Chaos sei eine Leiter, heißt es zweideutig in der sechsten Folge „Der Aufstieg“ der dritten Staffel „Game of Thrones“. Ein zentrales Bekenntnis, steht es doch dafür, dass es niemanden verschont, der sich in die Nähe jener Stufen begibt, die ihn zum Himmel befördern – oder zur Hölle. Im inzwischen dritten Jahr der mittelalterlichen Fantasy-Epik George R. R. Martins, initiiert von David Benioff und D. B. Weiss, hat sich der Entwurf eines topografisch breitmaschigen Erzählgebarens auf den ersten und zweiten Blick kaum verändert, und wenn, dann in zu vernachlässigenden Nuancen – die nicht nur politische Machtdemonstration, sondern ebenso -dimension eines viel zu  hochmütigen Egos ist unvermindert intakt, ja ein Knäuel unüberblickbaren, wie Unkraut wachsenden Einflusses, der Parteien- und Bündnisstreit gefährlich hitzköpfig, der Eiserne Thron dagegen appetitliches Objekt argwöhnischer Augen aus allen Teilen Westeros‘ und Essos‘. Die ultimative Gefahr schlummert noch. Nicht anders geworden ist auch, dass die Serie, gehypter Prestigevertreter des neuzeitberühmten US-Serienformats, das expressiv, aufgeräumt und psychologisch klug eine Gegenwartsillusion unterfüttert, in ihrer Verschachtelung, parallel dutzende Episodensteinchen aufzuschichten, an der ein oder anderen Stelle ihren feinmotorischen Rhythmus eigens zu überspannen droht.

Staffel drei führt weiter, vertieft zugleich und bereitet vor, die dramaturgischen Endlosschleifchen, das Taktieren und Traktieren mit Schlauheit und Schwanz, zusätzlich aber auch, sich die Zeit zu nehmen, in der Depression, in der Ermattung, im Schweigen und im ruhenden Blick der barock überhöhten Körpersprache zu gehorchen. Mit der allerersten Szene zeichnet die Staffel hierfür eine zutreffende Metapher: Samwell „Sam“ Tarly (John Bradley) humpelt und quält sich durch eine schneeverwüstete Eislandschaft. Orientierungslos. Suchend. Forschend. Die horizentrale Struktur der Serie, deren Nebenlinien sich marionettenhaft auf einen Punkt, auf die Hauptstadt Königsmund, konzentrieren, täuscht darüber hinweg, dass „Game of Thrones“ – und zwar nicht zu knapp – im Zeichen hitzigen Krieges ironischerweise in einen meditierenden Dämmerschlaf versinkt, bestehend aus Nichtigkeiten und Detailausschmückungen, die das Zusammenhängende verschlüsseln. Diesmal hat es den Handlungsstrang um Theon Graufreud (Alfie Allen) erwischt: ein abgekoppeltes Anhängsel, redundanter Leerzeilenfüller, und vor allem verstecken sich darin die Manierismen des Senders HBO für zeigefreudige Sexploitation sowie ausgestellte Brutalität. Graufreud, gefoltert wird er von einem mysteriösen Knaben (eingängig psychotisch gespielt von Iwan Rheon).

Dessen in der letzten Folge „Mhysa“ gelüftete Identität dürfte allerdings kaum überraschen, um unzählige Minuten voller expliziter Einstellungen und makabrer Scherze (die Assoziation zwischen Theons später abgehacktem „Spielzeug“ und einer von seinem Peiniger verspeisenden Wurst wird bewusst bedient) vollends zu legitimieren. Was die Staffel dort an Schärfe verliert, gewinnt sie anderswo an Scharfsinn. Es ist der geschliffen geschriebene Roadmovie– und Screwball-Appeal verschiedenartig gepolter Zweierpärchen, die zwar einen verbalen Privatkrieg gegeneinander führen, sich aber notgedrungen (ebenso körperlich) zusammenraufen müssen: Arya Stark (Maisie Williams) mit Sandor „Hund“ Clegane (Rory McCann) etwa oder die in einem kitschig-naiven Naturpanorama gipfelnden Jon-Schnee-Ygritte-Szenen lebensbejahender Naivität in einer Welt voranschreitender Dunkelheit, in der Liebe längst Leid bedeutet. Auch Daenerys Targaryen (Emilia Clarke), ihres Zeichens altruistische Herrscherin und blendend-blonde Drachenmutter, wird entschieden mehr Entfaltungsraum zugesprochen als noch eine Staffel davor. Der mit exotisch-elektrisierendem Pathos unterlegte Aktionsradius ihres Handelns in der Sklavenstadt Yunkai stützt ein Mantra dieser Figur bildnerisch: Fessel und Peitsche wirbeln den Wüstensand auf, in den sie geschleudert wurden.

Die animalische Sinnlichkeit einzelner Frauen in „Game of Thrones“ fasziniert, allen voran bei der „Roten Frau“ und fundamentalistischen Priesterin Melisandre (Carice van Houten). Eine weitere Figur dieses Typus hat den Auftrag, „Königsmörder“ Jamie Lennister (Nikolaj Coster-Waldau) nach Königsmund zu überführen: die hünenhafte, grobunterkühlte Brienne von Tarth (Gwendoline Christie). Im gemeinsamen pointierten Schlagabtausch dieser zwei von Kraft und Verstand gesegneten, sich (überdies per Schwertkampf) kreuzenden Persönlichkeiten findet die dritte Staffel „Game of Thrones“ am tiefgreifendsten zur gewohnt originären Fabulierkunst eines aus sich selbst schöpfenden, theaterhaft getimten Dialogtaktes. Jamie verkörpert das komplex weiterentwickelte Wesen eines Menschen, der – hier steuert die Staffel auf eines ihrer essenziellen Motive zu – einen Kodex verrat, um seine (moralische) Ehre aufrechtzuerhalten. Die hierzu passende kathartische Badesequenz, in deren Verlauf sich Brienne und Jamie schließlich, zwei nackte Leiber, hochtrabend in den Armen liegen und er, der Königsmörder, zu Jamie, zu einem Menschen wird – darin liegt Liebe, Wärme wie Menschlichkeit. Apropos Frauen: Diana Rigg, ehemaliges Bondgirl, repräsentiert als ungeniert-saloppe Lady Olenna Tyrell die lebendigste Figur im Neuzuwachs der Serie.

Die Hierarchien der Klassenunterschiede (lakonisch getroffen: Margaery Tyrell stapft durch braune Pfützen, während sich ihr Kleid mit Schmutz besudelt), der Anker der Familie (festgehalten im Disput zwischen Tywin und Tyrion Lennister), das Paradoxe der Religion, allesamt Themen, die „Game of Thrones“ kategorisch herausarbeitet und mit nüchternen Kalauern verbindet.  Staffel drei jedoch geht einen Schritt weiter und entlockt jenen Brutalitäten, die dieser Diskursfülle innewohnen, eine fürchterliche Schönheit, drastische Gemälde des deformierten Fleisches: abgetrennte, in der Hand gehaltene Menschen- und Pferdeköpfe, eine mit Pfeil und Bogen getötete Dirne (ein obligatorischer Joffrey-Moment), angeordnet in den kühnsten Mustern und kunstvollsten Haltungen. Ihre sadistische Krönung dessen behält sich die Serie, wie immer eigentlich, bis zur nahezu legendären neunten Folge bei. Darin, sie trägt den Titel „Der Regen von Castamaer“, gelangt die unkontrollierte Gewalt formalästhetisch zur Vollendung. Der Wein schwappt über, Vorbote des Blutes. Das Tor schlägt zu. Heiterkeit wird abgewürgt von der Elegie des nahenden Todes. Das hervorlugende Kettenhemd. „Game of Thrones“ ist an dieser Weggabelung hauptsächlich die Geschichte eines gefallenen Königs, der seinem Vater nacheiferte und sich durch eine Hinrichtung dem vorgezeichneten Weg des Schicksals beugte.

Meinungen

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