, und dem herumschlürfenden G.K.
Garrison Keillor heißt der Typ in Wirklichkeit, nicht nur in der filmischen Realität, nein, er ist der auch der wahre Kopf hinter „A Prairie Home Companion“. Gäbe es eine Art von Moderator, die das Publikum niemals hätte sehen wollen, dieser Kerl hier wäre ein ausgezeichnetes Beispiel gewesen. Zwischen den Gesangseinlagen stürmt im Theater jedoch noch ein Strolch umher und überfällt den ohnehin schon halb toten Guru Chuck Akers (L.Q. Jones), der eigentlich auf ein schnelles Intermezzo nach seinem Auftritt aus war. Dazu kommt es nicht, denn es schickt sich eine „gefährliche Frau“ an, der „Prairie Home Companion“ den ersten Todesfall zu bescheren. Akers stirbt, aber G.K. verzagt den Umstehenden eine Schweigeminute. „Schweigen im Radio, wie soll das funktionieren?“, stellt er stur in den Raum. Innerlich feiert Altman diesen Marsch und lauscht dem Trab der heiter klingenden Countrymusik, obwohl selbst diese von Schwermut durchzogen ist. Währenddessen reisen die Cowboys Dusty und Lefty (Woody Harrelson und John C. Reilly) durch fiktive Städte, kommen aber nie von irren Straßengeschichten ab, lassen Frauen in Gottes Hand drei Brüste wachsen und Elefanten mit Männern reden. Beide, in der Vergangenheit stecken geblieben, unterscheiden sich wenig von pubertierenden Jugendlichen – nur die sympathische Art lässt ihre verstaubten Weltansichten verblassen.
When God created woman
He gave her not two breasts but three.
When the middle one got in the way,
God performed surgery.
Woman stood before God
With the middle breast in hand
Said, “What do we do with the useless boob?”
And God created man.
Kaum bleibt die Kamera dann im Showduell stehen, überlappt die Performances Geplänkel aus anderen Ecken. Niemand steht da allein, immer wälzen Kollegen herum, treiben teilweise den Gang auf die Bühne an, fallen Freunden ins Wort, verhaspeln sich in Vergesslichkeiten. Bei Altman erwarten einen Schlag auf Schlag Dialogreihen, doch nie treten einzelne Personen in den Vordergrund. Das Fitzgerald-Theater ist somit auch ein Raum des Ganzen und nicht vereinzelter Details; eine Show, die aus einer kompletten Spielzeit besteht, die Minuten nur in Stunden zu fassen vermochte, aber in ihrer experimentellen Form nur auf Dauer unterhält. „Last Radio Show“ strotzt dahin gehend vor Sprachgewandtheit in dem spärlichen Chaos von Auseinandersetzungen. Spät in der Nacht schließt sich der Vorhang und die Menschen entweichen wieder in die Freiheit. Sie möchten bleiben, doch die Vergangenheit verhindert dies. Tief lauschte man Robert Altman. Er wusste, dass „Last Radio Show“ einen letzten philosophischen Bogen um sein ganz eigenes Universum spannte. Eines in der Vergangenheit, ein zum Leben wertes. Der Todesengel flüsterte wissend „Der Tod eines alten Mannes ist keine Tragödie. Vergib ihm seine Fehler und danke ihm für seine Liebe und Fürsorge.“ Robert Altman gab ungestümes, hoffnungslos altmodisches Kino zum Besten – ein seltenes Gut in einer schnelllebigen Zeit. Sein Tod war keine Tragödie, auch „A Prairie Companion“ weiß das.
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