Menahem Golans „Over the Top“ erweitert unseren Rückblick auf das berüchtigte Werk der Cannon Films – denn nicht umsonst hieß es auf jeder ihrer Videokassetten: „We’re Cannon Films and we’re dynamite!“

Als ich noch ein kleiner Bengel in Ostdeutschland war, gab es für mich nichts Größeres als meinen Vater. Nicht nur, weil er als Bezugsperson relevant war, sondern weil ich mir die Welt und ihre Möglichkeiten in aller Naivität so erklärt hatte, dass er sie erbaut und für mich bereitgestellt hätte – ob unseren Fernseher, meinen Nintendo oder diverse Alf-Puppen. Warum ich davon überzeugt war? Er war Fernfahrer – der coolste Beruf, den ein Vater Ende der Achtziger haben konnte und bei dem er mich auch des Öfteren auf eindrucksvolle Touren mitnahm. Und wenn er mal für längere Zeit von zu Hause weg war, wusste ich, dass er es tat, um mit einer neuen, tollen Sache zurückzukommen. Irgendwann wurde mir natürlich klar, dass Papa nicht für alles in der Welt verantwortlich ist. Doch die Zeit davor bleibt mir auf ewig in Erinnerung. Und deshalb ist es immer wieder eine Freude, Menahem Golans „Over the Top“ zu sehen – ein Film, der eben solch ein Vater-Sohn-Verhältnis innerhalb eines Trucks darstellt und lange Zeit eine der persönlichsten Medien überhaupt für mich war. Ein Film, der quasi wie für mich geschaffen wurde; womöglich sogar von Vaddi selbst.

Unter Kindern und Jugendlichen war „Over the Top“ ohnehin beliebt, obwohl er rückblickend schon mit einem ironischen Zwinkern entgegengenommen wird. Fakt ist jedoch, dass sich jeder Junge insgeheim wünschte, sein Vater wäre solch ein starker Held vom Formate Lincoln Hawks (Sylvester Stallone). Nur einer nicht, nämlich dessen Sohn Michael (David Mendenhall). Der kennt seinen Erzeuger eigentlich gar nicht, da dieser sich früh von seiner Familie absetzen musste. Nun, zwölf Jahre später, hat Michael auf Geheiß seines reichen Großvaters Jason Cutler (Robert Loggia) einen Abschluss auf der Militärakademie erreicht; stellt sich aber zunächst quer, als Daddy Hawk ihn abholen will, um ihn zu seiner herzkranken Mutter Christina (Susan Blakely) zu fahren. Obwohl Lincoln einen besonnenen und versöhnlichen Charakter hat, hadert er doch mit der Ablehnung seines Sohnes, welche aus der Enttäuschung vergangener Jahre rührt. Dennoch ist Michael seinem Vater gegenüber zu streng, gibt sich störrisch und neunmalklug. Wenn Herr Vater einen mit dem LKW von der Schule abholt, sollte man sich doch kaum stolzer fühlen können!

Stattdessen versucht Michael sogar auszubüchsen und auf die dicht befahrene Straße zu rennen. Das beißt sich natürlich mit der Charakterzeichnung des disziplinierten Besserwissers, doch ist sein Impuls eher melodramatisches Mittel, mit dem Golan fesseln will, als behutsame Charakterstudie. Deshalb tropft fast durchweg der Balladenschmalz aus den Lautsprechern, wie auch in Gold getauchte Panoramen Amerikas am Fahrerkabinenhorizont hineinscheinen. Golan beherrscht hier durchaus Fingerspitzengefühl für effektive Montagen und behilft sich süßer Musikalität, weshalb ihm aber gleichsam eine Harmlosigkeit im Umgang mit dem Film angelastet werden kann. Jedenfalls schafft es Lincoln Hawk stets, den teils haarsträubenden Vorwürfen und Vermutungen seines Sohnes mit Bescheidenheit und Unschuld entgegen zu kommen – und man weiß ja, wie schwierig es ist, bockigen Kindern mit Verständnis die Sachlage zu erklären. Doch die Atmosphäre eines Trucks und die Suggestion von Freiheit, die ihm grundsätzlich innewohnt, wirkt nun mal Wunder.

Deshalb kann man das auch einfach hinnehmen, sobald Michael etwas mehr auftaut, im Fernfahrerleben auch mal auf dem Sitz pennt, von seinem Vater kurzerhand das Fahren beigebracht bekommt und frühmorgendliche Gymnastik am malerischen Sonnenaufgang betreibt. Eine Motivation für dieses Einverständnis zeigt sich Michael allerdings darin, dass Lincoln nicht bloß seinen Truck durchs Land kutschiert, sondern auch bekannter Armdrücker ist. Was für ein krasser Dad! Und wie es der Zufall so will, steht bald die Weltmeisterschaft in Las Vegas an, weshalb er schon von illustren Räuden namens „Smasher“ zum Kräftemessen in Bars herausgefordert wird. Auf diesem Wege schaltet Golan einen gänzlich anderen Gang ein. Nun steigern sich Kamera und Score in den intensiven Schweiß hinein und fangen im lautstarken Gebrüll des Testosterons die markantesten Grimassen ein, die nicht einmal „Run, Wonder Princess!“ derartig verschroben hinbekommt. Die Kennenlernphase von Vater und Sohn findet hier allmählich einen gegenseitig interessierten Bezugspunkt, wie man auch als junger Zuschauer ein Vorbild in Lincoln Hawk findet.

Dieser Umstand gerät umso wirksamer, sobald Lincoln seinen Sohn ermutigt, ebenfalls gegen ein paar freche Arkaden-Bubis zu drücken. Nachdem Michael beim ersten Mal sofort abgeschlagen wird, ist er entmutigt und fühlt sich als der Verlierer, den sein Großvater immer am Wesen Lincolns beschrieb. Doch dieser weiß seinen Sohn zu motivieren, auf dass er sich der Herausforderung stellt und aufs Ganze geht. Selbst wenn er verliert, hat er es immerhin versucht. Dieses Credo gilt nicht nur im persönlichkeitsbildenden Rahmen des Films, sondern steht auch bezeichnend für Menahem Golan und seinen Produktionspartner Yoram Globus. Als Bosse der Cannon Films hatten sie weiß Gott keinen guten Ruf oder das nötige Know-how. Doch selbst in schwierigen Zeiten, wie dem Entstehungsjahr von „Over the Top“, gingen sie auf volles Risiko und steckten mehrere Millionen in ihre bis dahin kostengünstigen Projekte, um zumindest den Versuch zum Durchbruch in die Mainstream-Industrie gewagt zu haben. Nun ist es streitbar, ob sie mit Würde oder Dummheit verloren haben – das Vermächtnis zeigt sich allerdings im noch steigerungsfähigen Prozedere von „Over the Top“. Der Titel ist Programm.

Nun versucht Großvater Jason nämlich, Michael nach Hause zurückzuholen, und nimmt dafür sogar eine Entführung mit Verfolgungsjagd in Kauf! Mit solch einem eskapistischen Märchenfaktor in petto fängt der Film auch allmählich Feuer. Nachdem das Unausweichliche unser Duo in markerschütternde Trauer versetzt, wird es voneinander getrennt, weshalb Lincoln mit seinem Truck die Villa von Jason plättet, um seinen Sohn wieder abzuholen. Es folgt: die Weltmeisterschaft im Armdrücken! Wie dort die übersättigten Muskeln riesiger Männer in Schweiß und Scheinwerfern vor brüllender Ekstase platzen, haarige Kontrahenten in pseudo-dokumentarischen Interviews über ihre manische Hingabe raunen, Sammy Hagars „Winner takes it all“ zur Hymne des Films wie auch für Cannon an sich wird: Das ist wirklich nicht von dieser Welt! Kein Wunder also, dass Michael für diese Aussichten ein irres Unternehmen vollzieht und per Auto zu seinem Daddy flüchtet. Ganz recht, er fährt die Kutsche selber! Ein atemberaubendes Bild für jeden jungen Zuschauer dieses Films und zusammen mit der operettenhaften Inszenierung des Armdrückens die Quintessenz des Prinzips Cannon: Grenzen sind von gestern, die Fantasie erlaubt sich jeden Quatsch, solange Herzblut drin steckt und zum Begeistern konzipiert ist.

Und so geht es kontinuierlich „Over the Top“. Auf- und absteigend zwischen Familiendrama, Sport- und Actionfilm, wird alles geboten und in eine obskure Mischung mit allumfassender Katharsis gebettet, wie sie nur im Kino von Golan und Globus als logische Gesamteinheit funktionieren kann. Doch genauso logisch konnte es der Lieblingsfilm eines jungen Menschen werden, da einiges davon haargenau auf einen selbst zutrifft und die Fantasie zu weiterer Euphorie darüber anspornte, was der Vater so alles kann. Und Jahre später beweist Golans Film zumindest noch, was Kino alles kann. Unabhängig davon, wie sinnig oder unsinnig es ausfällt: Hauptsache, es wurde versucht, sich durchzuschlagen – bis übers Ziel hinaus.

Meinungen

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