Wie Jugendliche liegen sie zusammen auf der unteren Matratze eines Doppelstockbetts im New Yorker Bezirk Manhattan: zwei Männer, die sich seit beinahe vier Jahrzehnten lieben. Ben (John Lithgow) und George (Alfred Molina) trennt nun jedoch – womöglich erstmals in ihrer Beziehung – mehr als der Spalt zwischen Matratzen, mehr als der Morgen nach einer gemeinsamen Nacht, mehr als die Routine, die sie hatten, während ihre Freunde noch von einem Lebensabschnittsgefährten zum nächsten schlitterten. Aber dennoch liegt Magie in den fragilen, zärtlichen Blicken, die sie sich schenken – ganz gleich, ob ihr Blick in diesem Moment erwidert wird oder nicht. Ein wenig früher beginnt Ira Sachs’ „Liebe geht seltsame Wege“. Aber er beginnt nicht, als sich seine Protagonisten kennenlernen. Sondern als sie am Wendepunkt vieler Geschichten über die Liebe stranden: am Tag ihrer Hochzeit. Die Kamera schielt noch müde über die schlafenden Männer und zwei Zeichnungen am Kopf ihres Bettes – einen nackten Mann und eine nackte Frau –, bis sie sich regt, da Ben ins Badezimmer unter die Dusche schlurft. Keine großen Gesten, keine Liebesschwüre, kein Sex, keine Diskussion. Nur die kurze Suche Bens nach seiner Brille, die offensichtlich des Öfteren verloren geht – und das kurze Stöhnen Georges, der die Suche seines Partners im Verborgenen moniert. Dann gehen sie los in ihren Anzügen. Um zu heiraten, weil es ihnen endlich legal möglich ist.

In wenigen, sublimen Szenen skizziert Sachs diese Beziehung, die ausnahmslos und im filmischen Sinne unaufgeregt ehrlich ist: Denn ihm liegt nichts an einer Pauschalisierung der Liebe, an lärmender Romantik, am Suchen und Finden eines imaginären, utopischen Ideals. Ira Sachs liegt etwas an Menschen, die sich keiner Blockbuster’esken Dramaturgie bedienen, damit ihr Wesen sichtbar wird. Ben und George unterliegen nämlich keineswegs – und das überrascht – archaischen gesellschaftlichen Konventionen, sondern leben in einem Umfeld, das ihre Sexualität weder hinterfragt noch denunziert. Eine scheinbar marginale Katastrophe überschattet ihre Beziehung trotzdem. Denn als sie von ihren Flitterwochen heimkehren, entledigt sich die katholische Schule, an der George Musik lehrt, ihrem nun legalen Unkraut. Wer in New York allerdings ohne Arbeit ist, der ist ohne Geld, der ist ohne Wohnung. Und so trommeln die Männer ihre Freunde und Familie zusammen, um ein temporäres Heim zu finden – und Ben wohnt fortan bei seinem Neffen, George bei einem Pärchen homosexueller Polizisten. Gemeinsam leben, das könnten sie nur bei Mindy – aber die lebt in Poughkeepsie, hundert Kilometer nördlich von New York City, und geht regelmäßig zum Farbtherapeuten. Für Freunde und Familie keine Alternative, ja sogar ein Gräuel. Neurosen à la Woody Allen lassen grüßen! Aber außer der Skyline, den Anthropologen, Schriftstellern, Malern – kurz der Bohème – ist Sachs’ Film herrlich befreit von Intellektuellen, deren Leben feststecken.

Im Kontrast zur Familiarität zwischen Ben und George in ihren eigenen vier Wänden folgt schließlich die Fremde in ihren Notunterkünften. Während sich um George das feudale Glück der Junggebliebenen rankt, platzt Ben bei seinem Neffen in einen Umbruch, der selbst ohne seine Anwesenheit Potenzial genug hätte, schnell zu überhitzen. So strandet Ira Sachs’ und Maricio Zacharias’ Geschichte eben nicht am Tag der Hochzeit, sondern zwischen drei Generationen, die einander näher sind, als sie sein wollen. Und es sind genau jene Szenen, welche die Beziehung zwischen diesen Männern still, zart und unvoreingenommen zeichnen, obwohl Lithgow und Molina selten gemeinsam zu sehen sind. Die Liebe ist eben seltsam. Aber in den Blicken zwischen Ben und George liegt sie ohne jeden Zweifel ihres Umkreises. Vermutlich möchte Ira Sachs damit sagen: Wenn wir uns nur trauen würden, dann wäre diese unverfälschte Bindung, die doch täglich zweifeln darf, kein Traum – sondern eine wesentlich öfter gelebte Realität. Nur wagen, das müsste sie jeder allein, wie verquer der Weg dorthin auch sein mag. Und verquer war der Weg vermutlich auch für Ben und George – nur, dass sie darüber hinausgewachsen sind. Weil sie sich ihrer Blicke und Sehnsüchte versichert haben, ohne dass sich einer der beiden ihrer völlig bewusst werden musste.

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