Im Zuge der diesjährigen Oscars analysieren wir höchst subjektiv die Stärken und Schwächen eines jeden Nominierten in 24 Kategorien. Es soll jedoch nicht um eine Prognose gehen, sondern um die Qualität jedes Einzelnen. Eine Übersicht aller Beiträge findet sich hier. Zudem veranstalten wir ein großes Oscar-Tippspiel.
„Die besten Filme kommen aus dem Ausland!“ – eine Phrase, die für uns Europäer eine Selbstverständlichkeit ist, wenn sie von der alljährlichen Oscar-Verleihung sprechen. Häufig umwälzt von Nichtigkeiten, Kommerzabräumern und Mainstreamprodukten sind es jene hartgesottenen Cineasten, die schreien, dass Amerika und ihr amerikanischer Filmpreis doch gefälligst die Augen für jene öffnen sollen, die außerhalb ihrer Grenzen leben. Wer, wenn nicht wir, kann beurteilen, wo die besten Filme herkommen? Doch bleibt es letztendlich ein gut gemeinter Blick hinter selbst aufgestellte Mauern, die die Möglichkeit der Kunst auf eine weltweite Ebene öffnen. Die Nominierten jener Kategorie haben die Möglichkeit ihr Nischendasein zu erweitern und durch die Beachtung des am meisten beachteten Filmpreises der Welt, Bekanntheit zu erlangen. Letztendlich sind die Oscars nur eine Darstellung der amerikanischen Filmindustrie, die, ungeachtet der Nominierten und Gewinner, vielseitiger ist als das, was man zu sehen bekommt. Wie sagte auch Kevin Spacey 2011 im Zuge der Oscars: „Hab einfach Spaß und suche die nächstbeste Bar auf, so schnell du kannst.“
Die Nominierten
„Die Jagd“
Thomas Vinterbergs „Die Jagd“ ist ein weiteres europäisches Highlight dieses Jahres. Inhaltlich absolut aktuell, raffiniert, sowie konsequent geschrieben und inszeniert, bringt der dänische Film das Problem von Kinderaussagen bezüglich vermeintlich pädophiler Handlungen auf den Punkt. Die fünfjährige Klara sieht in ihrem Kindergärtner Lucas (Mads Mikkelsen) eine wichtige Bezugsperson, die aufgrund von häufigen Konflikten in Klaras Familie oft als Vaterersatz fungiert. Sie hat ihn sogar so gern, dass sie ihn auf den Mund küsst, worauf er irritiert abweisend reagiert. Aus reiner mauer Laune erzählt sie der Kindergartenleiterin, dass sich Lucas exhibitionistisch gezeigt habe. Die bloße Existenz dieser erlogenen Behauptung ist für den Erzieher wie das Öffnen der Büchse der Pandora: All seine Fürsorglichkeit in der Arbeit und ebenso all sein Verdienst als Mensch wird durch diese mit einem Schlag zunichte gemacht. Vinterberg schöpft aus der schauspielerischen Genialität Mikkelsens und erschafft ein intelligentes Werk, das vor allem eines intendiert: Eine Lüge wird aus Zweifeln geglaubt und allein der Zweifel vermag sie zu enttarnen.
„La Grande Bellezza – Die große Schönheit“
„La Grande Bellezza – Die große Schönheit“ ist zweifelsfrei eine Hommage an den großen Federico Fellini. Von der Kulisse Roms, bis hin zu den kleineren Anekdoten, erinnert Paolo Sorrentinos neustes Werk durchaus an Fellinis „Das süße Leben“. Stellenweise schafft „La Grande Bellezza“ tatsächlich ein vom Hedonismus geprägtes Italien unter Berlusconi zu skizzieren. Sorrentino bestätigt exakt die Vorurteile, die man im schuldengeplagten Europa schon seit Längerem hegt. Sprich, eine scheinbar nicht selbstreflektierende römische Dekadenz, die seit nun mehr als 2000 Jahren fortzuleben scheint oder zumindest immer wieder eine Renaissance erlebt. Er schafft gekonnt den schmalen Grat zwischen Epos und subtiler Satire. Für alle Liebhaber von Schönheit und leichter Melancholie der ideale Film an lauen Sommerabenden. Obschon es der eigentlichen Handlung letztendlich an direktem Zusammenhang und nötigem Biss fehlt und Sorrentinos ursprüngliche Kritik ein wenig ihr Ziel zu verfehlen scheint, sind allein die bezaubernde Kinematographie und die skurrilen sowie geistreichen Dialoge einen Abstecher ins nächste Kino wert.
„Omar“
Die Liebe als Zentrum politischer Spiele und die Frage nach der Definition freiheitlichen Denkens. Wie weit geht der Mensch, wenn er das, was ihm widerstrebt, ändern will? Es sind die kontroversen Themen, die Hany Abu-Assad anspricht: In „Paradise Now“ versucht er die Problematik der inneren Zerrissenheit und politischen sowie moralischen Instanzen zu thematisieren. In seinem neuesten Spielfilm „Omar“ geht es um drei Freunde, die für ihr Leben sterben und ihre Liebe leben wollen – doch die kritische Implikation bleibt, wie so oft in Abu-Assads Filmen, ein akribischer und relevanter Punkt. Denn wenn die Frage nach der Freiheit jene ist, die das Leben ausschließt, bleibt nichts mehr übrig, um zu erzählen, wie es enden wird. Und dann bleibt der Verrat an sich selbst, an seinen Freunden und an der eigenen Liebe nur der nächste notwendige Schritt um jene zu schützen, die man liebt und lebt.
„The Broken Circle“
Auf einer Skala der Emotionalität ist Felix Van Groeningens „The Broken Circle“ bei neun bis zehn von zehn möglichen Punkten. Der belgische Regisseur konnte nicht nur das Publikum der Berlinale 2013 überzeugen, sondern auch die Academy der diesjährigen Oscar-Verleihung. Die nicht chronologisch, sondern „kreisförmig“ erzählte Geschichte über die tödliche Erkrankung der sichtbar gewordenen Liebe zwischen dem Bluegrassmusiker Didier und der Tätowiererin Elise strotzt von bildgewaltiger Innovativität. Die makellose Schauspielarbeit aller Darsteller lässt die immer dramatischer werdende Handlung wie einen Kreisel drehen, die entstehende Atmosphäre der Tristesse ist bewegend und schockierend. Mitten im natürlichen Ambiente belgischer Ländlichkeit spielt der Film mit Metaphern und Symbolen und konfrontiert den Zuschauer mit dem ewigen Kreislauf von Leben und Tod, mit den positiven als auch negativen Konsequenzen affektiver Handlungen, mit der Schönheit und Traurigkeit des Vergehens und der Erinnerung und der Potenz der Nostalgie.
„Das fehlende Bild“
Es ist die Geschichte eines Lebens. Das Leben eines Menschen, so weit entfernt, dass es für unsereins gar nicht existiert. Und doch sind die Bilder der Geschichte so ergreifend nahe, dass sie, wenn sie sich entfalten, das Leben als ein kategorisches Licht erhellen: Die Probleme des Landes sind existenziell. Und doch geht es, trotz der Aussage, der Film sei ein „politischer Film“, nicht um die Politik des Landes, sondern viel mehr um den Jungen, der aus der Ich-Perspektive sein Leben resümiert. Mithilfe von Tonfiguren eröffnet Rithy Panh dem Zuschauer das Leiden seines Lebens, als Opfer des Genozids seines Landes, als Teil der unterdrückten Gesellschaft und doch ist es immer der Ich-Erzähler, der den Mittelpunkt markiert. Unfassbar zerstörend erfolgt daraus der Blick auf ein fremdes Leben, welches scheinbar so fremd zu uns erscheint, dass wir es gar nicht glauben. Als Kind in ein Arbeitslager verschleppt, unter dem Deckmantel lebend, der Kommunismus würde ihnen den erhofften Wohlstand bringen, gleitet Panh selbst immer weiter ab in die Abgründe des Menschen. So teilt man nicht das Essen, es wird nur der Hunger geteilt. Und doch bleibt man irgendwie immer allein. Einzig die Tonfiguren stehen da, so blass und leer, wie die Augen des jungen kambodschanischen Mädchen, welches kurz erwähnt und dann schon wieder abwesend ist.
Resümee
Die größte Überraschung ist auch gleichzeitig der verdienteste Gewinner: „Das fehlende Bild“. Die Geschichte eines Genozids, heruntergebrochen auf die Empfindungen eines Einzelnen, dargestellt mit nichts weiter als starren Tonfiguren, ist nicht nur ein künstlerisches Meisterwerk, sondern gibt auch den Blick auf die Taten durch die Einfachheit der Komplexität frei. So überragend Rithy Panh in seiner Dokumentation auf den dunklen Fleck Menschheitsgeschichte aufmerksam macht, so deutlicher wird es im Film an sich nicht mehr werden. Den Mut, vollkommen subjektiv, eigenwillig und politisch davon zu erzählen, was geschah, ist etwas, was ausgezeichnet werden muss. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, so bleibt die Hoffnung auf den Schritt Richtung Freiheit vorerst vorne stehen.
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